Die Hauptperson dieses Tages schleicht sich quasi durch die Hintertür in den Raum. Noch hat an diesem Sonnabend der CDU-Landesparteitag in der großen Halle der Celler „Congress-Union“ nicht begonnen, da sitzt Ursula von der Leyen schon auf ihrem Platz – am Präsidiumstisch, inmitten der anderen Mitglieder des Landesvorstands, etwas erhöht gegenüber den anderen Delegierten im Saal.

Parteichef Bernd Althusmann, der an der Rednertribüne die einleitenden Worte spricht, kann sie von dort aus nicht erkennen. Als er dann „die mächtigste Frau in Europa“ freudig begrüßt, ertönt braver Applaus. Von der Leyen steht kurz auf und winkt, der Beifall wird etwas stärker. Dann werden noch die früheren Ministerpräsidenten David McAllister und Christian Wulff als besondere Gäste erwähnt, wieder spendet der Parteitag freundlichen Applaus. Zum Jubel, zum ausgelassenen Feiern ist den rund 500 Delegierten und Gästen am Morgen dieses Tages noch nicht zumute. Alles fängt doch sehr geschäftsmäßig und nüchtern-kühl an, nicht gerade kämpferisch.

https://soundcloud.com/user-385595761/wie-grun-wird-die-cdu-niedersachsen-herr-althusmann

Vielleicht liegt es an der frühen Stunde am Sonnabendmorgen, vielleicht aber auch an den Konflikten, die schon in den vergangenen Tagen in mehreren Gremien hochgekocht waren – und dabei durchaus heftig. Die CDU-Frauen-Union wirbt seit Monaten dafür, die parteiinternen Regeln für die Aufstellung von Kandidaten zu reformieren. Im Wesentlichen geht es dabei um das sogenannte „Reißverschluss-Verfahren“: Wie bei SPD und Grünen wollen sie auch in der CDU das Prinzip verankern, dass auf jeden männlichen Kandidaten auf Bundestags, Landtags- und Europawahllisten eine weibliche folgen soll. Bisher kennt die CDU in ihrer Satzung nur ein viel schwächeres Instrument – unter je drei Plätzen soll mindestens eine Frau sein.

Am Abend vor dem Parteitag wollte der CDU-Landesvorstand eigentlich grünes Licht geben für einen Antrag zum Bundesparteitag im November, der die Einführung der Quote in der CDU-Bundessatzung vorsah. Althusmann selbst unterstützte diesen Vorstoß. Doch in der Sitzung wurde es dann laut und energisch, mit der knappen Mehrheit von nur einer Stimme plädierte der Vorstand dafür, diesen Antrag nicht zum Bundesparteitag zu schicken, sondern das Thema vorher noch einmal in den Mittelpunkt eines „kleinen Parteitags“ der Niedersachsen-CDU im Februar zu stellen. Die Basis, so hieß es, müsse doch ausreichend Zeit zur Diskussion darüber haben. Schon wenige Tage zuvor war in einer Sitzung der CDU-Landtagsfraktion die Debatte über eine Quote mit emotionalen Aufwallungen geführt worden. Vor allem einige Gegner der Reform wagten sich hervor. Der Abgeordnete Axel Miesner verließ empört den Saal, andere polterten und drohten Rücktritte an, wieder andere waren entsetzt über die Heftigkeit des Widerstandes, den die Quoten-Gegner an den Tag legten.

Ich liebe in Niedersachsen die flachen Landschaften, die Birken, Auen und Moore. Ich werde im Herzen immer Niedersächsin bleiben.

Nun, beim ohnehin sehr eng getakteten Parteitag, ist die Quote selbst direkt kein Thema. Indirekt aber schon, den im Mittelpunkt steht der Auftritt zweier Frauen, der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und der EU-Kommissionspräsidentin, die beide als entschiedene Verfechter einer stärkeren Frauenförderung in der CDU gelten. Als Kramp-Karrenbauer erscheint, ertönt erneut freundlicher Applaus, wieder nicht überschwänglich, aber immerhin wohlwollend. Die Vorsitzende spricht über Klimaschutz, die Schuldenbremse, den Zustand der SPD und die innere Sicherheit. Die CDU-Vorsitzende geht kurz auf Boris Pistorius ein, ohne ihn namentlich zu nennen. „Der niedersächsische Bewerber für den SPD-Vorsitz“, sagte sie, dürfe „bitte nicht seine Arbeit in Hannover vergessen“. Denn die innere Sicherheit sei „zu wichtig, als dass man sie für ein paar Wochen zur Seite legt, weil man sich mit einer innerparteilichen Kandidatur beschäftigen muss“.

Ursula von der Leyen bekam zum Abschied eine Eiche von Bernd Althusmann überreicht – Foto: nkw

Der Applaus für die sehr allgemeine, wenig zugespitzte Rede von Kramp-Karrenbauer ist freundlich, zum Ende wird er noch stärker, vor allem bei einer Passage gegen „Rot-Rot-Grün“. Aber Beifallsstürme sind es nicht, auch wenn die Delegierten am Schluss aufstehen und klatschen, um ihr die Sympathie zu zeigen. Auch Althusmann, der in seinem Rechenschaftsbericht sehr eindringlich an die Partei appelliert, sich „zu öffnen für Menschen, die bei uns mitmachen“, bekommt einerseits kräftige Zustimmung im Saal. Fast klingt es flehentlich, als er sagt, man müsse „junge Menschen, Frauen, Ältere, Busfahrer und Rechtsanwälte“ für die CDU gewinnen. Mit aufgekrempelten Ärmeln wirkt der CDU-Landeschef leidenschaftlich. Aber so richtig begeistern kann auch er die Delegierten nicht. Von der Leyen, die sich beide Reden aufmerksam anhört, wirkt streckenweise wie versteinert, ernst und nachdenklich, auch ein wenig erschöpft.

Gegen 12 Uhr dann von der Leyen selbst an der Reihe, und mit einer rhetorisch geschliffenen kurzen und fast pathetischen Ansprache zeigt die neugewählte EU-Kommissionspräsidentin eine Herzlichkeit, die früher auf CDU-Parteitagen bei ihr oft vermisst worden war. Sie spricht über ihren Vater Ernst Albrecht, der in der Niedersachsen-CDU stets „mit offenen Armen“ aufgenommen worden sei – obwohl er ein Quereinsteiger war. Auch später, als Albrecht oft seine Umgebung nicht mehr richtig habe wahrnehmen können, sei die CDU die Partei gewesen, die ihn in ihren Reihen gern gesehen habe.

Dann dankt die EU-Kommissionspräsidentin drei CDU-Politikern besonders, die ihr immer geholfen und sie gestützt hätten: Christian Wulff, der ihr Tipps gab, wie man eine politische Karriere beginnt. Dirk Toepffer, der ihr als hannoverscher CDU-Kreisvorsitzender immer „den Rücken freigehalten“ habe und zu dem sie eine tiefe Freundschaft pflege. Als dritten erwähnt sie den früheren Ministerpräsidenten David McAllister, der gerade in den vergangenen Wochen stets „mit Rat und Tat geholfen“ habe.

Sie nennt McAllister einen „Freund“ – und das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass beide früher in Hannover nicht immer harmoniert hatten. „Du bist ein Aushängeschild für Niedersachsen, für Deutschland und ein außergewöhnliches Aushängeschild für unser Europa“, sagt von der Leyen – und der Applaus ist jetzt deutlich stärker. Das ist auch noch keine Begeisterung, aber doch eine spürbar wachsende Emotionalität. Sie wird noch gesteigert, als von der Leyen sagt, sie sei zwar „leidenschaftliche Europäerin“: „Aber ich liebe in Niedersachsen die flachen Landschaften, die Birken, Auen und Moore. Hier sind meine Eltern begraben, hier wachsen meine Kinder auf. Ich werde im Herzen immer Niedersächsin bleiben.“

Das berührt selbst für die nüchternsten und distanziertesten Delegierten so stark, dass sie aufstehen und jubeln. Wenigstens für ein paar kurze Momente. (kw)