Die Europawahl am vergangenen Sonntag hat die beiden großen Parteien, SPD und CDU, ins Mark getroffen und tief erschüttert. Die CDU muss verkraften, dass sie bundes- und landesweit unterhalb der Marke von 30 Prozent liegt. Das Landesresultat in Niedersachsen ist mit 29,9 Prozent nur geringfügig besser als der Bundesschnitt. In ihren Hochburgen Vechta, Cloppenburg, Emsland, Grafschaft Bentheim, Rotenburg (Wümme), Cuxhaven und Celle verbuchen die Christdemokraten die stärksten Verluste von je mehr als 12 Prozentpunkten – obwohl sie ihre Position als stärkste Partei dort behaupten können.

Noch drastischer sind die Resultate für die Sozialdemokraten. Die SPD war bislang immer stolz darauf gewesen, vor allem in den großen Städten stark zu sein – sie stellt ja auch in Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Wolfsburg und Göttingen den Oberbürgermeister und präsentiert sich dort überall als gut organisierte, in den Milieus verwurzelte politische Kraft.

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Es trifft die SPD wie ein schwerer Schlag, dass sie in den vier größten Städten des Landes und in der sechstgrößten Stadt nur noch auf Position drei liegt. Überall sind die Grünen die stärkste Kraft in dieser Europawahl, die Christdemokraten die zweitstärksten. In Hannover haben die Grünen 31,1 Prozent, die CDU folgt mit 19,7, dahinter die SPD mit 19,5. In Braunschweig erzielen die Grünen 28,0 Prozent, die CDU kommt danach mit 22,6, dann die SPD mit 19,9. In Oldenburg erreichen die Grünen 35,7 Prozent, die Christdemokraten 19,1 und die Sozialdemokraten 17,2.

Dramatische Lage für die SPD in der Region Hannover

In Osnabrück liegen die Grünen bei 33,3 Prozent, die CDU kommt auf 23,7, die SPD auf 17,7. Während in Wolfsburg die SPD noch auf Platz zwei liegt und in Salzgitter sogar knapp auf eins, hat die Partei in Göttingen mit 22,3 Prozent auch nur Platz drei. Hier liegt die CDU mit 25,6 Prozent vorn, gefolgt von den Grünen mit 25,3.

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Dramatisch ist die Lage für die SPD auch in der Region Hannover, die mit 1,1 Millionen Einwohnern mehr als ein Achtel der Bevölkerung des Landes stellt. Hier kommen die Grünen auf 26,2 Prozent, die CDU erreicht 24,6 und die SPD kommt mit 20,8 auf die dritte Position. In den Kreisen Celle, Harburg, Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Osterholz, Stade, Rotenburg, Uelzen, Emsland, Verden, Osnabrück und Oldenburg trifft ähnliches für die SPD zu, die im landesweiten Ergebnis ebenfalls abrutscht: CDU 29,9 Prozent, Grüne 22,6 und SPD 20,9.

SPD: Kein „Abo-Vertrag“ mit der Union

Niedersachsens SPD-Generalsekretär Alexander Saipa ermunterte seine Partei, über die Methoden und die Sprache der Politik nachzudenken. Eine Radikalisierung der Forderungen, etwa zum Kohleausstieg als Klimaschutz-Beitrag, lehnte er aber ab. Der designierte Vorsitzende des SPD-Bezirks Hannover und Sprecher der SPD-Linken in der Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, veröffentlichte gestern gemeinsam mit Ralf Stegner und Juso-Chef Kevin Kühnert ein Memorandum, in dem er „neuen Gestaltungswillen für die SPD“ fordert. Sie verlangen noch dieses Jahr ein Klimaschutzgesetz, ein Berufsbildungsgesetz, das SPD-Modell der Grundrente und ein Einwanderungsgesetz „ohne Wenn und Aber“.

Der Kapitalismus, schreiben sie, sei „zu tief in die sensibelsten Bereiche unseres Zusammenlebens vorgedrungen und muss zurückgedrängt werden“. Die Große Koalition mit der Union in Berlin habe ein Enddatum – „allerspätestens September 2021, und notfalls eben auch früher“. Die SPD habe „mit der Union keinen Abo-Vertrag geschlossen“ und „alle fortschrittlichen Parteien“ müssten nun ihre Hausaufgaben machen – dazu zählen die Autoren neben der SPD noch die Grünen und die Linkspartei. Das Memorandum ist wohl als offenes Werben für Rot-Rot-Grün zu verstehen.

CDU und JU liegen im Clinch

Auch in der CDU ist gestern die Strategiedebatte aufgeflammt, Auslöser dabei war eine Wahlanalyse des Konrad-Adenauer-Hauses, in der dem Agieren der Jungen Union (JU) eine Mitschuld am schlechten Ansehen der CDU unter Jugendlichen gegeben wurde. Das unentschlossene Auftreten der Christdemokraten in der Debatte um Upload-Filter, das holprige Reagieren auf das Anti-CDU-Video und auch ein „Rechtsruck“ in der JU-Führung werden dort als Gründe erwähnt.


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Der JU-Vorsitzende Tilman Kuban aus Hannover, der bei der Europawahl knapp den Einzug ins Parlament verpasste, reagierte verstimmt auf diese Analyse, da er sich zu Unrecht angegriffen sieht. Verantwortlich für die Kommunikation ist nach Kubans Ansicht vielmehr die CDU-Bundesgeschäftsstelle mit Generalsekretär Paul Ziemiak, dem Vorgänger Kubans im JU-Vorsitz. Beide stehen für verschiedene Richtungen in der CDU, Kuban repräsentiert den rechten Flügel – und spricht ganz offen aus, dass auch ein Ende der Großen Koalition in Berlin für ihn kein Drama wäre.

Der Streit der beiden Politiker offenbart eine zunehmende Nervosität in der CDU, die einen wachsenden Druck in der Endphase der Kanzlerschaft von Angela Merkel zu spüren scheint.