Immer höhere Kosten, aber schlechtere Versorgung: Der Gesundheitsökonom Professor Reinhard Busse von der TU Berlin hat im Landtag ein düsteres Bild der deutschen Krankenhauslandschaft gezeichnet. „Die Krankenhaussituation ist dramatisch, es muss etwas passieren. Die Medizin ist nicht mehr wie im letzten Jahrhundert, aber die Krankenhäuser sind es noch“, sagte Busse als Gast der Enquete-Kommission zur medizinischen Versorgung am Montag in Hannover. Deutschland hält er generell für überversorgt. In Niedersachsen gebe es in den Kliniken 21,4 stationäre Fälle pro 100 Einwohner. Das sei verglichen mit anderen Bundesländern zwar eher wenig, im Vergleich zu den EU-Ländern aber sehr viel. Deutschland sei das einzige Land, in dem die Zahl der Krankenhausfälle nach oben gingen.

Foto: azzIRT / Getty Images, TU Berlin

Dabei stiegen die Fallzahlen regional sehr unterschiedlich. Eine unerklärliche Steigerung der Krankenhausfälle gebe es beispielsweise im Weser-Ems-Gebiet und im Kreis Lüneburg. Im Kreis Holzminden sei die Fallzahl dagegen zuletzt gesunken. Insgesamt gebe es „unangemessen viele Patienten“, die keine stationäre Behandlungen benötigten. Das führe wiederum zu einer niedrigen Personalzahl pro Patient, obwohl es insgesamt viele Ärzte und viel Pflegepersonal in Deutschland gebe. „Wir verdünnen das nur, weil es so viele Patienten in den Krankenhäusern gibt, die auch noch lange da sind.“

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Die hohen Fallzahlen liegen Busse zufolge auch an der Krankenhausfinanzierung in Deutschland. „Wir zahlen Krankenhäuser dafür, dass sie ihre Betten füllen, und dann füllen sie ihre Betten auch. Wo andere drei Betten haben, haben wir fünf.“ Deutschland habe 65 Prozent mehr Betten als andere EU-Länder. Das sei nicht immer so gewesen. Viele EU-Länder hätten in den 80er Jahren noch ähnliche Krankenhausstrukturen gehabt, ihre Bettenzahl aber in den vergangenen Jahrzehnten halbiert. „Trotzdem sterben die Leute in den anderen Ländern auch nicht auf der Straße“, provozierte Busse.

Mehr Betten und eine teurere Versorgung führen dem Gesundheitsökonomen zufolge aber nicht zu einer besseren Behandlung. Im Gegenteil: Deutschland falle im Vergleich zu den EU-Nachbarn immer weiter zurück. Bei vermeidbaren Sterbefällen gingen in Deutschland die Zahlen nach oben. „Wir sind schlechter als Frankreich, Dänemark oder die Schweiz – Länder, mit denen wir uns gerne vergleichen würden.“ Das liege auch daran, dass viele Patienten in x-beliebigen Kliniken behandelt würden. Als Beispiel nannte er die Behandlung von Patienten mit Pankreas-Karzinom, der tödlichsten Krebserkrankung. Hier würden nur 16 Prozent der Patienten in spezialisierten Zentren behandelt. „Das ist eine Schande“, sagte Busse.

In Deutschland gebe es auch mehr Todesfälle nach einem Herzinfarkt. In Niedersachsen hätten 39 Prozent der Krankenhäuser nicht einmal einen Computertomographen.

Wir zahlen Krankenhäuser dafür, dass sie ihre Betten füllen, und dann füllen sie ihre Betten auch.

Als Vorbild nannte Busse immer wieder Dänemark, wo viele kleine Kliniken geschlossen wurden. Das Land setzt auf 18 „Superkrankenhäuser“, die bis 2023 alle gebaut sein sollen und in die Milliarden investiert werden, um sie auf den technisch neuesten Stand zu bringen. „Wir können nicht jedem Bürger in jedem Dorf versprechen, dass die Medizinische Hochschule um die Ecke ist. Kleine Krankenhäuser müssen weg, es hilft nichts“, meinte Busse.

Das wollte Verbandsdirektor Heiko Engelke von der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft so nicht stehen lassen. Wer Dänemark als Vorbild nenne, müsse auch dazu sagen, dass es in Dänemark planwirtschaftliche Staatsmedizin, eine Einschränkung der freien Arztwahl, lange Wartelisten für Patienten und Enteignungen gebe. „Für uns würde das auch bedeuten: Wir schaffen die Landkreise sowie die Kassenärztliche Vereinigung ab und enteignen Krankenhausträger.“

Professor Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, zeigte sich „überrascht über die Radikalität und Monokausalität“ von Busses Argumentation. Sie verlaufe zu stark nach dem Muster „Betten weg, Problem weg“.

Die Probleme der Gesundheitsversorgung werden die Enquetekommission derweil länger als ursprünglich geplant beschäftigen. Gestern verständigte sich das Gremium darauf, bis Mitte nächsten Jahres zu tagen. Im Spätsommer soll mit den Beratungen über die ambulante Versorgung begonnen werden. Ursprünglich war vorgesehen, dem Landtag bis zum Jahresende Vorschläge zu unterbreiten.