Von Niklas Kleinwächter

„Wir haben die Pflicht, uns ehrlich zu machen“, sagte er und beugte sich etwas über das Rednerpult, um seinem Publikum näher zu sein. „Wir haben schon viel erreicht. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass wir uns jetzt zukunftsfähig machen müssen.“ Dann richtete er sich auf, drückte den Rücken durch, die Brust raus: „Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es alternativlos, dass wir jetzt unsere Hausaufgaben machen! Ich denke und ich bin zuversichtlich: wir schaffen das.“

Solche Reden sind nicht selten. Sie könnten auf Parteitagen, vor Fernsehkameras, in Bierzelten oder im Parlament gehalten werden. Es scheint, als habe sich ein bestimmter Politikersprech herausgebildet: Worthülsen und Versatzstücke werden aneinandergereiht, bis sie gut klingen, aber keinen Sinn mehr ergeben. Astrid Seville vom Institut für Politische Wissenschaft an der Universität München hat sich mit diesen Phrasen intensiver beschäftigt. In ihrem Buch „Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft“ beschreibt sie, dass sich die Sprache der Politiker in zwei Richtungen entwickle: in eine technokratische, entpolitisierte auf der einen – und in eine sehr populistische, polarisierende Sprache auf der anderen Seite.

Die Sprache ist ein armer alter Packesel, dem alles aufgebürdet wird. Wir dürfen Sprache nicht zu viel zusprechen, was eigentlich dem Inhalt gebührt.

Am vergangenen Donnerstag traf Seville auf einen politischen Redner, den sie zuvor nur auf dem Papier analysiert hatte: Robert Habeck, Co-Vorsitzender der Grünen. Auf dem Podium im Schloss Herrenhausen saßen die beiden nun nebeneinander. Die Volkswagenstiftung hatte dorthin zur Diskussion geladen: Trifft die Politik noch den richtigen Ton? Für Seville ist Habeck ein Redner neuen Typs, der anders spreche und auch für eine andere Politik stehe als etwa ein Gerhard Schröder (mit seiner Basta-Politik) oder eine Angela Merkel (mit ihrer Politik der Alternativlosigkeit). Habeck spreche damit eine „urbane, selbstreflektierte, ambivalente und differenztolerierende Wählerklientel“ an, sagte die Politikwissenschaftlerin.

Habeck selbst sieht sich durch so eine Einordnung in einer Zwickmühle: „Was ich mache, wird zur Masche erklärt.“ Das ständige Gesehen- und Gehörtwerden führe bei Politikern dazu, dass sie weniger preisgäben und sich so wenig wie möglich aus der Deckung wagten. Also folglich vermehrt in Floskeln sprächen, hinter denen sie sich verstecken können. Der Polit-Star und Buchautor Habeck will versuchen, das zu durchbrechen. „Als ich mein Buch geschrieben habe, sagte mir meine Lektorin, ich dürfe keine Sätze schreiben, die jemand anderes genau so schreiben könnte. Wir Politiker reden aber den ganzen Tag, da können wir nicht immer originell sein.“ Er versuche nun allerdings, mit seinen Beiträgen immer seine eigene Geschichte zu erzählen.

Robert Habeck: „Was ich mache, wird zur Masche erklärt.“ – Foto: nkw

Seine eigene Geschichte erzählen sollte auch Bundespräsident Joachim Gauck. Ferdos Forudastan, heute Leiterin des Ressort Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, hat ihm das früher öfter eingeflüstert, als sie seine Sprecherin war. In dieser Funktion, berichtete sie in Herrenhausen, habe sie dem Staatsoberhaupt auch das ein oder andere Mal geraten, sich etwas lebensnäher auszudrücken oder komplizierte Dinge einfach mit Anekdoten zu verbinden. Sie glaubt allerdings nicht daran, dass sich die Sprache in einer Krise befindet – es gehe nicht um Sprache, sondern um Interessenunterschiede. „Die Sprache ist ein armer alter Packesel, dem alles aufgebürdet wird. Wir dürfen Sprache nicht zu viel zusprechen, was eigentlich dem Inhalt gebührt: mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger Klimaschutz, mehr oder weniger Flüchtlinge.“ Die Sprache, sagte sie, sei Ausdruck und nicht Ursache – und sie erinnerte an die 1990er-Jahre, als in der Debatte über die Asylrechtsverschärfung auch schon gesagt wurde, das Boot sei voll.

Experten kritisieren die „Enthumanisierung der Sprache“

Habeck nennt diese Art zu sprechen eine „Enthumanisierung der Sprache“. Durch Stilfiguren würden Menschen mit Tieren oder Naturereignissen gleichgesetzt, wenn zum Beispiel von der „Flüchtlingsflut“ die Rede sei, die natürlich „eingedämmt“ werden müsse. Ein ähnliches Beispiel führte Henning Lobin an, Linguist und Leiter des Leibniz-Instituts in Mannheim. Wenn im Zuge der Seenotrettung von einem „Shuttleservice“ gesprochen werde, wie es im vergangenen Sommer der Fall war, dann werde damit ganz bewusst eine Assoziationskette angestoßen, die bestimmte „Affekte triggern“ solle.

Dies sei aber keine neue Entwicklung, seit hunderten Jahren würden solche rhetorischen Strategien bereits eingesetzt. Was der Sprachwissenschaftler allerdings festzustellen meint, ist eine neue „Verunglimpfungspraxis“. Bestimmte Positionen würden sagbarer und lauter. So sei es mittlerweile zum Beispiel häufiger akzeptiert, wenn im Bus rassistisch gepöbelt wird, weil es im Parlament genauso passiere. Außerdem werde eine bestimmte Art des Diskurses geführt, der keinem „gutwilligen Miteinander“ mehr entspreche. Es werde bewusst mehrdeutig formuliert oder sogar gelogen.

Wir müssen nachsichtig sein und auch Nachdenklichkeit zulassen. „Weiß ich nicht“ wird als Antwort eines Politikers aber nicht akzeptiert.

Aber wie kommt es zu dieser Entwicklung des politischen Sprechens? Für Habeck ist die „enthumanisierte Sprache“ eine direkte Reaktion auf die „blutleere Sprache“ der vorangegangenen Jahre. Diese sei wiederum eine Folge der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft, die zwar Glück und Freiheit verspreche, aber keine Wärme gebe, sagte Habeck. „Eine Ansprache, die Gesehenwerden artikuliert, brauchen wir alle.“

Weil sich Milieus auflösten, gehe das „Wir“ verloren, zum Beispiel das „Wir, die Arbeiterklasse“, stellte Habeck fest. Deshalb spreche der Politiker entweder so verallgemeinernd und spreche dadurch eben niemanden mehr wirklich an. Oder es werde ein neues „Wir“ heraufbeschworen, zum Beispiel ein völkisch-nationalistisches. Beide Strategien seien „unterschiedlich falsch“. Gleichzeitig gibt es aus Habecks Sicht auch ein ausschließendes „Wir“, wenn beispielsweise Parteien in ihren Programmen und Reden von „Wir, die Grünen“ oder „Wir, die Konservativen“ sprächen.

Inhaltsleere Slogans kommen gut an

Doch gerade leere Phrasen seien heutzutage erstaunlich erfolgreich, weiß Seville. Wahlslogans brächten vor allem dann Erfolg, wenn sie wenig konkret formuliert seien. Verwenden die Parteien Bergriffe, mit denen zwar jeder etwas verbindet aber nicht zwangsläufig alle dasselbe, würden sie gewählt, sagte die Politikwissenschaftlerin und erinnerte an den CDU-Slogan: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ oder die vermehrte Verwendung des Heimat-Begriffs über die Parteigrenzen hinweg.

Die Entwicklung der Sprache in die eine wie die andere Richtung wollen die Experten nicht den Politikern allein anlasten. Schuld sei viel mehr das „Diktat der Aufmerksamkeitsökonomie“. Durch schnelllebigere Medien und das Social-Web werde jeder Fehltritt sofort zur Schlagzeile und um tatsächlich noch aufzufallen, müsse Aufmerksamkeit ganz besonders erzeugt werden. Die Politik gerate „in das Fahrwasser der Werbung“, sagte Lobin und für Forudastan ist es da nur selbstverständlich, dass die Politik und Parteien darauf reagierten, indem sie PR-Abteilungen, Werbeagenturen, Logopäden und Rhetoriktrainer anheuerten.

Habeck schlug als Lösung vor: „Wir müssen nachsichtig sein und auch Nachdenklichkeit zulassen. ‚Weiß ich nicht‘ wird als Antwort eines Politikers aber nicht akzeptiert. Eine ‚Anne Will‘-Sendung wäre langweilig, wenn der Politiker zuhört, statt ständig zu widersprechen.“ Forudastan möchte sich dabei selber „ehrlich machen“ und klagte auch ihren Berufsstand, die Journalisten an: „Wir wollen, dass die Funken sprühen. Aber wenn sie es mal tun, kommentieren wir auch, dass das ja ganz schön unzivilisiert zuging.“

Auch Lobin pflichtete da bei und erinnert an frühere Talkformate, in denen der Journalist Günter Gaus stundenlang und auf hohem fachlichem Niveau zum Beispiel mit Rudi Dutschke diskutieren konnte. Dorthin möchte Lobin gerne zurück und wünscht sich, dass sich die heutigen Debatten wieder an der Diskursethik nach Habermas orientieren. Auch Seville möchte, dass die liberale Demokratie wieder zu dem zurückfindet, was sie ausmacht: „Eine mobilisierende Sprache, die Lust auf Politik macht. Eine Streitkultur, die Gegner als solche anerkennt und mit ihnen um Kompromisse ringt.“