Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) möchte verhindern, dass der Artenschutz neben den großen Themen der Legislaturperiode, etwa dem Klimaschutz und der Energiewende, ins Hintertreffen geraten könnte. Zu diesem Zweck hat er am Montag eine sogenannte „Artenschutz-Offensive“ ins Leben gerufen, bei deren Auftakttreffen rund 35 Vertreter aus Verbänden, Behörden und der Wissenschaft mit dem Minister die ersten Eckpunkte diskutiert haben. Künftig soll es die Aufgabe des Begleitgremiums sein, das Ministerium beim Priorisieren der Maßnahmen und Ausgaben zu unterstützen. 

Minister Christian Meyer stellt seine Artenschutz-Offensive vor. | Foto: Kleinwächter

Die Ausgangslage, vor die sich die Experten derzeit gestellt sehen, klingt derweil dramatisch: Bundesweit und so auch in Niedersachsen gingen die Bestände bei Insekten und Wiesenvögeln zum Teil um bis zu 80 Prozent zurück. Das Artensterben habe größere Ausmaße angenommen als noch zu Zeiten der Dinosaurier, führte Meyer aus – und nun sei es menschengemacht. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, sondern wir müssen unwiederbringliche Arten retten“, sagte der Umweltminister und kündigte an, den Artenschutz beschleunigt ausbauen und stärken zu wollen.

Organisatorisch drückt sich das in der geplanten Einrichtung einer neuen Naturschutzabteilung und eines neuen Moorschutz-Referats in seinem Ministerium aus, sowie in der Entfristung von bis zu 30 Stellen beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Eine wichtige Aufgabe für das entsprechende Fachpersonal soll es dann sein, zunächst die Datengrundlage zu verbessern. Bis 2026 sollen zwölf der sogenannten „roten Listen“ bedrohter Tierarten überarbeitet werden. Für Libellen und Brutvögel sei das in den vergangenen Jahren bereits passiert, nun sollen die Listen für Amphibien, Reptilien, Fledermäuse, Säugetiere, Heuschrecken, Wildbienen, Schmetterlinge sowie für Fische, Rundmäuler und Großkrebse folgen.



Auf der Agenda der Artenschutz-Offensive stehen zudem zusätzliche Maßnahmen für Insektenschutz, Biotopverbünde und Artenhilfsprogramme. Insbesondere die Orchidee „Frauenschuh“, der Luchs, der Kiebitz und der Feldhamster sollen dabei berücksichtigt werden. Für das aktuelle Jahr summiert Minister Meyer für den Artenschutz mehr als sechs Millionen Euro – kombiniert aus dem Finanztopf des „niedersächsischen Weges“, dem um 3,7 Millionen Euro erhöhten Bundesförderprogramm Insektenschutz und weiteren Landesmitteln in Höhe von 2,5 Millionen Euro.

Umweltverbände fordern Vorrang für grüne Infrastruktur

Die beiden großen Umweltschutzverbände in Niedersachsen begrüßen die Initiative des Ministers. Allerdings mahnen Susanne Gerstner, Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen, und Olaf von Drachenfels vom Nabu Niedersachsen ein noch höheres Tempo an. Gerstner betonte, dass es beim Artenschutz vorrangig um Lebensraumschutz gehen müsse. Sie forderte daher einen Vorrang für Projekte der grünen Infrastruktur, wie man ihn derzeit auch für andere Vorhaben definiert habe, wenn ein „überragendes öffentliches Interesse“ festgestellt werden kann.

BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner kommentiert die Artenschutz-Offensive. | Foto: Kleinwächter

Bei der Renaturierung von Auen oder dem Ausbau von Biotopverbünden müsse man beschleunigen, meinte die BUND-Landesvorsitzende und sagte: „Wir erhalten die Arten nicht dadurch, dass wir Ziele definieren.“ Das Datenmanagement, das vom Umweltministerium nun vorangebracht werden soll, sei zwar wichtig, doch „wir können nicht warten, bis alle Daten erhoben wurden“, sagte Gerstner. Von Drachenfels ergänzte, dass es noch große Wissenslücken gerade bei den Insekten gebe. Deshalb sei es besonders zu deren Schutz wichtig, die „Lebensräume als Dach der Arten zu schützen. Wir haben nicht mehr die Zeit, erst zu forschen und zu kartieren.“



Neben der Beschleunigung sehen die Naturschutzverbände eine besondere Bedeutung darin, die Schutzmaßnahmen zu verstetigen. Weil die Umwelt über Jahrzehnte durch den Rückbau des artenreichen Grünlands oder durch Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft geschädigt worden sei, müsse man nun dauerhaft und verlässlich am Artenschutz arbeiten, argumentierte von Drachenfels. Wichtig seien dafür entsprechende Fachkräfte, doch die Naturschutzverbände beklagen eine abnehmende Artenkenntnis sowohl bei Schülern als auch bei Studenten.

Minister Meyer hofft nun darauf, dass durch den wachsenden Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich auch wieder das Interesse an einem entsprechenden Fachstudium wachsen könnte. Über den „niedersächsischen Weg“ gebe es nun schließlich im Schnitt bei jeder unteren Naturschutzbehörde eine zusätzliche Stelle zu besetzen, ebenso bei den 15 zusätzlichen „ökologischen Stationen“ im Land. Das Angebot an Experten möchte der Grünen-Politiker also über eine erhöhte Nachfrage steigern. Bis dieser Effekt einsetzt, dürfte das Artensterben bereits vorgerückt sein.