Von Martin Brüning

„Volkswagen oder die Wirtschaft machen schnipp und bekommen Millionen für nur ein Projekt. Wir dagegen kommen mit dem Geld nicht zurecht“, klagt eine Mitarbeiterin der katholischen Familienbildungsstätten. „Stimmt, da ist die Autolobby manchmal vielleicht ein bisschen stärker“, räumt Dirk Schröder, Abteilungsleiter im niedersächsischen Sozialministerium ein. Wie gerecht werden Fördergelder in Deutschland verteilt?

Die Frage taucht bei einer Veranstaltung der niedersächsischen Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Hannover, die sich einen Tag lang mit der Förderung von Erziehung in der Familie befasst, immer wieder auf, nicht erst am Ende bei der Podiumsdiskussion in dem beschriebenen Dialog zwischen Schröder und der Fragestellerin. Auch in den Workshops im Laufe des Tages ist die Frage zu hören: Warum bekommt die Wirtschaft so viel, während wir uns unterfinanziert von Projekt zu Projekt hangeln müssen? Ungerecht finden das viele von ihnen.

Sollen heißt es da, nicht müssen

Aber den Mitarbeiterinnen von Jugendämtern, Bildungsstätten oder Beratungsstellen – Männer sind eher unterrepräsentiert – treibt nicht nur die Höhe der Fördergelder um. Ihnen geht es auch um Unstetigkeit der Finanzierung und die Formulierung im entsprechenden Paragraphen im achten Sozialgesetzbuch. „Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden.“

Andreas Gladisch, Jugendamtsdirektor in Berlin-Neukölln. – Foto: MB

Sollen heißt es da, nicht müssen. Und so kommt es, dass die Leistungen von Kommune zu Kommune recht unterschiedlich ausfallen können. Weil in dem Paragraphen nur von „soll“ die Rede sei, finde das bei ihm im Landkreis nicht statt, bemängelte ein Mitarbeiter der Jugendhilfe im Kreis Osnabrück. Auch Holger Ansmann, Vorsitzender des Sozialausschusses im Landtag, ist über die Unstetigkeit der Finanzierung unglücklich. Finanziert würden Projekte häufig über einen festgelegten Zeitraum. Und dann gebe es im Rat keine Mehrheit dafür, dass die Mittel langfristig im Haushalt festgelegt werden. „Das ist ein Problem. Trotzdem ist es nicht so einfach, aus einem ‚soll‘ ein ‚muss‘ zu machen“, gibt Ansmann zu.

Verliebt, verlobt, verheiratet gilt heute nicht mehr. Die automatische Abfolge Schule, Ausbildung, Beruf auch nicht.

Dabei sind die Sorgen und Nöte von Familien in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Vieles hat sich geändert, früher war manches klarer. „Verliebt, verlobt, verheiratet gilt heute nicht mehr. Die automatische Abfolge Schule, Ausbildung, Beruf auch nicht“, sagt Andreas Gladisch, Jugendamtsdirektor in Berlin-Neukölln, also aus einem Bezirk mit einer Vielzahl von Problemkiezen. Aber nicht nur dort sehen die Experten Bedarf für mehr Unterstützung von Familien. Eltern seien oft auf sich allein gestellt. Erwartungen und Anforderungen, die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik an die Eltern stellen, hätten zugenommen, und das führe oft zu Überforderung, meint Bernd Heimberg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Niedersachsen (AGF). „Alarmierend ist die hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen, die in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Integration und Sicherheit mit elementaren Defiziten leben müssen“, so Heimberg. Ein großer Teil verfüge strukturell nicht über die notwenigen Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten, um Familie gut zu leben.

Die öffentliche Verantwortung für Kinder und deren Wohlergehen wird zunehmend wichtiger.

Der AGF-Vorsitzende ruft zu einem grundlegenden Umdenken auf. „Die öffentliche Verantwortung für Kinder und deren Wohlergehen wird zunehmend wichtiger.“ Es gehe nicht um mehr staatlichen Einfluss, sondern vielmehr darum, die Eltern in ihrer Verantwortung zu stützen und zu stärken. Prinzipiell bräuchten eben alle Familien Unterstützung. Heimberg sprach sich für eine „neue Qualität an Verbindlichkeit“ aus, sprich: es geht nicht um das „sollen“, sondern um das „müssen“.

Familien brauchen Experten zufolge ein Recht auf die Unterstützung. Dafür sprach sich in Hannover auch die Familiensoziologin Karin Jurczyk aus, die einem breiten Publikum einst mit ihrer Forderung nach einem „Elterntag“ statt des üblichen Vater- und Muttertages bekannt wurde. Jurczyk forderte die Politik auf, den Fokus nicht zu stark auf die Kleinkindförderung zu legen, vielmehr müsse Familienförderung lebenslang und in seiner ganzen Breite von heutigen Familienmodellen gedacht werden.

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Das sind die großen Pläne. In Niedersachsen geht es aber zunächst einmal um die kleinen Schritte. Sowohl Heimberg als auch Schröder wiesen auf die Integrierte Berichterstattung hin, ein Austauschforum der Jugendämter im Land. Dies werde sich im nächsten Monat mit den Leistungen befassen, um die es in Paragraph 16 des achten Sozialgesetzbuches gehe, also Familienbildung, Beratung in Erziehungsfragen oder auch Familienfreizeiten. Er sei auf die Schlussfolgerungen gespannt, sagte Heimberg. „Schließlich gibt es auch untereinander relativ wenig Kenntnisse darüber, wie sich das in den einzelnen Regionen entwickelt.“

Die Kennzahlen, die sich aus dem Austausch ergeben sollen, seien eine gute Grundlage, um dann politische Diskussionen zu führen, auch wenn es um die Finanzen geht. Den Experten zufolge ist ohnehin klar, dass es sich lohnt, an dieser Stelle Geld in die Hand zu nehmen. „Prävention ist wirksam und wirtschaftlich“, sagt Andreas Gladisch aus Berlin-Neukölln. „Eine gelungene Sozialisation hat eine Nachhaltigkeit von 80 Jahren.“ Auch der SPD-Abgeordnete Holger Ansmann wehrt sich dagegen, immer nur darüber zu sprechen, dass das Geld koste. „Wir müssen auch darüber reden: Was kostet uns eigentlich, wenn man nichts macht?“