Kultusministerin Frauke Heiligenstadt zieht ein Zwischenfazit zu ihrem 17-Punkte-Plan zur Lehrerversorgung und erklärt, warum die bisherige Form der Schulinspektion geändert werden sollte. Mit Frauke Heiligenstadt sprachen Klaus Wallbaum und Martin Brüning.

Interview im Büro der Kultusministerin: Frauke Heiligenstadt mit der Rundblick-Chefredaktion Martin Brüning (links) und Klaus Wallbaum (rechts)

Interview im Büro der Kultusministerin: Frauke Heiligenstadt mit der Rundblick-Chefredaktion Martin Brüning (links) und Klaus Wallbaum (rechts)

Rundblick: Die Lehrer beschweren sich über die Unterrichtsverpflichtung, Eltern beschweren sich über die Unterrichtsversorgung –  wie groß ist der Druck, der im Moment auf Ihnen lastet?

Heiligenstadt: Ich empfinde keinen großen Druck im negativen Sinne. Wir haben ganz einfach sehr große Aufgaben zu bewältigen. Wir dachten, dass wir an den Schulen nach den Entscheidungen zum Schulgesetz, zur Inklusion und zu den Ganztagsschulen in eine Phase der Konsolidierung kommen, in der die Maßnahmen wirken können. Und dann kamen 36.000 Flüchtlingskinder an die Schulen. Das ist mehr als ein halber Einschulungsjahrgang und damit eine riesengroße Aufgabe. Es ist aber auch eine positive Herausforderung. Die Schulen haben die Kinder großartig auf- und sich ihrer angenommen. Das setzt viele Kräfte frei – auch in der Kultusbürokratie. Ich bin wirklich stolz darauf, wie wir das alles gemeinsam – allen voran die Lehrkräfte – gemeistert haben.

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Rundblick: Dennoch haben Sie jetzt ein Problem-Sandwich: Auf der einen Seite pochen die Lehrer darauf, die Arbeitszeiten anzupassen, auf der anderen Seite haben die Lehrer auch durch die Flüchtlingskinder viel mehr Aufgaben…

Heiligenstadt: Die Sandwich-Position haben Sie ja als Kultusministerin immer: Ob zwischen Eltern und Schülern, Lehrerverbänden und Eltern oder zwischen Philologen und der Gewerkschaft GEW. Die Herausforderung ist derzeit eher, dass wir sehr viele Lehrerstellen zur Verfügung stellen, diese aber nur schwer besetzen können. Das liegt an der schwierigen Lage auf dem Lehrer-Arbeitsmarkt. Durch die Ankunft der Flüchtlinge ist das kurzfristig noch einmal besonders deutlich geworden.

Rundblick: Sie haben einen 17-Punkte-Plan vorgestellt, um mehr Lehrer zu gewinnen. Dabei setzen Sie auch auf Quereinsteiger. Wie sieht die Bilanz bisher aus?

Heiligenstadt: Wir haben mit Abschluss des Einstellungsverfahrens zum 1. August rund 300 Quereinsteiger gewinnen können. Das waren deutlich mehr als in den Vorjahren. Da waren es immer höchstens 100. In diesem Jahr gibt es auch zum ersten Mal Quereinsteiger an den Grundschulen – hier waren es zum 1. August insgesamt 55. An den Grundschulen haben wir vorher keine Quereinsteiger zugelassen. Auch das macht deutlich, dass es eine besondere Situation ist. Wir öffnen das jetzt nur für eine gewisse Zeit. Dabei lassen wir die Quereinsteiger nicht allein, sondern bilden sie berufsbegleitend aus und weiter. Damit ist auch klar, dass es dadurch keine Qualitätseinbußen an den Schulen geben wird.


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Rundblick: Wie komplex ist es, bis ein Quereinsteiger seinen Weg an die Schule findet?

Heiligenstadt: Die Bandbreite der Bewerber ist riesengroß. Wir sprechen von Akademikern mit völlig unterschiedlicher Berufserfahrung. Deshalb müssen wird jeden Vorgang einzeln bewerten. Das ist eine regelrechte Sisyphos-Arbeit. Wir haben das Verfahren schon stark standardisiert und versucht, es schlank zu gestalten. Aber wir haben ja auch die Verantwortung dafür, dass die Quereinsteiger, wenn sie fertig ausgebildet sind, auch den Anforderungen der Kultusministerkonferenz entsprechen müssen – zum Beispiel, wenn sie in einem anderen Bundesland arbeiten wollen. Wir verlassen uns bei anderen Ländern schließlich auch darauf, dass die Anforderungen erfüllt werden.

Rundblick: Was konnte durch den 17-Punkte-Plan noch erreicht werden?

Heiligenstadt: Wir haben zum Beispiel 370 Vertretungsverträge in den Grundschulen frühzeitig abgeschlossen, schon bevor das Einstellungsverfahren abgeschlossen war. Damit wollten wir die Lehrer, die am Markt zu haben waren, frühzeitig einstellen. Außerdem sind wir von den Fristen abgewichen. Dadurch haben wir 240 Stellen auch nach dem Einstellungstermin noch besetzen können. Und wir haben durch Änderungen der Schulen bei der Kapitalisierung des Ganztagsunterrichts 120 Vollzeitstellen hinzugewonnen. Dabei ist mir wichtig, dass unser Ziel aus der Zukunftsoffensive Bildung erhalten bleibt. Wir wollten damals, dass die Schulen die Ressourcen für den Ganztag mit 60 Prozent Lehrerstunden belegen und 40 Prozent in Geld umtauschen, also kapitalisieren können. Das ist so gut angekommen, dass die Schulen insgesamt sogar im Durchschnitt 80 Prozent Lehrerstunden beantragt haben. Wir werden durch die jetzigen Änderungen nicht unter die ursprünglich gewünschte 60-Prozent-Marke kommen.

Rundblick: Wie viele Lehrer fehlen uns dann überhaupt noch?

Heiligenstadt: Wir hatten zum neuen Schuljahr rund 2800 Stellen ausgeschrieben. Davon haben wir 490 nicht belegt. Diese Stellen haben wir in das aktuelle Einstellungsverfahren transferiert und haben jetzt 1300 Stellen zum 1. Februar ausgeschrieben. Das ist noch einmal eine sehr große Zahl für ein zweites Halbjahr. Schließlich muss man dabei auch sehen, dass wir im vorigen Schuljahr mit fast 4.250 die größte Einstellungszahl in diesem Jahrzehnt erreicht haben.

Rundblick: Sie wollen den Schul-TÜV umwandeln – weniger Kontrolle, mehr Beratung. Müssen wir uns um die Qualität der Schulen Sorgen machen?

Heiligenstadt: Um die Qualität unserer Schulen muss sich niemand Sorgen machen. Die Ergebnisse der Online-Befragung „Mehr Zeit für gute Schule“ haben allerdings sehr deutlich gemacht, dass es bei der so genannten externen Evaluation Handlungsbedarf gibt. Die Schulinspektion soll die Schulen dabei unterstützen, die Schul- und Unterrichtsqualität zu steigern und die Vergleichsarbeiten in den Jahrgängen 3 und 8 sollen den Lehrkräften Rückmeldungen dazu geben, wo ihre Schüler in den Fächern Deutsch, Mathematik oder Englisch stehen, um sie gezielter fördern zu können. Die Ziele sind richtig, dennoch werden sie mit diesen Instrumenten aber augenscheinlich nicht erreicht: Beide Instrumente werden in der jetzigen Form als nicht sinnhaft und schwer zu bewältigen wahrgenommen. Auch Untersuchungen in anderen Ländern zeigen, dass der Nutzen von Schulinspektion und Vergleichsarbeiten hinter den Erwartungen zurückbleibt. Wir werden uns mit den Lehrerverbänden daher genau anschauen, wie Instrumente beschaffen sein müssen, damit die angestrebten Ziele auch erreicht und für die Schüler wirksam werden. Klar ist natürlich: Niemand findet externe Evaluation grundsätzlich gut, ob das jetzt eine Prüfungssituation ist oder ob der Landesrechnungshof etwas anmahnt. Dennoch ist eine Sicht von außen notwendig, um die so genannten blinden Flecken zu identifizieren. Es geht uns also nicht darum, die externe Evaluation aufzugeben, es geht nicht um das ob, sondern um das wie. Es nutzt ja nichts, nur zu inspizieren oder nur zu vergleichen, wenn daraus nichts für die Schüler folgt. Daher ist eine Weiterentwicklung der Instrumente und sicher auch eine verbesserte Kommunikation und Beratung, was wann wie wem nützt, notwendig. Das geht nicht mit Inspektion und Sanktion, sondern man braucht Motivation und Beratung der Lehrkräfte.