Niedersachsens Staatskanzleichef Jörg Mielke ist verantwortlich für die Medienpolitik. Die Diskussion über die Reform der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hat gerade mit dem Reformvorschlag des früheren WDR-Intendanten Tom Buhrow an Fahrt gewonnen, er stellt das Nebeneinander von ARD und ZDF und die Existenz von Kleinstanstalten in Frage. Mielke nimmt dazu im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick Stellung – und spart nicht mit Kritik.

Jörg Mielke ist Chef der Staatskanzlei und für die Medienpolitik der Landesregierung in Niedersachsen zuständig | Foto: Wallbaum

Rundblick: Herr Mielke, brauchen wir zwei öffentlich-rechtliche und gebührenfinanzierte Fernsehsender heute überhaupt noch? Läge nicht eine Fusion nah?

Mielke: Brauchen wir ARD und ZDF? Klares ja! Bei der Frage nach der Notwendigkeit mehrerer öffentlich-rechtlicher Sender muss man auf dessen Anfänge nach dem Zweiten Weltkrieg zurückblicken. Damals gab es nur wenige Frequenzen, der NWDR hatte ein Monopol – und es ging darum, unter diesen Bedingungen eine Staatsferne zu gewährleisten, auch in der Finanzierung. Das war die bewusste Abkehr vom NS-Staatsfunk. Heute haben wir eine Fülle an werbefinanzierten Angeboten und wir haben unterschiedliche Sehgewohnheiten, da wächst natürlich die Skepsis gegenüber dem verpflichtenden Rundfunkbeitrag. Berichte über den „Fall Schlesinger“ beim RBB haben den Eindruck, die öffentlich-rechtlichen Sender seien riesige Apparate, die nur mit sich selbst beschäftigt seien. Das ist zu pauschal und unzutreffend. Wir haben bundesweit elf Anstalten – neun unter dem Dach der ARD, das ZDF und das Deutschlandradio.



Rundblick: Sind das nicht zu viele?

Mielke: Meine Antwort ist: Wir brauchen Vielfalt. ARD und ZDF haben in vielen Feldern eine unterschiedliche Ausrichtung, die halte ich auch für sinnvoll und nötig. Die ARD-Anstalten bieten beispielsweise eine regionale Berichterstattung mit Tiefenschärfe, das ZDF ist bundesweit ausgerichtet. Wenn wir ARD und ZDF fusionieren würden, ginge das mit einer Nivellierung von Programmkultur einher. Was unter dem Dach der ARD geschieht, ist aber durchaus diskussionswürdig. Der NDR ist eine Anstalt für vier Länder, da sind ganz andere Synergien möglich als bei Sendern, die nur in einem Land arbeiten. Das trifft für Hessen, das Saarland und Bremen zu, Berlin und Brandenburg haben den kleinen RBB. Wenn man aus Kostengründen eine Strukturreform machen wollte, dann sähe ich hier, bei den Ein-Länder-Anstalten, einen Ansatzpunkt.

Rundblick: Manchen Intendanten ist Verschwendungssucht vorgeworfen worden…

Mielke: Ich sehe innerhalb der einzelnen Sender deutliche Spielräume dafür, mehr Finanzmittel für die Programmfinanzierung einzusetzen anstatt für Personal in den oberen Etagen. Gutes Programm wird von Menschen gemacht und diese müssen auch anständig bezahlt werden. Das Gehaltsgefüge aber stimmt nicht mehr in den Chefetagen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Für die Intendanten und die nächsten drei bis vier Stufen unterhalb der Intendantenebene wird viel zu viel Geld ausgegeben. Zur Erklärung heißt es dann immer, man müsse wettbewerbsfähig bleiben mit den privaten Sendern. Das ist aus meiner Sicht kein tragfähiges Argument – denn in der Privatwirtschaft sind hohe Gehälter oft an die Erwartung der Erwirtschaftung hoher Einnahmen gekoppelt. Das ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk anders und die Gehaltsspanne zwischen denen, die das Programm machen und denjenigen, die es verwalten, ist insgesamt viel zu groß. 

Rundblick: Es heißt immer, für ein gutes Programm brauche man einen hohen Aufwand…

Mielke: Auch da würde ich ein Fragezeichen setzen! Ein schönes Beispiel ist die Berichterstattung über die Landtagswahl in Niedersachsen. Erst hieß es, der Platz im Landtag reiche nicht, man müsse unbedingt auf die Messe ausweichen. Dann haben die Sender es mit kleinem Besteck doch ganz gut hinbekommen, schwerpunktmäßig aus dem Landtag zu senden. Da fühle ich mich an das nach Vilfredo Pareto benannte Prinzip erinnert: 80 Prozent der Ergebnisse können mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbliebenen 20 Prozent zur Perfektionierung erfordern dann aber die gesamten restlichen 80 Prozent der Ressourcen. Was ich als störend empfinde, ist der Optimierungswahn innerhalb der Rundfunkanstalten – dieser wird dort oft von den technischen Abteilungen angetrieben. Klar ist aber auch: umfassende Recherchen kosten Zeit und Geld – ein hoher Aufwand ist für gutes Programm durchaus gerechtfertigt.

Rundblick: Warum bewegt sich denn bei den Reformbemühungen so wenig?

Mielke: Die Länder sind sich einig: Die Anstalten selbst – und vor allem die Intendantinnen und Intendanten – sind in der Pflicht, etwas anzuschieben. Bisher habe ich den Eindruck, dass viele sich über die Kritik erhaben fühlen und signalisieren, das nötige Geld für ihre Arbeit schon von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) zu bekommen. Insofern ist der Vorstoß von Tom Buhrow schon überraschend – ich bewerte diesen allerdings als ein Verhalten nach dem Motto „Haltet den Dieb!“

Rundblick: Wieso?

Mielke: Herr Buhrow ist seit vielen Jahren als Intendant in einer hohen verantwortlichen Position tätig. Er hätte alle Gelegenheiten gehabt, die Effizienz der Arbeit seines Senders beziehungsweise der ARD zu steigern. Passiert ist viel zu wenig.

Klaus Wallbaum (rechts) spricht mit Jörg Mielke in der Staatskanzlei. | Foto: Kathrin Riggert

Rundblick: Was tun jetzt die Länder?

Mielke: Es geht insgesamt um Strukturreformen, bei denen die Anstalten selbst aktiver werden müssen, die wir als Länder aber auch vorantreiben. Es geht aber auch um mehr Transparenz und bessere Compliance-Regeln – der MDR etwa ist dort mit gutem Beispiel vorangegangen. Wir müssen die Sendeanstalten jetzt in die Pflicht nehmen und vergleichen die Transparenz- und Compliance-Regeln. Es geht dabei auch um die Frage, wie die Gremien neu zugeschnitten und geordnet werden sollen. Der Blick fällt dabei weniger auf die Rundfunkräte, die eher inhaltlich das Programm begleiten und eine große Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen gewährleisten. Kaufmännischer oder juristischer Sachverstand und Erfahrung sind vor allem nötig in den Verwaltungsräten, die die Arbeit der Intendanten kontrollieren sollen. Bisher verstehen sich diese Gremien oft nicht als Kontrolleure, sondern als rundfunkpolitische Sprachrohre. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Es sind nicht die Gremien der Anstalten, sondern die Gremien der Gesellschaft bei den Anstalten. Die Betreuung der Gremien und die Fortbildung ihrer Mitglieder sollte nicht in den Sendern geschehen, sondern außerhalb.

Rundblick: Sind diese Bemühungen womöglich vergebens, weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio in der bisherigen Form irgendwann ausstirbt?

Mielke: Da muss ich deutlich widersprechen. Gerade in Krisenzeiten, in denen es um verlässliche Informationen geht, haben sich die öffentlich-rechtlichen Sender stark behauptet. Die Tagesschau hatte 2021 im Schnitt mehr als elf Millionen Zuschauer, „heute“ im ZDF hatte mehr als vier Millionen. Auch die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme erfreuen sich – trotz des immer stärkeren kommerziellen Angebots – einer großen Beliebtheit gerade auch bei Jugendlichen, etwa N-Joy vom NDR oder 1Live vom WDR. Es gilt aber auch: Lineares Fernsehen, bei dem man zu einer vorgegebenen Uhrzeit in einen Raum geht und das dort befindliche TV-Gerät einschaltet, wird immer weniger den Sehgewohnheiten entsprechen. Aber wir haben in der Zeit der Pandemie gesehen, dass etwa die Tagesschau-App mit der Tagesschau in 90 Sekunden von jungen Leuten stark genutzt wurde und wird. Die Wege der Ausspielung von Inhalten müssen vielfältiger werden, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Inhalte bleiben weiter sehr gefragt, da bin ich mir sicher. Und wir Länder sind aufgefordert, den Öffentlich-Rechtlichen bei den Ausspielwegen mehr Beinfreiheit zu geben und das wollen wir auch machen.