Der niedersächsische Wald steht unter Stress. Vielerorts ist er kaputt, wirkt ausgefranst mit den abgestorbenen Bäumen oder den Lücken, die diese insbesondere im Harz hinterlassen haben. Stürme, Dürre, Borkenkäfer und ein sich absenkender Grundwasserspiegel fordern den Forst heraus. Und der Blick in die Zukunft stimmt da wenig optimistisch: Wie soll es weitergehen mit dem aus so vielen Gründen so wichtigen Teil unserer Landschaft? Wie schon in den vergangenen Jahren auch, arbeitet der niedersächsische Landtag fleißig an einer heilenden Kur für die mehr als 1,2 Millionen Hektar Waldfläche. Doch Unwissenheit über die genauen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte und Zeitdruck im Hier und Jetzt erschweren diesen Vorgang. Wo der Wald gerade am Boden ist, muss nun nämlich schnell gehandelt werden, wenn der Mensch noch lenkend eingreifen möchte.

Tote Fichten vor einem Sonnenuntergang
Waldsterben im Harz bei Torfhaus | Foto: GettyImages/Oliver Hlavaty

Genau in dieser aktuellen Ausgangslage erkennen einige aber auch eine Chance. Denn die Kalamitäten auf rund 400.000 Hektar Waldfläche bieten die Möglichkeit, den Wald der Zukunft stärker zu beeinflussen – sofern nun rasch gehandelt wird. Der Wald aber wartet nicht auf die Planung der Waldbesitzer, die Beratung des Parlaments oder die Konzeption eines Ministeriums. Ein ganz kleines Zeitfenster bleibt nun, um die Zusammensetzung der derzeit beschädigten Wälder so zu verändern, dass die neue Mischung gut gewappnet ist für das, was kommen mag. Ist das dann erst einmal umgesetzt, geht es an den schrittweisen Umbau der übrigen Wälder.

Das Ziel: der klimaangepasste, resiliente Mischwald. Doch die Zahlen, über die man hier spricht, sind schier unvorstellbar: Eine Milliarde Bäume müssen in Niedersachsen in den kommenden Jahren gepflanzt werden, um den Wald auf diese Weise neu aufzustellen für eine heißere, stürmischere, wechselhaftere Zukunft. Worauf Experten dabei nun achten, haben sie kürzlich den Mitgliedern des Agrarausschusses im niedersächsischen Landtag dargelegt:

Baumarten auswählen: Viele Waldflächen stehen gerade leer und sollen neu bepflanzt werden. Das möchten Fachleute aber nicht dem Zufall oder der Laune der Waldbesitzer überlassen. Ein Steuerungsinstrument ist das seit Jahrzehnten erfolgreich laufende „Löwe“-Förderprogramm des Landes. Zudem wurde im Vertragswerk des „niedersächsischen Wegs“ festgehalten, dass man heimische Arten fördern möchte, aber begründete Abweichungen zulässt. Über diese soll die „Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt“ in Göttingen wachen, die deshalb ganz genau hinschaut, welche Baumarten für Niedersachsens neue Wälder besonders geeignet sein könnten.

Doch die Zukunft hält immer auch Ungewissheiten bereit. „Die Geschwindigkeiten der Klimaveränderungen werden uns noch vor ganz andere Herausforderungen stellen“, sagte Hans-Martin Hauskeller, Wald- und Umweltexperte bei den Landesforsten, kürzlich im Agrarausschuss des Landtags. Die Lösung zum Umgang mit dieser Unsicherheit erkennen einige in einer Spreizung des Risikos: Verschiedene Baumarten mit einem möglichst breiten Genpool sollen künftig das Bild des Waldes bestimmen. Benötigt werden dazu Samenplantagen sowie Importe aus aller Herren Länder. Stellt sich ein eingeschlagener Weg dann einmal als falsch heraus, bleiben durch dieses Vorgehen noch viele andere Pfade offen. Die Vielfalt ist der Schlüssel.

Christian Weber, Mitglied im Waldbesitzerverband und Bevollmächtigter für die Forste des Hauses Schaumburg-Lippe, appellierte deshalb an die Landespolitik, möglichst viele Baumarten auch finanziell zu fördern, etwa die Küstentanne, die Douglasie oder die Roteiche. „Bitte keine Begrenzung auf heimische Arten!“ Zudem regt er an, den Privatwaldbesitzern, die unter sich 95 Prozent der bewaldeten Fläche Niedersachsens aufteilen, gewisse Freiheitsgrade einzuräumen, um bestimmte Dinge einfach ausprobieren zu können.

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So soll der Wald der Zukunft sein: Möglichst abwechslungsreich, um für alle künftigen Herausforderungen gewappnet zu sein. | Foto: GettyImages/rusm

Boden kartieren: Die Landesforsten sind recht erfolgreich damit gewesen, eine Standortkartierung für ihre Wälder vorzunehmen. Aus diesen Datensammlungen kann nun abgelesen werden, welche Güte ein Boden hat, auf dem ein Wald steht, und wie es sich dort mit entscheidenden Parametern verhält, etwa der Bodenfeuchte. Doch landesweit ist dieses Kartenmaterial bei weitem noch nicht vorhanden. Das Unterfangen ist kompliziert – nicht nur wegen des reinen Aufwands, sondern auch wegen datenschutzrechtlicher Hürden, wenn es an die Flächen von Privatleuten geht. „Wir haben bei der Standortkartierung noch ein wahnsinniges Loch“, erklärte Rudolf Alteheld von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in der Ausschuss-Anhörung. „Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, sind wir in 30 Jahren noch nicht fertig“, beklagte er. Hier sollte das Land nachhelfen, so der Wunsch der Praktiker.

Betriebe beraten: Der Wald in Niedersachsen gehört also vielen, sehr vielen Einzelpersonen, die teilweise nicht sonderlich viel über ihr Stück Land zu wissen scheinen. Was sich bei der Standortkartierung aber als hinderlich darstellt, kann beim Umbau des Waldes nun von Vorteil sein. Das glaubt zumindest Alteheld von der Landwirtschaftskammer. „Die privaten Waldbesitzer sind teilweise nicht qualifiziert“, sagte er und folgerte daraus optimistisch: „Diese Waldbesitzer werden tun, was wir ihnen sagen.“ Was es dafür brauche, seien „Übersetzer in der Fläche“ – also Förster.

„Irgendwer muss den forstlich nicht gebildeten Waldbesitzern das ‚Löwe‘-Programm erklären.“ Doch hier sieht man noch Nachbesserungsbedarf, denn landesweit gebe es für den Privatwald lediglich fünf Forstämter. Zur Veranschaulichung dieses Problems wählte Alteheld einen Größenvergleich: Das Forstamt Weser-Ems sei zuständig für eine Fläche, die größer sei als das Bundesland Thüringen. In der staatlichen Unterstützung für Angebote der einzelbetrieblichen forstlichen Beratung sieht Alteheld „die größte Verantwortung, aber auch die größte Möglichkeit“ für das Land, um lenkend einzugreifen.

Ein Dauerwald aus standortgemäßen, heimischen Laubbaumarten schützt am wirksamsten vor den Klimafolgen.

Die ungehörte Stimme: Während die geladenen Experten ihre Positionen darlegten, saß Susanne Gerstner auf der Besucherbank und schüttelte gelegentlich mit dem Kopf. Die Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen war diesmal nicht als Fachkundige geladen – und damit eine Stimme nicht vernehmbar, die in den vergangenen Jahren in dieser Frage noch mehr Gehör gefunden hatte. „Der BUND unterstützt das Ziel des Entschließungsantrags, klimarobuste, naturnahe Wälder zu entwickeln“, erzählte sie dem Politikjournal Rundblick anschließend.

Doch in Details weicht ihre Position ab: Erklärtes Ziel müsse ein Dauerwald aus standortgemäßen, heimischen Laubbaumarten sein, sagte sie. „Dieser schützt am wirksamsten vor den Klimafolgen, wirkt positiv auf die Neubildung von Grundwasser und die Artenvielfalt und ist deutlich weniger waldbrandgefährdet als Nadelholz.“ Als tatsächlichen Widerspruch zu den Zielen des Antrags sieht Gerstner die im Landesraumordnungsprogramm ausgewiesenen Vorranggebiete Wald stärker für Windkraft zu nutzen. „Eingriffe in Waldschutzgebiete und historische Waldstandorte müssen deshalb absolut tabu sein, Kalamitätsflächen müssen zu klimastabilen, naturnahen Wäldern entwickelt werden.“