Nicht wissenschaftlich, in Teilen antisemitisch, extrem einseitig: In dem Gutachten zum umstrittenen Seminar an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) wird ein eklatantes Versagen der Verantwortlichen in Hildesheim deutlich. Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, stellte gestern in Hannover sowohl der Öffentlichkeit als auch dem zuständigen Landtagsausschuss ihr Gutachten vor. „Das Seminar hatte etwas von einer Theaterinszenierung. Das hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun“, erklärte sie.

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Schüler-Springorum hat unter anderem die Beurteilungen der Studenten von 2006 bis 2016 geprüft. Daraus ging hervor, dass es von Beginn an in jedem Semester zum Teil massive Kritik an dem Seminar gegeben hatte. Dabei wurden der Dozentin laut Gutachten unter anderem „explizit nicht nur anti-israelische, sondern auch antisemitische Bemerkungen“ vorgeworfen und an das Dekanat appelliert, die studentischen Sorgen ernst zu nehmen. Schüler-Springorum berichtete, das Seminar sei von Studenten als „hochemotional, nicht wissenschaftlich, nicht objektiv“ beschrieben worden. „Man hätte seitens der Fakultät reagieren müssen“, stellte die Gutachterin fest. Der Fokus des Seminars habe sich in den zehn Jahren auch nicht geändert. Es habe keinen textkritischen Umgang in dem Seminar gegeben, obwohl in einigen Texten antisemitische Klischees enthalten waren oder die Legitimation Israels in Frage gestellt wurde.

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Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Klajic nannte die Ergebnisse erschreckend. „Die Studierenden haben sich in ihren Beurteilungen des Seminars sehr viel reflektierter gezeigt als die dafür Verantwortlichen“, sagte die Ministerin. Israelfeindlichkeit und Antisemitismus seien völlig inakzeptabel, erst recht, wenn sie an Hochschulen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit daherkämen. Das Ministerium plant jetzt unverzüglich eine Zielvereinbarung zur Qualitätssicherung mit der HAWK. Zudem unterstützt man zur hochschulinternen Aufarbeitung die Einrichtung einer fakultätsübergreifenden Kommission. Darüber hinaus sollen zusammen mit der Landeshochschulkonferenz neue Standards zur Qualitätssicherung bei Lehrbeauftragten erarbeitet werden.

"Das hatte mit Wissenschaft nichts zu tun": Vorstellung des Gutachtens der TU Berlin mit Stefanie Schüler-Springorum und Ministerin Heinen-Klajic (v.l.n.r.)  -  Foto: MB.

„Das hatte mit Wissenschaft nichts zu tun“: Vorstellung des Gutachtens der TU Berlin mit Stefanie Schüler-Springorum und Ministerin Heinen-Klajic (v.l.n.r.) – Foto: MB.

Schüler-Springorum bemängelte, in Deutschland gebe es keine Kultur der Evaluation. Das betreffe nicht allein die HAWK. Die Probleme reichten dabei von der Ansicht „Als Hochschullehrer hat man das nicht nötig“ bis zur Skepsis bezüglich einer Kontrolle, die die Freiheit von Forschung und Lehre einschränken könnte. „Aber da muss man ran“, machte die Professorin deutlich.  Das betreffe auch die Anzahl der freien Lehrbeauftragten. In der betroffenen Fakultät habe es 23 Professoren und 84 freie Lehrbeauftragte gegeben. „Da kippt das Evaluierungssystem.“

CDU-Fraktionsvize Jörg Hillmer kritisierte, durch das Gutachten gebe es keine neuen Erkenntnisse. „Es bestätigt eins zu eins das Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung, das bereits seit Herbst vergangenen Jahres vorliegt. Der Vorwurf des Antisemitismus wurde erneut bestätigt. Die Ministerin hätte schon damals entschlossener agieren und gemeinsam mit der Hochschule Konsequenzen ziehen müssen“, sagte Hillmer dem Rundblick. Die SPD-Abgeordnete Thela Wernstedt nannte die fehlende Diskussionskultur in dem Seminar erschreckend. Sie sprach im Wissenschaftsausschuss des Landtages von einem Alarmzeichen für alle anderen Universitäten.

HAWK-Präsidentin Christiane Dienel, die bereits ihren Rückzug angekündigt hat, fühlt sich derweil offenbar ungerecht behandelt. Informationen des Rundblicks zufolge soll Dienel Anfang September noch zu Vertragsverhandlungen im Wissenschaftsministerium gewesen sein, zu einem Zeitpunkt also, zu dem das Ministerium bereits das Gutachten der TU Berlin in Auftrag gegeben hatte. Dabei soll angeblich sogar von einer Gehaltserhöhung die Rede gewesen sein, weil sie sich um die Weiterentwicklung der Hochschule verdient gemacht habe.