Die umstrittene Präsidentin der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim, Christiane Dienel, bleibt im Antisemitismus-Skandal unter Druck. Das Wissenschaftsministerium will nun erst über ihre Berufung für eine zweite Amtszeit entscheiden, wenn das Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin vorliegt. Bis zum 15. November wollen die Berliner Wissenschaftler klären, ob es in dem umstrittenen Seminar eindeutig antisemitische Inhalte gegeben hat. Zahlreiche andere Wissenschaftler haben daran keinen Zweifel. Eine Sprecherin des Wissenschaftsministeriums sagte, der Senat habe Dienel für die zweite Amtszeit gewählt. „Von einer Berufung kann nur abgewichen werden, wenn dieser Berufung rechtliche Gründe entgegenstehen. Deshalb müssen wir das Gutachten abwarten.“

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Gestern war ein weiteres Schreiben aus dem Juni 2011 aufgetaucht. Die Organisation „Akademiker für Frieden im Nahen Osten“ hatte sich in einem Schreiben an HAWK-Dekanin Christa Paulini und, nachrichtlich, auch an die Präsidentin Christiane Dienel gewandt und auf das umstrittene Seminar hingewiesen. „Nach kurzer Einsicht in die Lehrmaterialien wird sofort klar, dass hier der Nahostkonflikt völlig einseitig dargestellt wird und so die Studierenden massiv in ihrer Meinungsbildung beeinflusst werden“, heißt es in dem Schreiben. In dem Seminar gebe es „völlig unakzeptable weltverschwörerische, antisemitische und antiamerikanische Stellungnahmen“. Eine Antwort erhielt Ralf Schumann, Verfasser des Schreibens, nach eigenen Abgaben von der HAWK damals nicht. Auch im Wissenschaftsministerium wusste man nicht, dass bereits 2011 auf das Seminar hingewiesen wurde. „Diese E-Mail hat uns überrascht“, sagte die Ministeriumssprecherin gestern.

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Auch im Landtag wächst der Unmut über die Hochschulpräsidentin. „Ich erwarte von Frau Dienel, dass sie jetzt eine öffentliche Erklärung abgibt und endlich einräumt, dass diese Seminare falsch waren, weil die Inhalte antisemitisch sind“, sagte Michael Höntsch, Sprecher gegen Antisemitismus in der SPD-Fraktion, dem Rundblick. Es müsse sichergestellt werden, dass sich derartiges an der HAWK nicht wiederholen könne. Der wissenschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Ottmar von Holtz, meint, die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre dürfe nicht als Begründung dafür herhalten, antisemitische Inhalte in Seminaren einzubauen. „Den erhobenen Vorwürfen muss gewissenhaft nachgegangen werden.

CDU-Vizefraktionschef Jörg Hillmer meint zum jetzt aufgetauchten Schreiben: „Das dokumentiert, dass die Hochschule nicht mit offenen Karten spielt.“ Sie habe den Brief ohne Not verschwiegen. Dienel selbst hatte auf einer Podiumsdiskussion vor zwei Wochen noch gesagt, sie habe erst durch ein Schreiben des Zentralrats der Juden an die Staatskanzlei im August 2015 von den Vorwürfen erfahren. Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung sagte sie, das Schreiben aus dem Juni 2011 habe sie „nicht in Gänze“ gelesen.

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Die Präsidentin will jetzt den Vorkommnissen offenbar doch noch einmal näher auf den Grund gehen. Am späten Nachmittag fand an der betroffenen Fakultät der HAWK eine außerplanmäßige Sitzung statt. „Zu spät“, meint der CDU-Parlamentarier Hillmer. Man habe allzu lange den Mief geduldet und reagiere erst jetzt, nachdem der öffentliche Druck immer größer wird.

 

 

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Audio I: Die Sprecherin des Wissenschaftsministeriums im O-Ton

Audio II: Der Stand der Dinge in 96 Sekunden

Reportage: Schicksalsabend für die HAWK-Präsidentin