Die deutsche Sprache entwickelt sich rasant – und über Regeln der Rechtschreibung herrscht Verunsicherung. Der Rat für Rechtschreibung, dem der frühere niedersächsische Staatssekretär Josef Lange seit Anfang dieses Jahres vorsitzt, soll für Ordnung sorgen. Mit Josef Lange sprachen Martin Brüning und Klaus Wallbaum.

Es lehbe die Rächtschreibunk – Foto: MB.

Rundblick: Seit Jahresbeginn sind Sie, Herr Lange, der Vorsitzende des Rates für deutsche Rechtschreibung. Kann man Sie – auch deshalb, weil sie einst bei Josef Ratzinger geprüft worden sind – als neuen „Rechtschreib-Papst“ bezeichnen?

Lange: Der Rat, dem vorzusitzen ich die Ehre habe, soll die deutsche Sprache „behutsam fortentwickeln“. Er ist ein Gremium von deutschen, österreichischen, schweizerischen Vertretern und solchen aus Liechtenstein, Südtirol und der deutschsprachigen Gemeinschaft aus Belgien. Die Luxemburger sind kooptiert. Sie sehen an der Zusammensetzung schon: Es geht um Ausgleich und Moderation, nicht etwa darum, dass der Vorsitzende vorpreschen soll. Das soll er gerade nicht. Wir können nicht agieren wie die Akademie Francaise in Frankreich eine Institution, die zentral für das ganze Land etwas vorgeben kann. In Deutschland ist die Sprache sehr stark regional bestimmt – und eine Angleichung wurde lange blockiert, auch von den Preußen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts gab es entschlossene Schritte der Vereinheitlichung.

Rundblick: Früher hieß es: In Zweifelsfällen greift man zum Duden, dort steht es. Gilt das heute nicht mehr?

Lange: Nicht mehr so wie damals. Bis in die fünfziger und sechziger Jahre lieferte der Duden eindeutig die Richtschnur, was aber an sich schon ökonomisch fragwürdig ist, bedeutete das doch eine Privatisierung der Regelsetzung in der Sprache. Heute kümmern sich mehrere Akteure um das Thema, sie sind in unserem Rat vereint. Es gibt neben der Duden-Redaktion das Wahrig-Wörterbuch, dessen Korpus vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim erworben wurde. Hier wird ein riesiges Volumen an Wörtern gepflegt und entwickelt – und die Duden-Redaktion greift oft schneller darauf zurück als der Rat, der die Sprachentwicklung eher langfristig beobachtet und begleitet. Aber die Duden-Redaktion und die die Vertreter des Wahrig sind eingebunden in die Arbeit unseres Rates, ebenso wie dpa, der Bund deutscher Zeitungsverleger und das Pen-Zentrum für die Schriftsteller, auch wenn dessen Vertreter nach zwei Sitzungen wieder ausgezogen waren und bisher nicht zurückgekehrt sind.

Rundblick: Und ihr erstes Urteil: Wie steht’s um unsere Sprache?

Lange: Sie entwickelt sich ständig weiter. Im 20. Jahrhundert hat sich der Wortschatz um etwa ein Drittel ausgeweitet. Vor allem in politisch aufgewühlten Zeiten kommen neue Begriffe und Redewendungen hinzu – so beim Übergang vom Kaiserreich auf die Weimarer Republik, zu Beginn der NS-Zeit in den dreißiger Jahren und von 1948 an, als sich im Nachkriegsdeutschland zwei Staaten herausbildeten – mit bis heute unterschiedlichen Sprachformen im Westen und Osten. In Niedersachsen werden Vorgänge mit bestimmten Fakten „unterlegt“, in Thüringen „untersetzt“. Gemeint ist dasselbe.

Rundblick: Es verschwinden doch auch Begriffe und Formulierungen…

Lange: Ja, „zuvörderst“ beispielsweise. In manchen Vorträgen benutze ich das gern, weil die Leute dann aufhorchen – denn viele haben das sehr lange nicht mehr gehört. Auch der Satz: „Es gebietet die Höflichkeit, dass…“ wird nur noch selten verwendet. Schade eigentlich. Andere Begriffe kommen hinzu, „googlen“ etwa oder „twittern“ oder „downloaden“. Dann geht es um die Frage: Heißt es nun „Ich habe downgeloadet“ oder „ich habe gedownloadet“. Ich weiß es auch nicht – aber meine Aufgabe ist es dann, den Ball flach zu halten: Regt euch nicht auf, wir schauen uns das an und geben beizeiten einen Rat, wie damit umzugehen wäre.

Rundblick: Wie macht der Rat das denn?

Lange: Anfang März ist die erste Sitzung unter meiner Leitung, und wir haben ein Gremium mit Befürwortern und Gegnern der Rechtschreibreform. Es wird dann auch um die Frage gehen, ob die Details der in den neunziger Jahren beschlossenen Reform nun verwirrend sind und ursächlich für manche aktuellen Probleme, oder ob die Schuldzuschreibung nicht zutrifft. Wir werden das vermutlich in einer Arbeitsgruppe untersuchen. Einige, die gegenwärtig über die Rechtschreibreform urteilen, führen die Schlachten der vergangenen Jahrzehnte. Das hilft uns aber nicht weiter. Daneben geht es auch um Details: Soll beispielsweise ein „ß“ auch in Großbuchstaben geschrieben werden und nicht als „SS“. Die Schweizer sind dagegen, in Deutschland aber wäre es sinnvoll, weil im deutschen Passwesen Familiennamen groß geschrieben werden. Zwischen „Roßmann“ und „Rossmann“ würde man dann keinen Unterschied machen – mit fatalen Folgen einer möglichen Namensverwechselung.

Rundblick: Haben Sie eigentlich Sorge um die Entwicklung der Sprache?

Lange: Ja. Das von Bund und Ländern getragene Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) hat 25.000 Neuntklässler geprüft und festgestellt, dass zwei Drittel die Rechtschreibregeln beherrschen, ein Drittel hingegen nicht. Wir werden das prüfen und fragen, ob das an der Schwierigkeit der Rechtschreibregeln liegt, an der mangelhaften Vermittlung der Rechtschreibregeln oder daran, dass die Schüler heute von Rechtschreibung an sich zu wenig verstehen. Eines ist auf jeden Fall wichtig: In der Schule muss auch außerhalb des Deutschunterrichtes auf korrektes Schreiben geachtet werden, in Geographie-, Biologie- und Geschichtsunterricht auch. Sonst werden die Schüler irgendwann die Mathe-Textaufgaben nicht begreifen. Wichtig ist auch, die Auswüchse von Fachsprachen, etwa das leidige Verwaltungsdeutsch, einzudämmen. Wir brauchen dafür Übersetzungen in allgemeinverständliches Deutsch.

Rundblick: Erreichen die Politiker mit ihrer Sprache die Menschen noch?

Lange: Sprache kann in der Politik zur Waffe werden – sie darf es aber nicht. Die Veränderung des öffentlichen Diskurses über neue Medien führt dazu, dass kurze und knappe Sätze immer stärker gefragt sind. Das führt zur Vereinfachung von Sachverhalten, Sprache wird unter Umständen schablonenhaft, das ausführliche Gespräch über Begriffe und Positionen, das ein Verständnis erst möglich macht, fällt weg. So etwas kann zur Verarmung der Sprache führen – und wir müssen aufpassen, dass dies nicht passiert. Die politisch Verantwortlichen sind in der Pflicht, verständlich und auch bildmächtig zu sprechen. Sie dürfen die Bedeutung einer guten Rede nicht unterschätzen.