Dass sich Parlamente selbst auflösen, ist in der Bundesrepublik nichts Außergewöhnliches mehr. Schon öfter hat es das gegeben. Trotzdem ist dieser Vorgang, für den sich heute im Landtag eine breite Mehrheit der Abgeordneten aussprechen dürfte, schon etwas Besonderes.

Beschließt heute die Selbstauflösung: Der niedersächsische Landtag – Foto: MB.

Normalerweise beträgt die Wahlperiode fünf Jahre, das Parlament hat in dieser Zeit die Aufgabe, die Regierung zu wählen, ihr Handeln zu kontrollieren und Gesetze auf den Weg zu bringen. Wenn sich die Mehrheiten im Parlament ändern, wie es Anfang August mit dem Übertritt von Elke Twesten (Grüne) zur CDU geschah, ist üblicherweise der Weg zu vorgezogenen Neuwahlen kein naheliegender Schritt. Die Verfassung sieht vielmehr das „konstruktive Misstrauensvotum“ vor, mit dem die neue Landtagsmehrheit den Ministerpräsidenten stürzen und einen Kandidaten ihrer Wahl zum Nachfolger wählen kann. Dieser würde dann im nächsten Schritt eine neue Regierung bilden.

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Doch es gibt einen wichtigen Grund, warum das „konstruktive Misstrauensvotum“ in der aktuellen Regierungskrise keine Rolle spielt, warum die FDP es von vornherein ablehnte und auch die Stimmen in der CDU zugunsten dieser Variante in der Minderheit blieben: Der Übertritt von Twesten zur CDU geschah sehr spät, wenige Monate vor der ohnehin anstehenden Landtagsneuwahl. Es hätte zunächst Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP geben müssen, die mindestens einen Monat dauern, sodass frühestens im September über das Misstrauensvotum abgestimmt worden wäre.

Die Regierungsbildung wäre, nach einer dann vermutlich erfolgreichen Wahl des CDU-Kandidaten Bernd Althusmann im Landtag,  wohl erst im Oktober abgeschlossen gewesen – und von dort bis zur regulären Landtagswahl wären dann nur noch zweieinhalb Monate Zeit gewesen. Einerseits hätten Regierung und Landtagsmehrheit in dieser kurzen Phase kaum etwas gestalten können, andererseits wären zweieinhalb Monate aber auch zu lang gewesen, um völlig ohne neue Regierung auskommen zu können. Wenn CDU und FDP sich entschieden hätten, in dieser Zeit eine rot-grüne Minderheitsregierung von Stephan Weil zu tolerieren, hätten sie sich früher oder später dem Vorwurf ausgesetzt, gar keinen eigenen Machtanspruch zu haben.

Nach dem Landtagsbeschluss tickt die Verfassungs-Uhr

Sobald der Landtag heute seine Auflösung beschließt, läuft laut Verfassung eine Uhr – binnen zwei Monaten muss die Neuwahl angesetzt werden. Die Landesregierung hat das vergangenen Dienstag schon vorsorglich getan und den 15. Oktober festgesetzt. Obwohl sich der Landtag aufgelöst hat, ist er bis zur Neukonstituierung des neuen Landtags nach der Landtagswahl weiter arbeitsfähig. Er kann Gesetze beschließen, aktuelle Debatten ansetzen und den parlamentarischen Betrieb in vollem Umfang weiterführen. Nur die Rücknahme des Auflösungsbeschlusses ist nicht mehr möglich.

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, dass noch einige Gesetze Mitte September das Plenum durchlaufen sollen – es sind unspektakuläre Rechtsänderungen, die zumeist auf geänderten Bundesgesetzen beruhen oder die nötig sind, weil ohne eine zügige Gesetzesanpassung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren droht. Spannend wird zu beobachten sein, ob CDU und FDP der Versuchung widerstehen, in einigen Fragen ihre neue Mehrheit auch für richtungsweisende Schritte im Landtag zu nutzen. Was die beiden Untersuchungsausschüsse zum Islamismus und zur Vergabepraxis der Landesregierung angeht, scheint die Marschrichtung klar: Der Islamismus-Ausschuss dürfte keine weiteren Zeugen vernehmen, die Fraktionen arbeiten an einem Abschlussbericht.

Der Vergabe-Ausschuss will nach dem Wunsch von CDU und FDP seine Aufklärungsarbeit fortsetzen. Bis zum September-Plenum wird der Abschlussbericht nicht fertig, er dürfte erst danach dem Landtag zugeleitet werden – doch eine Debatte im Landtagsplenum ist nicht mehr möglich, da es keine Landtagssitzung mehr geben dürfte.