Selbst wenn nach all den Wirren und Unwägbarkeiten in London am Ende tatsächlich ein „harter Brexit“ das Ergebnis sein sollte, schockt das die Landespolitik in Hannover nicht. Die niedersächsische Ministerin für Europapolitik, Bundes- und Regionalangelegenheiten, Birgit Honé (SPD), spricht von einer „guten Vorbereitung“ auf einen Ernstfall.

Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé – Foto: kw

„Wir haben alles Menschenmögliche getan, den Herausforderungen gewachsen zu sein“, betonte sie. Im Aufenthaltsrecht, im Arbeitsrecht und im Beamtenrecht seien die wichtigen Schritte inzwischen festgelegt, die enge Kooperation mit dem Bund und mit der EU habe das bewirkt. So könnten im Fall der Fälle (ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Übergangsregeln) die hier tätigen Briten Beamte bleiben, auch wenn sie keine EU-Bürger sind. Ansprüche auf Sozialversicherungen blieben anerkannt, die 8500 in Niedersachsen wohnenden Briten müssten dann nur Zug um Zug ihren Aufenthaltsstatus in den Kommunen klären. Die Veterinärämter seien auf Lebensmittelkontrollen beim Fleisch- und Tierhandel vorbereitet, die Mitarbeiter der Häfen seien dafür auch geschult. Eine Verknappung von Arzneimitteln drohe nicht.

Wirtschaft bleibt Sorgenkind

Das einzige Sorgenkind bleiben jedoch die Wirtschaft: „Wir wissen nicht und können auch nicht abschätzen, wie sich die Warenströme verändern werden.“ Tatsache sei, dass Großbritannien stärker betroffen sei als die EU. 60 Prozent des Handels im Vereinigten Königreich richten sich bisher auf die EU aus, nur 17 Prozent auf die USA.

Die Hoffnung vieler Brexit-Befürworter in Großbritannien, man werde das Defizit bei der EU mit einem verstärkten Handel mit Amerika ausgleichen, könne trügerisch sein, erklärt Ulrich Hoppe von der Außenhandelskammer in London: „In der USA gilt der Grundsatz: America first – das heißt, jedes Abkommen dürfte recht inhaltsleer sein.“ Hoppe, der deutsche Unternehmen in Großbritannien betreut, stellt dort inzwischen bei vielen eine Neigung fest, einen raschen Brexit durchaus zu befürworten: „Drei Jahre lang dauert die Unsicherheit schon, viele Leute sind es satt und sagen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“

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Honé sieht konkrete negative Folgen zunächst für die Hochseefischer in der Nordsee, die bei einem „harten Brexit“ nicht mehr in britische Hoheitsgewässer fahren könnten – und keine Heringe mehr fangen können. Davon seien zunächst sieben Schiffe mit je 50 Fischern betroffen, aber mittelbar auch an der Küste viele fischverarbeitende Betriebe. Nach einer Bertelsmann-Studie liegt Niedersachsen auf Platz vier im Bundesländervergleich mit einer Brexit-Betroffenheit – ein Verlust des Bruttoinlandsproduktes von 113 Euro jährlich pro Kopf drohe.

Sehr deutlich geht Honé auf Distanz zum Verhalten des neuen britischen Premierministers Boris Johnson. Wenn dieser „mit Kriegsrhetorik“ den Druck auf die Legislative erhöhe, sei das „Europas ältester parlamentarischer Demokratie unwürdig“. Kompromisse und Diplomatie als Mittel der Politik spielten derzeit dort offenbar keine Rolle mehr.


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