Prof. Hermann Butzer, Professor für Öffentliches Recht an der Leibniz-Universität Hannover, beschäftigt sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit dem Parlamentsgeschehen. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick bewertet er das aktuelle Agieren der Opposition im niedersächsischen Landtag – und wirbt für Reformen.

Rundblick: Herr Prof. Butzer, die FDP wirbt im Landtag um eine Mehrheit für ihren Antrag, den Finanzminister zu einer „Selbstreinigung“ vor dem Staatsgerichtshof aufzufordern. Ist das nicht ein wenig schräg?

Prof. Butzer: Ja, das ist es. Man versucht über Umwege, ein bestimmtes Ziel zu erreichen: Der Staatsgerichtshof soll sich mit der Haushaltspolitik der Landesregierung beschäftigen. Ich halte den Schritt der FDP aber für wenig geeignet, zumal das „Selbstreinigungsverfahren“ nach Artikel 40 der Landesverfassung einen ganz anderen Zweck verfolgt: Ein unter Druck stehender Minister soll von sich aus die Chance erhalten, seine Amtsführung überprüfen zu lassen – wenn die Regierung insgesamt das befürwortet. Die Stoßrichtung der FDP ist eine andere, aber das Vorgehen über Artikel 40 ist Ausdruck der Tatsache, dass die Opposition die normalerweise vorgegebenen Möglichkeiten einer juristischen Kontrolle nicht wählen kann oder will.

Rundblick: Die Grünen wollen eine Organklage vor dem Staatsgerichtshof einreichen – das steht jedem Abgeordneten und jeder Fraktion zu. Ist das besser?

Prof. Butzer: Eine Organklage ist naheliegender. Aber auch hier sehe ich Schwierigkeiten. Der Ansatzpunkt der Grünen ist, wenn ich es richtig einschätze, die angeblich mangelhafte Auskunft von Finanzminister Reinhold Hilbers über die neuen Stellen, die in den Ministerien geschaffen werden sollen – und über die Folgen der mit dem Nachtragshaushalt geplanten Mehrausgaben in den nächsten Jahren. Aber bei einem Organstreitverfahren geht es darum, ob das Parlament, eine Fraktion oder ein Abgeordneter in seinen Rechten verletzt worden ist. Hier spielt die Verpflichtung der Landesregierung nach Artikel 24 eine Rolle, wonach sie „nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig“ zu antworten hat. Es wird also nicht der Inhalt der Antwort bewertet, sondern es geht nur um die Frage, wie geantwortet werden soll. Die vorgetragene Kritik der Grünen zielt aber auf etwas anderes, nämlich das inhaltliche Anzweifeln der von SPD und CDU gegebenen Antworten. Eine solche inhaltliche Überprüfung des Nachtragshaushaushaltsplans wäre aber nur über ein Normenkontrollverfahren vor dem Staatsgerichtshof möglich – und dafür bräuchten die Grünen die Zustimmung von einem Fünftel des Parlaments. Das wäre also nur denkbar, wenn auch FDP und AfD dem Ansinnen zustimmen. Wenn man das täte, müsste sich das Gericht inhaltlich damit auseinandersetzen, beispielsweise ob die Begründung für das Haushaltsgesetz ausreichend ist und ob die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit berücksichtigt wurden.

Rundblick: Also führt der Grünen-Vorstoß in die Irre?

Prof. Butzer: Ich halte das für unwahrscheinlich, denn die Initiative geht „von hinten durch die Brust ins Auge“ – es wird also etwas bezweckt, das mit dem gewählten Mittel eigentlich nicht erreicht werden kann. Der Staatsgerichtshof müsste dann ein Verfahren, das darauf zielt, das Verhalten eines Teilhabers an der Staatsgewalt (Minister Hilbers) gegenüber den Oppositionsfraktionen an der Verfassung zu messen, überaus weit auslegen. Einsteigen müssten die Richter in die inhaltliche Kontrolle des Haushaltsgesetzes über die mögliche Verletzung des Auskunftsrechts.

Rundblick: Was raten Sie nun, müssen Grüne, FDP und AfD sich zusammenraufen – denn dann hätten sie ja das nötige 20-Prozent-Quorum für eine Normenkontrollklage vor dem Staatsgerichtshof?

Prof. Butzer: Ich sehe Handlungsbedarf. Zwingend wäre meiner Meinung nach eine Verfassungsänderung, wenn die Opposition zusammen nicht das nötige Fünftel erreichen würde. Dann könnte nämlich die Opposition ihrer Kontrollaufgabe nicht mehr effektiv nachkommen. Das ist jetzt zwar nach den Abgeordnetenzahlen nicht so. Aber die Opposition in Niedersachsen ist derzeit fragmentiert, es gibt zwischen Grünen, FDP und AfD keine Gemeinsamkeiten – auch schon zwischen Grünen und FDP sind die Schnittmengen begrenzt. Deshalb sollten die Politiker darüber nachdenken, ob nicht die Quoren generell abgesenkt werden sollten. Was spräche dagegen, die Möglichkeit einer Normenkontrollklage in Bückeburg jeder Fraktion zuzubilligen oder die Mindestzustimmung an fünf Prozent des Landtags zu koppeln? Das würde die Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten der Opposition, wie wir sie derzeit im Landtag erleben, aufheben. Die Zahl der Klagen, die beim Staatsgerichtshof vorliegen, ist bisher sehr überschaubar geblieben. Eine Änderung, denke ich, würde nicht zu einem sprunghaften Anstieg führen. Von einer Überlastung der Richter ist also nicht auszugehen.

Rundblick: Gäbe es nicht aber die Gefahr, dass Klagen für politisch vordergründige und populistische Zwecke missbraucht werden?

Prof. Butzer: Jede Fraktion wird sich auch dann genau überlegen, wann sie den Weg nach Bückeburg beschreitet. Die Parteien im Landtag stehen doch unter der Kontrolle der Medien – und die dürften eine Gruppierung, der es in Bückeburg nicht um die Sache geht, sehr schnell entlarven.

Rundblick: Also raten Sie zu einer Verfassungsänderung?

Prof. Butzer: Es gibt viele Gründe dafür.