Ob unzureichende Digitalisierung oder ein sich verstärkender Lehrermangel: Die Sorgen der allgemeinbildenden Schulen teilen die Berufsschulen in gleichem Maße. Hinzu kommen allerdings noch ganz andere Herausforderungen, wie etwa lange Wegstrecken zwischen Schule und Ausbildungsbetrieb, eine hohe Abbrecherquote und sinkende Schülerzahlen, die die Verlässlichkeit der Berufsschulstandorte zunehmend gefährden. Mit einem gemeinsamen Forderungskatalog wollen die IHK Niedersachsen und die vier niedersächsischen Berufsschulverbände der Politik nun Ratschläge an die Hand geben, wie sich die berufsbildenden Schulen künftig modern aufstellen müssen, um bestehen zu können. „Eine wohnortnahe Beschulung ist besonders wichtig für unsere Unternehmen, sonst bekommen wir immer weniger junge Leute in die Ausbildung“, warnt die IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. „Wir wissen aus allen Befragungen, dass Ausbildungsplätze auch nach Wohnort ausgesucht werden.“

Fordern mehr Unterstützung für Berufsschulen (von links): Uwe Backs (NDVB), Ralph Böse (BLVN), Maike Bielfeldt (IHKN), Carsten Melchert (SLVN), Joachim Maiß (VLWN).| Foto: Pohlmann/IHK Hannover

Sinkende Auszubildendenzahlen wirken sich nun allerdings auch auf die Arbeit der Berufsschulen aus. Da eine Mindestgröße von sieben Schülern pro Klasse vorgegeben ist, bangen vor allem kleinere und ländlichere Standorte um ihr Bestehen – obwohl konkrete Schließungen derzeit nicht diskutiert werden. Eine mögliche Folge könnte eine wachsende Konzentration auf die Oberzentren sein, was sich negativ auf die Ausbildungssituation in den ländlichen Regionen Niedersachsens auswirken könnte. Eine weitere Option wäre es, bestimmte Ausbildungsgänge nur alle zwei Jahre anzubieten, was für die ausbildenden Betriebe schwierig wäre.

Eine Vorgabe aus dem niedersächsischen Kultusministerium bereitet den Berufsschulverbänden großes Kopfzerbrechen. Dabei wird festgelegt, welche Ausbildungsgänge in einer Klasse zusammengelegt werden dürfen. Bielfeldt appelliert gemeinsam mit den Verbandsvertretern Ralph Böse (BLVN), Carsten Melchert (SLVN) Uwe Backs (NDVB) und Joachim Maiß (VLWN) für mehr Flexibilität und größere Freiheiten in den Berufsschulen. Als Beispiel führt die IHKN-Chefin an, dass selbstverständlich ein Florist nicht mit einem Koch gemeinsam beschult werden könnte, angehende klassische Kaufleute aber durchaus mit denen aus dem Bereich des Online-Handels.



Neben den wohnortnahen Berufsschulstandorten zähle auch ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) zu den Grundvoraussetzungen für eine sichere berufliche Bildung in Niedersachsen. Für junge Menschen sei es häufig schwierig, nach dem späten Feierabend im Restaurant- oder Hotelbetrieb noch nach Hause zu kommen, geschweige denn die Ruhezeiten bis zum Schulbeginn am nächsten Tag einzuhalten, wenn sie auf den selten fahrenden Bus angewiesen sind, sagt Bielfeldt. Die Verbandsvertreter appellieren deshalb an die Politik auf Landes- und kommunaler Ebene, beim ÖPNV-Ausbau auch die Interessen der Berufsschüler im Blick zu behalten, die nicht auf das klassische Schulbussystem zurückgreifen könnten.

Verbände und IHK wünschen sich ein „Learning Lab“

In ihrem Positionspapier sprechen sich die vier Verbände und die IHKN zudem für die Errichtung eines Landesinstituts für Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften aus. Dieses sogenannte „Learning-Lab“ könne beispielsweise beim niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) angesiedelt werden oder Teil einer Universität sein, schlagen sie vor. Inhaltlich sollte die Einrichtung auf drei Säulen stehen und sich um Technik, Pädagogik und Fortbildung kümmern. Vor Ort sollte die technische Infrastruktur bereitgestellt werden, mit der zukunftsweisender Unterricht unter realen Bedingungen ausprobiert und daraus Lehr- und Lernkonzepte erarbeitet werden können. „Anders als in Hamburg oder Schleswig-Holstein gibt es in Niedersachsen noch immer kein einheitliches Institut für die Lehrerfort- und -weiterbildung“, beklagt Bielfeldt. Im Kultusministerium zeige man dafür wenig Interesse, heißt es.


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Attraktivere Berufsschulen wollen die Verbände zudem dadurch schaffen, dass den Schulleitungen insgesamt mehr Flexibilität eingeräumt wird. Dies bezieht sich sowohl auf die Stellenbewirtschaftung als auch auf Lehrerarbeitszeitmodelle, das Qualitätsmanagement oder die Eigenwerbung. Auch sollen künftig multiprofessionelle Teams mit Sozialarbeitern, Digitalexperten, Mitarbeitern der Übungsfirmen und Verwaltungskräften die Lehrer von zusätzlichen Aufgaben entlasten, damit diese sich um ihr Kerngeschäft kümmern können. Neben der Ausbildung der vorhandenen Schüler zählen die Berufsschulverbände dazu auch die Information über Ausbildungsmöglichkeiten. Von einer besseren Berufsorientierung an der allgemeinbildenden Schule erhoffen sich die Verbände eine geringere Abbrecherquote in der späteren Berufsschule. Auch ein Coachingsystem soll dies unterstützen.