Erst ein Jahr ist es her, da trat eine neue Krise beim ostfriesischen Windkrafthersteller Enercon auf. Die Schwierigkeiten der Branche, ausgelöst auch durch den wachsenden Widerstand in Deutschland gegen neue Windkraftanlagen, hatten zu düsteren Prognosen und angekündigtem Stellenabbau geführt. Die Nachricht traf Ostfriesland, die Kreise Aurich, Leer und Wittmund, wie ein Schlag. Denn Enercon ist hier ein Leuchtturm, ein inzwischen weltweit aktives Unternehmen, das in den vergangenen Jahrzehnten für hohe Steuereinnahmen und eine aufwärtstreibende Wohlstandsentwicklung in der Region gesorgt hat.


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Wie VW zu Wolfsburg zählt und die Stadt prägt, ist es mittlerweile auch mit Enercon und Aurich. Nun kam auf einmal wieder eine eingetrübte Stimmung. Man könne doch, sagten einige Landespolitiker im vergangenen Jahr, die bei Enercon nicht mehr benötigten Mitarbeiter im benachbarten Emsland einsetzen, konkret in einem anderen riesigen, die dortige Region ebenfalls stark prägenden Unternehmen – nämlich der Meyer-Werft, einer traditionsreichen und florierenden Schiffbaufirma, die seit rund 40 Jahren vor allem auf prachtvolle Kreuzfahrtschiffe konzentriert ist.

Krise bei Enercon, der Meyer-Werft und VW in Emden

Heute käme auf die Idee wohl keiner mehr, denn mittlerweile sind die Aussichten für die Meyer-Werft noch schlechter als die für Enercon, wo sich immerhin mit der Änderung von Rechtsvorschriften und der Notwendigkeit für mehr erneuerbare Energie kleine neue Hoffnungsschimmer zeigen. Windkraftanlagen sind künftig in Niedersachsen etwa auch in Wäldern kein Tabu mehr. Die Corona-Krise hat bei Meyer den Markt weltweit zum Erliegen gebracht. Weil derzeit niemand mehr in einem Kreuzfahrtschiff auf Weltreise gehen will, hat die Werft keine Aufträge mehr – und sie versucht, die bestehenden Aufträge zeitlich zu strecken. Ob das gelingt, hängt wohl stark vom gemeinsamen Willen der Beteiligten ab.

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Krise bei Enercon, Krise bei der Meyer-Werft – und daneben noch die Krise bei VW in Emden, wo ab 2022 nur noch E-Autos produziert werden sollen. In Emden weiß jeder: Dafür werden dann VW sehr viel weniger Mitarbeiter als heute benötigt werden. Zwar hat VW vor wenigen Tagen eine Milliardeninvestition in Emden angekündigt. Offen bleibt aber: Kommen die Zulieferer aus der Gegend zum Zuge, oder solche aus Osteuropa? An den Ausschreibungen dürfte es hängen, ob 3500 oder 6000 Arbeitsplätze auf der Kippe stehen. Viel liegt also daran, was die VW-Führung noch unternehmen wird. Ostfriesland und Emsland sind in der gegenwärtigen Lage nun wahrlich nicht mehr zu beneiden.

„Ostfrieslandplan“ oder „Rettungskonzept“

Im Landtag wird schon über ein Abwehrprogramm gesprochen. Die einen nennen es „Ostfrieslandplan“, wobei sie gedanklich das benachbarten Emsland mit Meyer in Papenburg einbezogen haben, die anderen sprechen schlicht von einem „Rettungskonzept“. Der CDU-Abgeordnete Ulf Thiele wirbelt hinter den Kulissen für eine „Modellregion für innovative Projekte“ und will die Fachhochschule Emden als Partner. Die SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Johanne Modder sucht auch nach Wegen, ins Blickfeld nimmt sie das Amt für regionale Landesentwicklung. Anknüpfungen werden vorgenommen an den „Südniedersachsenplan“, den von 2013 an die damalige rot-grüne Koalition auf den Weg gebracht hatte. Es ging seinerzeit darum, die schwachen Kreise und Städte im Süden bei ihrem Versuch zu unterstützen, Landes-, Bundes- und Europaprogramme anzuzapfen.

Der Vergleich zum Nordwesten hinkt nun deshalb etwas, weil Emsland und Ostfriesland nicht im Ruf stehen, einen Beschleuniger bei der Antragstellung zu benötigen. Sie gelten seit jeher als pfiffig und bleiben von jeglicher Lethargie weit entfernt. Vor der Strukturschwäche hat sie das aber auch nicht bewahrt – VW in Emden dümpelt schon länger dahin, Enercon hatte 2017 einen Einbruch und Ende 2019 erneut. Hier knüpfen sich die Hoffnungen an die Energiewende, die ohne einen stärkeren Ausbau der Windkraft kaum gelingen kann. Ein paar angenehme Anzeichen gibt es, so hat Enercon jüngst einen Auftrag für sechs Windparks mit insgesamt 41 Anlagen im Raum Oldenburg, Diepholz, Nienburg und Verden an Land gezogen. Also ein leichter Optimismus.

Kein Hoffnungsschimmer bei der Meyer-Werft

Bei der Meyer-Werft bleibt ein Hoffnungsschimmer gerade aus – und der Tourismus, ein Kerngeschäft vieler Ostfriesen und Emsländer seit vielen Jahren und mit wachsenden Umsätzen, erlebt derzeit auch einen tiefen Einbruch. Da ist es ein schwacher Trost, dass dies derzeit alle Urlaubsregionen gleichmäßig trifft. Erschwerend kommt nun noch hinzu, dass bei zwei Großunternehmen – Enercon und Meyer-Werft – ein gespanntes Verhältnis zwischen Beschäftigtenvertretung und Geschäftsführung besteht. Enercon weigerte sich viele Jahre lang, die Gründung eines Betriebsrates zuzulassen. Entsprechend schwierig sind wiederholt die Gespräche verlaufen. In der Meyer-Werft herrscht schlechte Stimmung zwischen Firmenleitung und IG Metall. Die Mitarbeitervertretung beharrt darauf, alle rund 3600 Stellen der Stammbelegschaft zu behalten, sie will stattdessen die Leiharbeiter abbauen, die aber für bestimmte Tätigkeiten beim Bau von Kreuzfahrtriesen unerlässlich sind. Eine gegenseitige Verständigung oder auch nur unkomplizierte Kontaktaufnahme scheint schwierig zu sein. Das sind keine guten Voraussetzungen für die Aufgabe, das Unternehmen mit einer neuen Zukunftsperspektive zu versehen.

Ich bin schon enttäuscht, denn zum Paket der Notwendigkeiten gehört es auch, dass die Vertretung der Beschäftigten Vorschläge entwickelt, wie die Branche wieder gesunden kann. Hier ist bisher nichts gekommen.

Vor fünf Jahren bewiesen die Emsländer, Landespolitiker, Kommunen Naturschützer, Gewerkschaften und Firma ihren Weitblick mit dem „Masterplan Ems“: Die Werft kann weiter ihre Schiffe über die Ems in die Nordsee leiten, ein Schritt, der ein Anstauen des Wassers erfordert. Daneben gibt es Schritte für mehr Naturschutz am Fluss – eine Forderung, die von der EU erhoben wurde. Immerhin gelang seinerzeit ein Kompromiss, der die Zukunft des Unternehmens an dem Standort sicherte. Aber heute? Der Dörpener CDU-Landtagsabgeordnete Bernd Busemann sieht bei Meyer ganz viele Ideen, aus der Krise zu kommen. Doch er fügt hinzu: „Ich bin schon enttäuscht, denn zum Paket der Notwendigkeiten gehört es auch, dass die Vertretung der Beschäftigten Vorschläge entwickelt, wie die Branche wieder gesunden kann. Hier ist bisher nichts gekommen.“

Suche nach einem Ausweichprodukt

Was könnte Meyer tun? Die prekäre Lage besteht darin, dass keine neuen Aufträge für Kreuzfahrtriesen vorliegen, die vorhandenen also zeitlich gestreckt werden müssen. Dazu allerdings würden aber wohl, heißt es, 60 Prozent der Stammbelegschaft mittelfristig reichen. Und danach? Meyer will keine Kriegsschiffe bauen, das ist ein Unternehmensgrundsatz. Aber wenn die Kreuzfahrtbranche dauerhaft schwächelt, könnte man Ausweichprodukte finden: Schiffe mit alternativen Antriebsformen wie der Brennstoffzelle, kleinere Kreuzfahrtschiffe mit Pandemie-Schutzkonzepten, Forschungsschiffe oder Krankenhausschiffe. Im Zweifel war Meyer in den vergangenen Jahren oft nicht günstiger als die ausländische Konkurrenz, stand aber für deutsche Wertarbeit und immer auch für einen wenigstens leichten technologischen Vorsprung. Und was kann das Land tun? Bisher zahlt die Werft Überführungsgebühren, wenn ein neues Kreuzfahrtschiff über die Ems in die Nordsee geleitet wird. Diese könnten etwa wegfallen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Wiard Siebels aus Aurich, der Heimat von Enercon, sagt, dass man über viele Details reden und an vielen Stellschrauben drehen kann. „Wichtig ist für mich allerdings, dass wir die Landräte und Bürgermeister einbeziehen. Eine gemeinsame Kraftanstrengung kann vieles Gutes für die Region bewirken.“ (kw)