Der Vorfall liegt 15 Monate zurück – aber nun zeichnet sich deutlicher ab, was damals offenbar geschehen ist. Es geht um einen in der niedersächsischen Landesgeschichte einzigartigen Fall von politischer Urkundenfälschung, vollzogen in einer von Misstrauen und parteiinternem Druck geprägten Atmosphäre im damaligen Landesvorstand der AfD. Zwei manipulierte Briefe kursierten seinerzeit in der Parteiführung, geschrieben in der Absicht, die Funktionäre in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Wäre die Sache seinerzeit nicht aufgeflogen, hätte die AfD in Niedersachsen wohl gar nicht zur Bundestagswahl Ende September 2017 antreten dürfen. Seit gestern nun gibt es Hinweise auf den, der für den Vorfall damals verantwortlich gewesen sein könnte, den damaligen Landesschriftführer. Doch er will den Strafbefehl nicht akzeptieren.

Damals behauptete die AfD noch: Fake News

Das Politikjournal Rundblick hatte die Affäre damals, im Juni vergangenen Jahres, ans Tageslicht gebracht. Nachdem wir berichtet hatten, dass die AfD im Juni immer noch nicht die schon im Februar beschlossene Landesliste zur Bundestagswahl bei Landeswahlleiterin Ulrike Sachs eingereicht hatte, meldete sich umgehend der damalige AfD-Landesgeneralsekretär Jens Kestner (heute Bundestagsabgeordneter) zu Wort. In einer Pressemitteilung beschuldigte Kestner den Rundblick, „Fake News“ verbreitet zu haben, und er fügte hinzu: „Zeitungsenten leben nicht lange“.

Kestner behauptete, schon im Februar sei die Landesliste an Sachs übergeben worden. Als „Beleg“ für diese Aussage veröffentlichte der AfD-Generalsekretär zwei angebliche Schreiben der Landeswahlleiterin, datiert vom 1. und vom 16. März 2017. Eines war eine Eingangsbestätigung für die eingereichte Landesliste, das zweite eine Benachrichtigung, wonach die Liste nur geringfügige Mängel aufgewiesen habe, die von der Landeswahlleitung selbst korrigiert worden seien. Als Sachs von diesen Schreiben erfuhr, bemerkte sie schnell, dass hier jemand gefälschte Mitteilungen mit ihrer Unterschrift verbreitet hatte. Sie stellte Strafanzeige – und löste hektische Betriebsamkeit bei der AfD aus. Bundesweit gingen die Medien auf den Fall ein, die niedersächsische AfD erschien als Verband, der offenbar mit falschen Karten spielt.

Beinahe hätte die AfD nicht antreten können

Was war passiert? Die Aufstellung der AfD-Landesliste für die Bundestagswahl fiel in eine Zeit großer Zerstrittenheit des Landesverbandes. In der Versammlung im Februar in Hannover-Misburg drückte der damalige Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel seine Vertrauten gnadenlos durch, es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, auch Vertreter anderer Lager für aussichtsreiche Plätze zu berücksichtigen. Dies hatte parteiintern Anfechtungen zur Folge, und es häuften sich Beschwerden, einige der sehr komplizierten formalen Bestimmungen des Wahlrechts seien nicht eingehalten worden.

Der Landesvorstand beauftragte den damaligen Landesschriftführer der AfD, die Landesliste mit den Anlagen (Anwesenheitsliste) der Landeswahlleiterin zu übergeben. Wir nennen den Namen dieses Schriftführers hier nicht, da er aus dem Vorstand ausgeschieden und damit keine Person des öffentlichen Interesses mehr ist. Warum er offenbar die Liste nicht wie versprochen einreichte, kann nur spekuliert werden. Hat er es schlicht versäumt, weil er überfordert war? Oder hatte er zeitweise vor, der AfD zu schaden, weil eine versäumte Frist der Einreichung die Nicht-Zulassung zur Wahl zur Folge gehabt hätte? Hat er sich nicht getraut, die eigene Überforderung in seinem Amt mit den Vorstandsmitgliedern zu besprechen – weil er sich vor den Parteifreunden keine Schwäche eingestehen wollte? Was sagt das aus über die Gesprächskultur, die seinerzeit in der AfD-Führung prägend war?

Beinahe hätte das alles dazu geführt, dass es für die AfD vor der Bundestagswahl in Niedersachsen zu spät gewesen wäre. Erst die Strafanzeige von Sachs, ausgelöst nach Kestners Reaktion auf den Rundblick-Bericht, brachte den Fall im Juni 2017 ans Licht – und zwar noch rechtzeitig genug für die AfD, die Liste und die nötigen Dokumente dazu noch nachzureichen und Formfehler zu glätten. Das geschah dann auch, und damit verdanken sieben niedersächsische AfD-Politiker ihr Bundestagsmandat diesem Umstand – darunter sind auch Hampel und Kestner.

Jetzt kommt es wohl zum Prozess

In der AfD herrschte nach dem Vorfall damals intern ein Chaos. Der Schriftführer erklärte nach Bekanntwerden der Strafanzeige, sich die Existenz der beiden Schreiben nicht erklären zu können. Auf jeden Fall habe er die Landesliste in den Briefkasten bei der Landeswahlleiterin (in einem Nebengebäude des Innenministeriums) gesteckt – und als er dann die vermeintlichen Briefe von Sachs erhielt, habe er gedacht, alles sei geklärt. Anzeichen dafür, dass das Innenministerium die Unterlagen verschwinden ließ, fanden die Ermittler später allerdings wohl nicht. Die Untersuchungen von Polizei und Justiz dauerten Monate, und in der Zwischenzeit änderten sich in der AfD die Machtverhältnisse. Hampel verlor den Landesvorsitz, der Schriftführer verschwand in der politischen Versenkung.

In dieser Woche berichtete die Neue Osnabrücker Zeitung, dass die Osnabrücker Staatsanwaltschaft ihm im August einen Strafbefehl über 1800 Euro geschickt habe, den der Mann aber nicht akzeptiert habe. Damit werde es nun wohl zum Prozess vor dem Amtsgericht Papenburg kommen. Das heißt, die Sache könnte öffentlich aufgerollt werden. Nach Informationen des Politikjournals Rundblick hat es in den zurückliegenden Monaten Hausdurchsuchungen bei dem einstigen AfD-Landesschriftführer gegeben, auch bei seiner damaligen Freundin, die offenbar nicht gut auf ihn zu sprechen ist. (kw)