In den siebziger Jahren tobte in der hannoverschen SPD ein erbitterter Machtkampf mit vielen Akteuren. Wie Recherchen des Politikjournals Rundblick jetzt zeigen, interessierte sich sogar die Staatssicherheit der DDR. Wir schildern die Ereignisse in einer kleinen historischen Serie. Heute der fünfte Teil: die linke Kaderschmiede in Linden.

Starb in dieser Woche im Alter von 92 Jahren: Egon Kuhn, hier vor einem Jahr mit seiner Lebensgefährtin – Foto: kw

Egon Kuhn ist mittlerweile 91 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl, aber wenn es um politische Debatten geht, blitzen seien Augen immer noch auf. Über Jahrzehnte war der frühere hauptamtliche Leiter des Freizeitheims in Linden die zentrale Figur der SPD in diesem Bezirk, zugleich jemand, der immer von der Einheit der Arbeiterklasse – Sozialdemokraten und Kommunisten – geträumt hat. Kontakte zur DKP, zur Nachfolgepartei der verbotenen KPD? Für viele in der SPD war das lange und ist es auch noch ein Tabu. Für Egon Kuhn nicht. „Ich habe öfter mit dem DKP-Vorsitzenden Herbert Mies gesprochen, wenn er in Hannover war“, sagt Kuhn. Er sieht auch kein Problem darin. Weggefährten von früher berichten, dass man seinerzeit das Freizeitheim Linden mit der Machtzentrale der Sowjetunion verglich. „Im Kreml brennt noch Licht“, hieß es, wenn Egon Kuhn noch spätabends mit Genossen neue Strategien ausheckte. Dort tagte der „Info-Kreis“ und werkelte nicht nur an Machtkampf-Plänen, sondern auch an Konzepten zur Stadtentwicklung. Eine Ideen- und Kaderschmiede gleichermaßen.


Lesen Sie auch die vorangegangenen Teile der Serie um die SPD Linden:

Teil 1: Der Fall Lehners und die dunklen Machtkämpfe in Hannovers SPD

Teil 2: Bruno O. – eine Schlüsselfigur der SPD, die ins Visier der DDR-Staatssicherheit geraten war

Teil 3: Wie zwei SPD-Politiker sich anschickten, eine ganze Ministerriege zu stürzen

Teil 4: Wolfgang Pennigsdorf – der Hoffnungsträger der Linken, der am Ende aufgegeben hat


Es gab für Kuhn und seine Lindener SPD eine ganz große Zeit, das begann Ende der sechziger Jahre und endete gegen Mitte der siebziger. In der mitgliederstarken Lindener SPD, traditionell ein Arbeiterbezirk, wo die SPD damals 1650 Genossen zählte, wurde 1967 eine zunehmende Überalterung festgestellt. Die jungen Kräfte, zu denen der damals 46-jährige Kuhn gehörte, frischten den Verband Schritt für Schritt auf. Sie setzten Kandidaten der Linken bei den Wahlen in den sechs Lindener Abteilungen durch, kaperten so Zug um Zug die Untergliederungen der Partei, verstärkten die parteiinterne Bildungsarbeit und priesen Karl Marx als Leitfigur. Der „Spiegel“ zitierte dazu im Oktober 1973 einen namentlich nicht genannten Jungsozialisten: „Eines Tages proklamieren sie `ne sozialistische Republik Linden-Limmer“. Der Ortsverein zeigte Sympathie für Hausbesetzungen, diskutierte über eigenständige, auf ein Linksbündnis ausgerichtete Wahlkampfstrategien und führte ein Delegiertensystem für Parteitage ein – ein Schritt, um nach errungenen Machtpositionen Zufallsmehrheiten zu vermeiden, denn auch in Linden sahen viele konservative SPD-Mitglieder das Treiben und Kuhn und Genossen damals mit Missvergnügen. Zu den althergebrachten Vertretern der Partei in Rat und Verwaltung hielten die Lindener kritische Distanz.

Wolfgang Jüttner, der in den siebziger Jahren als junger Jungsozialist in der hannoverschen SPD aktiv wurde, erinnert sich durchaus an verschiedene Schattierungen in der Partei. Er selbst und der damalige SPD-Bezirkschef Peter von Oertzen galten zwar auch als links, waren aber „undogmatisch“. Das soll bedeuten, dass sie immer eine Trennungslinie zur DKP und zur DDR halten wollten. Das fing schon damit an, dass Jüttner nicht zum „Sozialistischen Hochschulbund“ gehörte, der stets Koalitionen mit dem DKP-treuen „MSB Spartakus“ befürwortete, sondern zu einer Untergliederung. Und wer Kuhn heute fragt, bekommt beim Hinweis auf von Oertzen den Hinweis, dass sich beide nie gut verstanden hätten. Kein Wunder, Kuhns Offenheit für Kontakte zur DKP war von Oertzen stets ein Dorn im Auge gewesen.

Die taktischen Erfolge von Kuhn und Genossen zeigten sich in den siebziger Jahren: Schmalstieg wurde zum OB-Kandidaten gekürt, indem die Delegierten eines Unterbezirksparteitags mit einer spontanen Änderung der Tagesordnung überrumpelt wurden. Bruno Orzykowski wurde gegen den angeschlagenen Innenminister Richard Lehners als Landtagskandidat durchgedrückt, nachdem der Minister vorher intern heftig unter Druck gesetzt worden war. Drei Jahre später konnte Orzykowski im Nachbarwahlkreis gegen den langjährigen Sozialminister Kurt Partzsch gewinnen, weil die Lindener vorher ausgiebig verbreitet hatten, der damals 63-jährige Partzsch sei amtsmüde. Das bestritt dieser damals vehement, aber erfolglos. Mag all das, diese Kampfkraft der linken Lindener, für die Stasi der Grund gewesen sein, über Wahlkampfunterstützung für Orzykowski und den anderen linksstehenden SPD-Abgeordneten Wolfgang Pennigsdorf im Landtagswahlkampf 1974 nachzudenken? Immerhin schwächelten die linken Lindener seit Ende 1973, denn bei den ortsvereinsinternen Auseinandersetzungen konnten die Konservativen wieder Boden wett machen.

Während die Gruppe um Kuhn über das imperative Mandat für Ratsmitglieder nachdachte, bröckelte intern der Zusammenhalt im Vorstand. Orzykowski zog sich rechtzeitig aus seinem Wahlkreis Linden-Ricklingen zurück, da er spürte, dass die Stimmung sich zugunsten des von der Parteiführung gestützten Ernst-Gottfried Mahrenholz gedreht hatte. Sein Sieg im benachbarten Partzsch-Wahlkreis gelang immerhin noch. Außerdem waren die Geförderten von einst, Schmalstieg vornweg, in vielen Streitfragen nicht mehr auf der Seite der Lindener gewesen – weshalb der Oberbürgermeister Jahre später, 1982, in Linden auch die Aufstellung als SPD-Landtagskandidat verpasste. Auch das gehört zu dieser Geschichte: Weggefährten, die eigenständig wurden, konnten dafür durchaus auch bestraft werden. (kw)