Von Niklas Kleinwächter

In einer kleinen Gasse in Lüneburg steht ein nicht besonders auffälliges Reihenhaus aus Backstein. Es ist nicht weit entfernt vom Amtsgericht. Man muss nur um zwei Ecken biegen, um die Staatsanwaltschaft zu erreichen. Die Polizei liegt etwa fünfhundert Meter entfernt und das Jugendamt keinen ganzen Kilometer. Die geographische Lage ist entscheidend für dieses unscheinbare Haus, denn es soll die Wege zwischen genau diesen Institutionen deutlich verkürzen. Seit März befindet sich in der Reitende-Diener-Straße in Lüneburg eines von fünf „Häusern des Jugendrechts“, die Niedersachsens Landesregierung auf den Weg gebracht hat.

Enge Verzahnung: Im Haus des Jugendrechts arbeiten Justiz, Polizei und Jugendamt zusammen – Foto: nkw

„Bei Jugendlichen gilt viel stärker als bei Erwachsenen, dass die Strafe auf dem Fuße folgen muss“, sagte Niedersachsen Justizministerin Barbara Havliza (CDU) im Januar, als in Osnabrück der Startschuss für die Häuser des Jugendrechts fiel. Gestern besuchte die Ministerin die neue Einrichtung in Lüneburg, um sich über die Fortschritte zu informieren. An zunächst fünf Standorten soll modellhaft erprobt werden, wie die Prozesse im Jugendrecht effizienter gestaltet werden können. Es soll in Zukunft nicht mehr so viel Zeit vergehen, bis jugendliche Straftäter die Konsequenzen aus ihren Taten spüren.

Viele Vorgaben gibt es dabei nicht für die Häuser des Jugendrechts. Es geht dem Justizministerium vielmehr darum, möglichst verschiedene Modelle ausprobieren zu lassen, die in einem Flächenland Niedersachsen funktionieren können. Am Anfang steht immer ein Kooperationsvertrag zwischen den beteiligten Institutionen: dem Amtsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Polizei und der Kommune. Was danach passiert, müssen die Projektpartner aushandeln. Neben Lüneburg wurden bereits in Osnabrück, Salzgitter und Göttingen Kooperationen beschlossen, Hannover soll im Herbst nachziehen. Nicht überall ist das Haus des Jugendrechts aber tatsächlich ein Haus. In Salzgitter sowie in Hannover ist eher eine virtuelle Zusammenarbeit vorgesehen.

Unauffällig: Das Lüneburger Haus des Jugendrechts in der Reitende-Diener-Straße – Foto: nkw

In Lüneburg, wo die Arbeit im Haus des Jugendrechts bislang am weitesten vorangeschritten ist, besteht die Einrichtung aus nicht mehr als vier Arbeitsplätzen und einem Konferenzraum. Zwar hat die Staatsanwaltschaft einen zusätzlichen Mitarbeiter bekommen, aber niemand sitzt tatsächlich von Montag bis Freitag in diesen Räumen. „Es ist technisch und rein faktisch gar nicht möglich, alle dauerhaft an einem Ort arbeiten zu lassen, weil das Backoffice ein ganz anderes ist“, erklärt Staatsanwältin Wiebke Bethke. Die Polizei brauche etwa die Spurensicherung oder erkennungsdienstliche Einrichtungen im Hintergrund. Vergleichbares gelte für Jugendamt und Staatsanwaltschaft.

Wöchentliche Fallkonferenzen ermöglichen ein schnelleres Eingreifen

Stattdessen treffen sich im Lüneburger Haus des Jugendrechts an jedem Mittwoch um 10 Uhr alle Parteien, die mit Fällen von Jugendkriminalität befasst sind. Bei diesen Treffen stellt die Polizei dann alle Fälle der zurückliegenden sieben Tage vor, bei denen Jugendliche unter 21 Jahren aufgegriffen wurden. Nicht immer muss es dabei aber um strafrechtlich relevantes Verhalten gehen – und darin liegt schon ein wichtiger Unterschied zum vorherigen Verfahren. Wenn Kinder unter 14 Jahren auffällig werden, wird zum Beispiel noch kein Rechtsweg beschritten. Und wenn beispielsweise Jugendliche häufig nach 22 Uhr oder alkoholisiert aufgegriffen werden, musste bislang nicht zwangsläufig auch das Jugendamt davon erfahren. Im Haus des Jugendrechts kommen nun aber all diese Fälle sofort für alle Beteiligten auf den Tisch. Dadurch können die einzelnen Institutionen „erheblich schneller“ eingreifen, wenn ein Jugendlicher auf die schiefe Bahn zu geraten droht, erklärt Bethke. Es gebe immer wieder Fälle, bei denen Jugendlichen versuchten, „unter dem System durch zu tauchen“. Das werde nun deutlich erschwert.

„Im Normalfall hat es bislang über drei Monate gedauert, bis ein Fall von der Polizei an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurde“, erklärt Staatsanwältin Bethke. Erst danach wurde entschieden, ob Anklage erhoben werde, und wiederum erst danach konnte das zuständige Jugendamt kontaktiert werden. „Jetzt liegen im günstigsten Fall keine 48 Stunden mehr zwischen der Tat und dem ersten Kontakt des Beschuldigten mit der Jugendgerichtshilfe.“ Früher waren es oft fünf bis sechs Monate bis zum Beginn der Verhandlung – für Jugendliche „unendlich lang“. Die effizientere Zusammenarbeit sorge nun dafür, dass die Behörden bessere Prävention betreiben können. Dazu bietet das Haus des Jugendrechts auch Raum für erzieherische Gespräche mit Beschuldigten, an denen Jugendamt, Staatsanwaltschaft und etwa einem Jugendrichter beteiligt sind. Strafrechtlichen Sanktionen würden beschleunigt, indem beispielsweise die Polizei ihre Liste mit Verhören abkürzt, weil man bereits vorher zu einem Geständnis und einer anderen Lösung gekommen sei, beschreibt Bethke. Oder der Jugendrichter bekommt den Hinweis, dass er einen Prozess vorziehen soll, wenn die Beteiligten im Haus des Jugendrechts eine plötzliche Häufung von Fällen bei einem Jugendlichen feststellen.

Zudem sei das Haus des Jugendrechts auch ein Ort, um eine gemeinsame Sprache zu finden, sagt Wiebke Bethke. Wenn Juristen, Sozialpädagogen und Polizisten an einem Tisch zusammenkommen, habe das „ein bisschen was von Völkerverständigung“. Der Polizist könne da nun lernen, dass man pubertären Jugendlichen auch mal etwas Luft lassen müsse. Und der Sozialpädagoge könne mitnehmen, dass eine Jugendstrafe nicht immer das schlimmste Mittel sein muss.