Die Kraft-Wärme-Kopplung-Anlage Großenkneten bereitet Erdgas aus der Region auf und spart dadurch laut Betreiber pro Jahr etwa 70.000 Tonnn CO2 ein. | Foto: ExxonMobile

In einer Anhörung vor dem Umweltausschuss des niedersächsischen Landtags warnten am Montag Vertreter der Industrie vor einem übereilten Ausstieg aus der niedersächsischen Erdgasförderung. Jochen Wilkens vom Verband der Chemischen Industrie erklärte, dass 20 Prozent des deutschen Gasverbrauchs auf den von ihm vertretenen Industriezweig beruhe. Würde Niedersachsen und damit de facto Deutschland nun radikal aus der Erdgasförderung aussteigen, werde das Land abhängig von wenigen Lieferanten, vorrangig Russland und Norwegen, die in nennenswerter Größe in die Bundesrepublik exportierten. „Automobilhersteller würden sich diese Abhängigkeit von nur zwei Zulieferern nicht leisten“, sagte Wilkens.

Jochen Wilkens | Foto: VCI

Wilkens befürchtet, dass Teile der chemischen Industrie abwandern, wenn die Energieversorgung in Deutschland noch unsicherer und teurer werde. Gerade durch die internationalen Krisen, etwa jener Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, werde derzeit die Versorgungssicherheit in Frage gestellt. An die Landtagsabgeordneten appellierte er deshalb, die Förderung hierzulande so sicher wie möglich zu machen, aber sie nun nicht komplett einzustellen. „Lassen Sie uns noch ein bisschen Feuerwehr haben für den Fall, dass es mal brennt.“

Grüne fordern Ende des fossilen Zeitalters

Die Grünen im niedersächsischen Landtag fordern mit einem Entschließungsantrag, dass das Ende des fossilen Zeitalters jetzt offensiv eingeleitet wird. Fracking soll es nicht mehr geben, neue Felder sollen nicht mehr eröffnet werden. Die Große Koalition will diesen Antrag etwas abschwächen, betont in ihrem Änderungsantrag aber auch den Schutz von Umwelt, Trinkwasser und Gesundheit und setzt auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Fraktionsübergreifend gibt es im Landtag eine Skepsis gegenüber der Erdgasförderung im eigenen Land – vor allem bei jenen Abgeordneten, deren Wahlkreise in der Region rund um Verden liegen, wo derzeit noch viel Erdgas gefördert wird. Man fürchtet eine Verunreinigung des Trinkwassers und des Bodens und sorgt sich um eine erhöhte Erdbebengefahr.

„Wir sparen 30 Prozent CO2, wenn wir hier fördern“

Wilkens vom Verband der chemischen Industrie (VCI) vertritt die Position, dass eine Erdgas-Förderung in Niedersachsen eine deutlich bessere Klimabilanz habe als das im Ausland geförderte Gas. „Wir sparen 30 Prozent CO2-Emissionen ein, wenn wir es hier oder vor der holländischen Küste fördern“, rechnete er vor. Mittelfristig stemmt sich auch die chemische Industrie nicht gegen einen Ausbau der erneuerbaren Energien, doch von den benötigten Mengen für ihren Sektor sei man noch zu weit entfernt, erklärte Wilkens Kollegin Renate Klingenberg. „Wir brauchen Erneuerbare Energien in so großen Mengen, wie wir es uns gar nicht vorstellen können. Es geht um 600 bis 624 Terawattstunden Strom allein für die chemische Industrie in Deutschland – so viel Strom also, wie wir sonst für ein Jahr für die ganze Bundesrepublik brauchen.“ Klingenberg appelliert daher an die Politik, die fossilen Energieträger nur in dem Ausmaß herauszunehmen, wie entsprechend viel Strom durch erneuerbare Energien ausgebaut wurde.

Quelle: Exxon Mobile

Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), bringt die Position seines Verbandes und letztlich auch der chemischen Industrie auf die Formel: Solange Erdgas und Erdöl in Niedersachsen beziehungsweise in Deutschland noch genutzt werden, sollten sie auch hier gefördert werden. „Die Höhe des Erdgasbedarfs in Deutschland hängt nicht vom Umfang der Erdgasproduktion, sondern vom konkreten Ausmaß der Nutzung von Erdgas im Wärme- und Strommarkt ab“, sagte Möhring, der davon überzeugt ist, dass Erdgas eine wichtige Brückenfunktion übernehme auf dem Weg zu einer stabilen Wasserstoffwirtschaft.

Deutsche Umwelthilfe: Neue Erdgasfelder sind unnötig

Anders sieht das die Deutsche Umwelthilfe. Deren Bereichsleiter für Energie und Klimaschutz unterstützte die Grünen in ihrer Position, dass es wissenschaftlich geboten sei, das Ende der Erdgasförderung nun einzuleiten. Dabei beruft er sich auf Studien, wonach allein die derzeit global erschlossenen Erdgas- und Erdölfelder ausreichten, um die Kennwerte des 1,5 Grad-Zieles aus dem Pariser Klimaabkommen zu überschreiten. Neue Felder zu erschließen, sei deshalb unnötig und sogar schädlich, sagte er im Umweltausschuss des Landtags.

Eine ganz andere Politik als die Bundesrepublik vertreten derweil die Niederlande. Chris de Ruyter van Steveninck verteidigte vor dem Umweltausschuss noch einmal das Vorhaben seines Unternehmens ONE-Dyas, das derzeit plane, Erdgas in der Nordsee nahe an der deutschen Grenze zu fördern. Der niedersächsische Landtag hatte sich erst kürzlich geschlossen gegen dieses Projekt ausgesprochen.

„Ob es ihnen gefällt oder nicht: Erdgas wird in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen.“


Chris de Ruyter van Steveninck | Foto: ONE-Dyas/Marina Kemp

De Ruyter van Steveninck führte den Parlamentariern nun allerdings vor Augen, vor welchem Dilemma sie stünden: „Wir befinden uns unwiderruflich auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbare Energien, aber der Weg ist nicht einfach. Ob es ihnen gefällt oder nicht: Erdgas wird in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen.“ Deshalb stelle sich die Frage, ob man das Gas aus den USA, Quatar oder Russland beziehen wolle – oder von den Niederlanden aus der Nordsee. Letztere Variante sei wegen der kürzeren Wege, einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Leckagen und einer Stromversorgung über Windkraftanlagen die klimafreundlichere Alternative, meint er. „Ein Dilemma bedeutet nicht, dass es egal ist, welche Variante man wählt“, sagte der ONE-Dyas-Vertreter, „denn es gibt eine, die ist freundlicher.“