Die Auflagen der Zeitungen schrumpfen, die gängigen Fernsehsender verlieren Zuschauer. Immer mehr Menschen, nicht nur die jungen, erfahren die Neuigkeiten aus den sozialen Medien. Sie schauen Netflix oder lesen Spiegel-online, vielleicht auch bild.de. Und was wird aus den alten Tageszeitungen, was aus den traditionellen Tagesschau-Guckern, die jeden Abend um 20 Uhr die ARD einschalten? Beim „Niedersächsischen Mediengespräch“ der Landesmedienanstalt NLM und des Politikjournals Rundblick stand gestern die Frage im Mittelpunkt, wie sich der Journalismus verändern muss, wenn seine Produkte attraktiv bleiben sollen.

„Soll es in den Redaktionen künftig mehr ,Alleskönner‘ geben, die möglichst viele Tätigkeiten gleichzeitig beherrschen – gut schreiben, gute Audio-Beiträge verfassen, gute Videos filmen?“, fragt NLM-Direktor Andreas Fischer. Oder überfordert ein zu hoher Anspruch den Beruf, weil dann die eigentlichen handwerklichen Arbeiten aus dem Blickfeld fallen und auf Dauer nicht mehr gefragt sein werden?

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Einer von denen, die sich für die Rückkehr zu den Wurzeln des Berufs einsetzen, ist der Leiter der Henri-Nannen-Schule, Andreas Wolfers. „Die Journalisten befassen sich zu sehr mit Messer und Gabel, zu wenig mit dem Essen selbst.“ Er begegne immer wieder Kollegen, die über neue Formate reden, neue Arbeitsprozesse oder eine „crossmediale Ausbildung“ der angehenden Redakteure, die fit sein müssten in der Vielfalt der medialen Formen, die ja ständig noch zunehmen. In der Henri-Nannen-Schule, berichtet ihr Leiter, lege man zunehmend mehr Wert auf ganz andere Schwerpunkte: Journalisten müssten in erster Linie präzise recherchieren, stilsicher schreiben und ein Thema gedanklich durchdringen können. Dazu gehöre Fairness, Unvoreingenommenheit, Empathie und auch Rückgrat.

Wenn angehende Journalisten das Schreiben lernen, lernten sie im Grunde, klare Gedanken zu fassen. Wolfers nennt das sogar „Charakterbildung“, zumal journalistisches Auftreten nicht zuletzt auch mit Haltung zu tun habe – und darunter versteht Wolfers weniger (wie einige andere) eine Parteinahme in der Berichterstattung, sondern mehr eine Grundposition. Dass er die Form des „konstruktiven Journalismus“ vorbildlich findet, wie sie etwa in der Wochenzeitung „Die Zeit“ gepflegt wird, verschweigt Wolfers nicht: Der Grundton der Darstellung soll nicht skandalisierend oder anklagend sein, sondern verknüpft mit einem  optimistischen Ausblick – soweit das möglich ist.

Es ist schon sinnvoll, wenn ein Reporter unterwegs genau weiß, wie er das Handy so halten muss, dass ein druckbares Foto herauskommt.

Das donnernde Plädoyer des Leiters der Henri-Nannen-Schule für die Pflege des Qualitätsjournalismus findet auf dem Podium der „Niedersächsischen Mediengespräche“ großen Anklang. Andrea Lütke, Leiterin des NDR-Funkhauses Hannover, lehnt die Ausbildung zu „Alleskönnern“ ebenso ab wie Hendrik Brandt, Chefredakteur der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ und auch Chefredakteur Michael Wulf von der RTL-Mediengruppe. Gleichzeitig zwingt die Veränderung der Medienwelt sie alle, den Journalisten in ihren Häusern mehr und ständig neue Fähigkeiten abzuverlangen. „Es ist schon sinnvoll, wenn ein Reporter unterwegs genau weiß, wie er das Handy so halten muss, dass ein druckbares Foto herauskommt“, sagt Brandt.

Lütke, die seit 67 Tagen das NDR-Funkhaus am Maschsee leitet, spricht von den „drei Türmen“ beim NDR – Fernsehen, Hörfunk und Online-Auftritt. Inzwischen habe man begonnen, „zwischen diesen Türmen Brücken zu bauen“, und allmählich versuche sie jetzt, die gegenseitige Vernetzung zu verstärken: „Dann wird es öfter vorkommen, dass ein Hörfunkkollege loszieht und ein Kamerateam mitnimmt.“ Der Alltag verändert sich also, bei allen Medien. „Die neue Generation an Journalisten muss deutlich mehr können als früher, sie muss auch technisch viel mehr Fähigkeiten mitbringen“, sagt Wulf von der RTL-Mediengruppe. Erschwerend komme der wachsende Zeit- und Konkurrenzdruck hinzu. „Die große, ordentliche Recherche wird unter diesen Bedingungen immer schwieriger.“

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Aber es gibt doch sicher auch viele junge Leute, wendet Rundblick-Chefredakteur Martin Brüning als Moderator ein, die schon den Anspruch an die Medien hätten, umfassend und schnell informiert zu werden? Ja, antwortet Journalistenschul-Leiter Wolfers. Nur: Seine Erfahrung ist, dass die Mehrheit der Absolventen der Henri-Nannen-Schule eben nicht von einer Karriere als Nachrichtenmann oder Lokaljournalist träumt, sondern von einem Aufstieg bei der „Zeit“ oder beim „Spiegel“.

HAZ-Chefredakteur Brandt hält ein flammendes Plädoyer für den Lokaljournalismus dagegen. Die durchaus verbreitete „Abneigung gegen Lokales und Regionales“ sei verkehrt. „Vielleicht legen wir bei der Auswahl der Leute zu viel Wert auf Sprachgewandtheit und zu wenig darauf, dass sie geerdet sind und offen bleiben für neue Erfahrungen.“ Brüning stimmt zu: „Auf eine Auslandsreportage bekommt man meistens keine Reaktion. Aber man wird beim Bäcker sicher darauf angesprochen, welchen Artikel man über die Vorgänge im Dorf geschrieben hat.“

Alle glauben an die Überlebenskraft ihrer Produkte und Institutionen

Welche Zukunft hat denn dieser Journalismus, wie sehen die Medien in 15 Jahren aus? „Eine Fusion von NDR und Radio Bremen vielleicht“, fragt Brüning. Auf dem Podium dominiert hier die Gelassenheit. Sie alle, RTL-Chef, HAZ-Chef, NDR-Chefin und Chef der Journalistenschule, glauben an die Überlebenskraft ihrer Produkte und Institutionen.

Und mit der wachsenden Zahl derer, die Fake-News mit dem Anspruch auf die absolute Wahrheit verbreiten und dafür Anklang finden, werde man auch fertig. Darin sind sich eigentlich alle einig. (kw)