Sechs Monate sind im Strafverfahren die goldene Regel. So lange darf ein Verdächtiger ohne Prozess in Untersuchungshaft gehalten werden. In der Regel tritt das jeweilige Gericht innerhalb dieser Frist auch zusammen. Im vergangenen Jahr allerdings mussten die Sicherheitsbehörden insgesamt fünf Untersuchungshäftlinge gehen lassen, weil die Frist verstrichen war. Im Vorjahr waren es zwei gewesen. Das geht aus der Antwort des Justizministeriums auf eine Kleine Anfrage der FDP hervor.

Abstimmungsschwierigkeiten etwa waren der Grund, warum das Oberlandesgericht Oldenburg im vergangenen Jahr drei junge Marokkaner wieder laufen ließ. Die teilweise noch jugendlichen Männer hatten in der Innenstadt von Osnabrück randaliert, Stühle gestohlen und zwei betrunkene Studenten zusammengeschlagen. Alle drei wurden festgenommen, kamen in Untersuchungshaft. „Wir haben sie auch relativ zügig nach drei Monaten angeklagt“, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Retemeyer. Doch beim zuständigen Amtsgericht blieb der Fall stecken. Das Gericht trat nicht, wie es Vorschrift gewesen wäre, vor Ablauf der sechs Monate zusammen. Damit musste das zuständige Oberlandesgericht den Haftbefehl wegen Verfahrensverzögerung aufheben. Die Justiz hatte dennoch Glück, denn als das Verfahren schließlich begann, erschienen alle drei Täter vor Gericht. Der Amtsrichter verurteilte sie zu Freiheitsstrafen auf Bewährung.

„Das ist nicht hinnehmbar und ein Versagen der Justiz“, kritisiert der FDP-Landtagsabgeordnete Stefan Birkner den Fall. Die Sechs-Monats-Frist diene schließlich dazu, dass Prozesse nicht verschleppt werden, auch nicht wegen Überbelastung der Behörden. „Man muss diesem Fall genau auf den Grund gehen und ermitteln, warum das Gericht den Prozess nicht eröffnen konnte“, fordert Birkner. Sollte es ein strukturelles Problem sein, müsse das Justizministerium handeln. „Für das Ministerium muss ein solcher Fall ein Alarmsignal sein, dass es einen Mangel gibt.“ In den vergangenen Monaten hatten immer wieder Richter und Anwälte über die hohe Arbeitsbelastung geklagt und mehr Personal gefordert.

In vielen Fällen von Verfahrensverzögerung wird die Untersuchungshaft aber auch deshalb aufgehoben, weil die Tatverdächtigen bereits wegen eines anderen Verbrechens zur Haftstrafe verurteilt worden sind und hinter Gittern sitzen. „Das nennt man Überhaft“, sagt ein Sprecher des Justizministeriums.  In solchen Fällen kann auch das zuständige Land- oder Amtsgericht den Haftbefehl aufheben. Das hat im vergangenen Jahr einmal das Landgericht Braunschweig getan, im Vorjahr hat das Landgericht Stade zwei Untersuchungshäftlinge gehen lassen.

Die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus verlängern kann dagegen nur ein Oberlandesgericht. Die Kriterien dafür sind streng, die Ermittlungsbehörden müssen nachweisen, dass sie bereits alles Menschenmögliche tun, um den Prozess vorzubereiten, die Frist aber dennoch nicht reicht. Ausnahmen werden deshalb oft bei komplexen Verbrechen wie mehrfachem Mord oder in der Wirtschaftskriminalität gestattet. Eine Überbelastung der Richter und Staatsanwälte allein ist kein Grund für eine Verlängerung der Untersuchungshaft.