Die heftigen Konflikte, die seit Monaten um die agrarpolitische Ausrichtung der SPD/CDU-Koalition in Niedersachsen ranken, haben am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht: Erst sah sich die CDU-Landtagsfraktion gefordert, ein ausdrückliches Treuebekenntnis zu Agrar-Staatssekretär Rainer Beckedorf (CDU) abzugeben, danach dann auch die Ministerin Barbara Otte-Kinast: „Ich möchte mit aller Deutlichkeit klarstellen: Es gibt keine Absicht, die Position des Staatssekretärs neu zu besetzen.“ Anderslautende Spekulationen seien falsch. „Ich stehe voll hinter Rainer Beckedorf, der auch weiterhin als Amtschef an der Spitze des Ministeriums stehen wird“, fügte sie in einer spätabends verschickten Pressemitteilung hinzu. Das klang ungewöhnlich, und Auslöser waren zwei Zeitungsberichte in der zurückliegenden Landtagswoche – zunächst im „Weser-Kurier“, dann auch in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Beide vermeldeten, Beckedorf sei im eigenen Ministerium umstritten, seine Ablösung im Herbst – nach Ablauf der zweijährigen Amtszeit als Staatssekretär, die für Versorgungsfragen von Bedeutung ist – stehe fest. Die NOZ vermeldete sogar den Namen eines möglichen Nachfolgers: Stefan Ortmann aus der Landwirtschaftskammer in Oldenburg.

Ich stehe voll hinter Rainer Beckedorf, der auch weiterhin als Amtschef an der Spitze des Ministeriums stehen wird

Der Vorgang ist deshalb ungewöhnlich, weil es eine aktuelle Zuspitzung der regierungsinternen Debatte um Beckedorf gar nicht gibt – wohl aber eine Eskalation im Streit zwischen der niedersächsischen Großen Koalition und dem von Julia Klöckner (CDU) geführten Bundesagrarministerium. Dies weckt nun allerlei Mutmaßungen über die Motive derer, die gegenwärtig schlecht über Beckedorf reden. Aus unterschiedlichen Richtungen, heißt es, könnten diese kommen. Aus Berlin? Oder von der Opposition aus Hannover? Beobachtet wird, dass die anfangs schwächelnde Otte-Kinast in den vergangenen Wochen an Stärke gewonnen hat. Vergangenen Mittwoch im Landtag setzte sie sich gemeinsam mit CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer an die Spitze der Bewegung, die von Klöckners Bundesministerium definitiv einen entschiedenen Einsatz für ein verbindliches Tierwohl-Label fordert. Das ist ein klarer Einsatz für eine moderne, ökologische Landwirtschaftspolitik. In Klöckners Ministerium beharrt man bisher aus juristischen Gründen auf einem freiwilligen Label. Der SPD-Politiker Wiard Siebels sprach Otte-Kinast im Parlament für ihr Auftreten ausdrücklich die Anerkennung der SPD aus. Bekannt ist nun seit längerem, dass Beckedorf als Staatssekretär nicht unumstritten ist, er hat im Agrarministerium einige Gegner und gilt nicht als der beste Stratege. Dass sich Otte-Kinast zu Beginn ihrer Amtszeit mehrere Pannen leistete, beispielsweise bei den FFH-Gebieten, wird auch Beckedorfs mangelhafter Zuarbeit für die Ministerin zugeschrieben. Aber in den vergangenen sechs Monaten kam offenbar kein neues Versäumnis hinzu, die Führungsspitze des Ministerium hatte sich gefestigt. Umso stärker gedeihen Spekulationen, als Urheber der jüngsten Gerüchte kämen Grüne um den früheren Agrarminister Christian Meyer (Grüne) in Betracht – da jenen der jüngste Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik zugunsten einer „grüneren“ Politik aus taktischen Gründen gar nicht gelegen kommt.

Die öffentlichen Spekulationen um den Staatssekretär führten zu einer Solidarisierungswelle in der Landesregierung – und sicherten ihm vorläufig sein Amt. Die parlamentarische Sommerpause startet im Agrarressort dennoch mit einigem Getöse, das verunsichernd wirken kann. In Regierungskreisen heißt es zudem, Beckedorf könne trotz der momentanen Rückendeckung im Herbst abgelöst werden. Der Hinweis auf den möglichen Nachfolger Ortmann kann so verstanden werden, dass auch die Vertreter der Agrarindustrie – etwa die Gegner des jetzt von Otte-Kinast geforderten Tierwohl-Labels – eine stärkere personalpolitische Einflussnahme im Ministerium wünschen. Das könnte im Übrigen auch im Interesse der Beamtenschaft im Bundesagrarministerium liegen, heißt es. Ende März, als die Niedersachsen-CDU massiv aufbegehrte gegen eine angeblich gleichgültige Haltung der Bundesregierung zu den Dünge-Vorschriften, gerieten die Niedersachsen-CDU und Klöckners Ministerium erstmals lautstark öffentlich aneinander. Mit dem Tierwohl-Label geschieht das nun erneut, und zwar noch heftiger. Einer, der sich massiv aus seiner früheren Heimat angegriffen fühlen kann, ist Klöckners Staatssekretär Hermann-Onko Aeikens, der aus Leer stammt, in Niedersachsens Agrarverwaltung geprägt wurde dann nach Sachsen-Anhalt ging – bevor er 2016 ins Bundesagrarministerium wechselte.