„Nur Klarheit statt konkurrierender Systeme bietet Verbrauchern Orientierung“, hatte Bundesagrarministerin Julia Klöckner noch Anfang Dezember gesagt und ein neues Tierwohllabel angekündigt. Doch das stiftet augenscheinlich nur noch mehr Verwirrung. Gestern stellte die Bundesagrarministerin die Eckpunkte ihrer neuen Kennzeichnung vor – und ließ viele Fragen offen. Die Landwirte und Tierschützer in Niedersachsen sind deshalb verärgert. Aus ihrer Sicht ist die Ankündigung der Ministerin nur ein Papiertiger, der obendrein in seiner jetzigen Form überflüssig ist. Im niedersächsischen Landvolk ist man vor allem enttäuscht darüber, dass Klöckner noch immer nicht auf die Finanzierung eingegangen ist. Das Ministerium sei zwar zu einer Förderung bereit, sagte die Ministerin, aber in welcher Form, ließ sie offen. Sie stellte lediglich klar, dass es keine dauerhafte Förderung geben werde, sondern nur eine Unterstützung bei der Umstellung.


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Aus Sicht des Landvolks schreckt das von der Teilnahme an dem freiwilligen Label ab: „Landwirte, die einsteigen wollen, müssen häufig mit hohen Investitionen in Vorleistung treten, um die Ställe entsprechend umzurüsten. Wenn sie sich nicht darauf verlassen können, dass sie diesen Aufwand über einen höheren Preis zurückerhalten, gehen sie ein erhebliches Risiko ein“, sagt Landvolk-Sprecherin Gabi von der Brelie. Denn erst kürzlich habe die Universität Osnabrück mit einer Studie belegt, dass die meisten Verbraucher nicht bereit seien, mehr für das Fleisch zu zahlen, weil es unter ethisch besseren Bedingungen produziert wurde.

Nur weil das Schwein eine Kette zur Beschäftigung in seinem Kasten hatte, heißt das nicht, dass es auch tierwohlgerecht geschlachtet wurde.

Darüber hinaus fehlten Aussagen über eine Kennzeichnung im Label, woher ein Produkt stamme, sowie die Umsetzung der von Klöckner geplanten Vorgaben in der Praxis. „Sie hat umrissen, was sie sich unter ,über den Mindeststandard hinausgehen‘ vorstellt, aber was das für den einzelnen Landwirt nun konkret heißt, das bleibt nach wie vor völlig offen“, sagt von der Brelie. Man dürfe die Kritik der Landwirte am Label nicht als Boykott verstehen. Die Beteiligung der Landwirtschaft an der von den großen Handelsketten gestarteten „Initiative Tierwohl bei Schwein und Geflügel“ zeige, dass das Thema ernst genommen werde. Aus dieser Richtung dürfte es auch noch Konkurrenz für das Label der Bundesministerin geben. Die Initiative will im April ein eigens Label auf die Verpackungen drucken lassen, um die Verbraucher über die Haltungsbedingungen von Schlachttieren zu informieren.

Tierschutzbund spricht von klientelorientierter Symbolpolitik

Dieter Ruhnke, Vorsitzender des Landesverbands des Deutschen Tierschutzbunds, begrüßt den Grundgedanken, mit einem einheitlichen Label den Verbrauchern mehr Orientierung zu bieten. „Aber das, was Frau Klöckner gestern vorgestellt hat, ist reine klientelorientierte Symbolpolitik, ausgelöst durch das Vorpreschen des Handels mit seiner ,Initiative Tierwohl‘.“ Aus Ruhnkes Sicht fehlen gleich mehrere grundlegende Dinge, um ein wirksames Label aufzulegen. Das beginne bei der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, deren Mindeststandards die Nutznießer des Labels übertreffen müssen. „Hier sind wichtige Urteile und EU-Gesetze zum Kastenstand, zur Ferkelkastration, und zur Schweinehaltung noch gar nicht eingearbeitet“, sagt Ruhnke. Landwirte, die also ihre Betriebe nach den rechtlichen Vorgaben des Labels umrüsteten, müssten deshalb damit rechnen, dass ihre Bemühungen in den kommenden Jahren durch eine neue Rechtsgrundlage torpediert würden.

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Die Idee des Labels, wonach es jene honorieren solle, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgingen, sei daher ein Schlag ins Gesicht aller Landwirte, die sich für mehr Tierwohl engagierten. „Aus meiner Sicht ist das Label eine Ausrede, um das Ordnungsrecht nicht anzupassen.“ Für mehr Tierschutz werde das Label auch nicht sorgen, konstatiert Ruhnke. Für ein Label der Stufe eins müsse es 20 Prozent mehr Platz als im Gesetz festgeschrieben geben, hatte Klöckner gesagt. „Bei einer 110 Kilogramm schweren Sau wären das gerade mal 1,20 Meter.“ Und der für das Label vorausgesetzte Tierwohl-Standard müsse für die gesamte Produktionskette gelten, vom Stall bis zur Fleischtheke. „Nur weil das Schwein eine Kette zur Beschäftigung in seinem Kasten hatte, heißt das nicht, dass es auch tierwohlgerecht geschlachtet wurde.“