Wenn am Donnerstag das „Dialogforum Wolf und Weidetierhaltung“ zum ersten Mal zusammentritt, sollte man noch nicht zu viel davon erwarten. Zum einen ist ein konkretes Ergebnis an diesem Tag gar nicht vorgesehen. Vielmehr wollen die Verantwortlichen ihre Erwartungen formulieren, anschließend gibt es allerlei Fachvorträge vom Bundesumweltministerium, von der Landwirtschaftskammer, einer Schäferin, der Landesjägerschaft und dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Zum anderen ist der Kreis wohl auch viel zu groß für irgendeine Art von Kompromiss. Man hat wohl alle eingeladen, die irgendwie verbandlich mit dem Thema zu tun haben, und die Zahl der Delegierten wurde nicht reglementiert. Und zuletzt hat Niedersachsen gar nicht so wahnsinnig viel zu melden bei der Wolfspolitik – die entscheidenden Stellschrauben befinden sich in Berlin und Brüssel.

Umweltminister Christian Meyer startet eine neue Gesprächsrunde zum Wolf in Niedersachsen. | Foto: GettyImages/Thorsten Spoerlein, Grüne, Montage: Rundblick

Auf formaler Ebene erinnert das Dialogforum an eine Mischung aus dem äußerst erfolgreichen Modell des „niedersächsischen Weges“, den der frühere Umweltminister Olaf Lies (SPD) und die frühere Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) initiiert hatten. Doch der breite Teilnehmerkreis und die fehlende Agenda erinnern eher an Lies‘ Endlager-Forum, bei dem der Minister landauf landab über die Suche nach einem geeigneten Standort für eine Atommüll-Lagerstätte hat diskutieren lassen – ergebnisoffen und ergebnislos. Eine gewisse Ähnlichkeit zu diesem Format entsteht auch dadurch, dass Niedersachsen zwar vom Thema Wolf ebenso direkt betroffen ist wie von der Endlagersuche, bei den meisten Entscheidungen bei dem einen wie dem anderen Thema aber eigentlich nicht mitreden kann.

„AK Wolf“ soll wieder aufleben – aber auf breiterer Basis

Die Grundintention des neuen Gesprächskreises, auf den sich SPD und Grüne in den Koalitionsverhandlungen verständigt haben, ist simpel: Umweltminister Christian Meyer (Grüne) möchte den früheren „AK Wolf“ wieder aufleben lassen, nur noch etwas breiter angelegt. Sein Vorgänger Lies hatte kein Interesse mehr an einer derartigen Runde, er setzte eher auf pragmatisches Durchgreifen. Das hat manch einem zwar gut gefallen, in der Summe haben die vielen Wolfsabschüsse den Konflikt aber nicht wirklich befriedet. Der Wolf ist und bleibt ein Reizthema in Niedersachsen, bei dem sich Tierhalter und Tierschützer unversöhnlich gegenüberstehen. Meyer wünscht sich nun, dass man wieder miteinander redet und nicht nur übereinander.

„Wir wissen um die Nöte der Weidetierhalter auf der einen und das Naturschutzinteresse auf der anderen Seite. Und wir wissen auch, dass das Thema Weidetierhaltung und Wolf nicht einfach zu lösen ist“, erklärte Meyer im Vorfeld des Dialogforums. „Trotzdem wollen wir den sachlichen Dialog und die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten auf eine neue Grundlage stellen.“ Unterstützt wird der Umweltminister bei diesem Vorhaben von Agrarministerin Miriam Staudte (ebenfalls Grüne), die gemeinsam mit Meyer zum Forum einlädt. Wenn sich die Konfliktparteien am Donnerstag nun also in Hannover in den Räumen der Akademie des Sports treffen, ist das also schon mal besser, als wenn sie sich nur im Gerichtssaal begegnen.

Worüber wird nun aber zu sprechen sein? Hört man sich im Kreis der Teilnehmer des Dialogforums um, stehen grob gezählt drei große Fragen im Raum, auf die Antworten erwartet werden:

1. Dürfen Problemwölfe abgeschossen werden?

Als Olaf Lies Umweltminister war, konnten in Niedersachsen sechs Wölfe, die zuvor auffällig geworden waren, „entnommen“ werden – sie wurde also erschossen. Das Problem: In Wahrheit hat man nicht immer die Tiere erwischt, die zuvor als „Problemwolf“ identifiziert worden sind. Juristisch ist das heikel. Der Wolf ist durch EU- und Bundesrecht streng geschützt, es gibt aber Ausnahmen. Das Bundesnaturschutzgesetz sieht vor, dass Tiere eines Rudels geschossen werden dürfen, wenn ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zum Rissereignis vorliegt.

Doch wie weit man diese Ausnahmen ausdehnen kann, wurde von Gerichten und von den je verantwortlichen Ministern unterschiedlich bewertet. Minister Meyer tendiert derzeit dazu, die Ausnahmegenehmigungen juristisch nicht mehr zu verteidigen, wenn sie beklagt werden. Eine Identifikation der Einzeltiere könnte nun wohl eine neue Vorgabe werden. Außerdem hat er entschieden, dass die Genehmigungen künftig immer vorab veröffentlicht werden müssen – was Lies noch zum Schutz des Unterfangens und der Beteiligten vermieden hatte.

Nutztierschäden in Niedersachsen, bei denen der Wolf amtlich vom NLWKN als Verursacher festgestellt wurde, seit 2008. Die Grafik zeigt den Stand vom 12. Januar 2023. | Quelle: MU/NLWKN, Landesjägerschaft Niedersachsen

Die SPD-Agrarsprecher von Bund und Ländern haben in ihrer „Potsdamer Erklärung“ kürzlich beschlossen, dass die „überbordende Bürokratie“ bei den Ausnahmegenehmigungen überprüft werden solle. Wohin will die Landesregierung nun also? Hier muss das Dialogforum rasch Klarheit bringen in der Frage, ob und unter welchen Bedingungen Problemwölfe noch geschossen werden dürfen – oder ob diese Praxis in Niedersachsen abgewählt wird.

2. Wie sieht der richtige Herdenschutz aus?

Ob der Abschuss von Wölfen tatsächlich die Weidetiere schützen kann, wird von Umweltverbänden angezweifelt. Dort herrscht die Meinung vor, dass die beste Schutzmaßnahme gute Beratung und Unterstützung beim Bau wolfsabweisender Zäune ist. Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen blickt auf inzwischen mehr als 300 Weidetierhaltungen zurück, denen sie mit ihrem Programm „Herdenschutz Niedersachsen“ helfen konnten. Die meisten Rissereignisse gebe es zudem auf Weiden, die nur unzureichend geschützt wurden, ist man beim Nabu überzeugt.

Mit der Politik der Grünen dürfte dieser Kurs im Einklang liegen. Wie allerdings der richtige Schutz der Herden künftig konkret auszusehen hat, auch darüber wird man im Dialogforum reden müssen. So wird etwa noch immer davon ausgegangen, dass der angemessene Herdenschutz für Rinder und Pferde die Herde selbst sei. Die Praxis zeigt inzwischen jedoch, dass diese Weisheit nicht mehr stimmt. Für die Unterstützungs- und Entschädigungsleistungen spielt das aber eine entscheidende Rolle.

3. Kommt das regionalisierte Bestandsmanagement?

Spricht man mit Sozialdemokraten über die niedersächsische Wolfspolitik, verweisen diese am liebsten auf das „europarechtskonforme regional-differenzierte Bestandsmanagement“, an dem man jetzt arbeiten wolle. Das ist der Formelkompromiss, den die SPD in zwei Koalitionsverhandlungen, im Bund und im Land, erzielen konnte. Gemeint ist, dass man mit dem Bund und der EU klären möchte, ob der „günstige Erhaltungszustand“, also jene Zahl von Tieren, die man braucht, damit eine Art nicht mehr so schnell aussterben kann, nicht auch für Bundesländer einzeln festgelegt werden könnte.

Das Problem in der Bundesrepublik ist nämlich, dass einige Bundesländer sehr viele, andere aber gar keine Wölfe haben. Im Bundesschnitt gibt es also noch immer viel Raum für wenige Wölfe – und die EU interessiert sich hierbei nur für die Nationalstaaten. Könnten dann in Zukunft Länder wie Brandenburg und Niedersachsen etwa festlegen, dass es dort ausreichend Tiere gibt, so wäre es möglich, eventuell über eine Abschussquote und eine geregelte Bejagung nachzudenken.

Doch auch hier liegt vieles noch im Argen: Die EU überprüft nun zwar den Schutzstatus des Wolfes, eine Änderung ist aber nicht unbedingt zu erwarten. Dass der Wolf seit dem vergangenen Jahr im Landes-Jagdrecht aufgeführt ist, wird vom „Freundeskreis freilebender Wölfe“ zudem nun vorm Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beklagt. Die Unsicherheit seitens der Weidetierhalter und Jäger dürfte derzeit also wachsen – und die Chancen für ein Niedersachsen-spezifisches Bestandsmanagement schrumpfen.



Das „Dialogforum Wolf und Weidetierhaltung“ steht erst am Anfang, die Wolfspolitik in Niedersachsen beginnt aber nicht bei Null. Die Landesregierung sollte auf die großen Fragen rasch Antworten geben und nicht in einen fünfjährigen deliberativen Prozess abtauchen. Sonst bleibt von diesem Format nicht viel mehr übrig als ein Gesprächskreis und Frust auf vielen Seiten.