Vor einem Jahr habe ich an dieser Stelle geschrieben, dass wir die Tiere mehr achten müssen – und dass sich hinsichtlich des Tierwohls im Jahr 2021 eine Menge tun muss und auch tun wird. Besonders große Erwartungen hatte ich an die Reformen, die aus den Ergebnissen der sogenannten Borchert-Kommission folgen sollten. Darin wurde ein Plan aufgezeigt, wie innerhalb eines überschaubaren Zeitraums das Tierwohl-Niveau im gesamten Land signifikant angehoben werden kann.

Jahresausblick Niklas Kleinwächter | Foto: LUMIKK555 (Gettyimages), Montage: cwl

Doch es kam anders: Die (inzwischen frühere) Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) hat die Agrarwende verpennt, verzögert und vermasselt. Nicht nur ich als unbeteiligter Beobachter nehme ihr das übel, sondern auch zahlreiche Landwirte und sogar manche ihrer Parteifreunde aus der CDU. Im Politiknerds-Podcast sagte mir Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast: „Ich bin richtig enttäuscht, weil das wirklich ein Zeichen an unsere Betriebe in ganz Deutschland gewesen wäre.“ Klöckner hat durch immer mehr Gutachten und Studien einen politischen Beschluss zum Borchert-Papier immer weiter hinausgezögert. Die Union nahm das Bekenntnis zu diesen Plänen zwar in ihr Wahlprogramm auf, ohne jedoch die entscheidende Frage zu beantworten: Welches Finanzierungsmodell will man denn haben? Klöckners Ausrede für diese Hinhalte-Taktik war, dass sie einen möglichst großen gesellschaftlichen Konsens für die bevorstehenden Umstrukturierungen herbeiführen wollte. Ich meine jedoch, sie hat einfach nur nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass tierische Produkte aus Deutschland in Zukunft teurer werden müssen.

„In der Zwischenzeit wurde die Krise der Nutztierhaltung kaum gemildert. Durch Corona und die afrikanische Schweinepest hat sie sich im Schweine-Sektor dramatisch zugespitzt.“

Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter

In der Zwischenzeit wurde die Krise der Nutztierhaltung kaum gemildert. Durch Corona und die „afrikanische Schweinepest“ hat sie sich im Schweine-Sektor dramatisch zugespitzt. Sogar der Marktexperte der niedersächsischen Landwirtschaftskammer offenbarte mir im Interview, dass er inzwischen dazu rät, die Betriebe in der Schweine-Wirtschaft aufzugeben – eine Zukunft sieht er nicht mehr und auf die Politik solle man lieber nicht zu lange warten, sagte Albert Hortmann-Scholten.

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Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es zwar Dank der Zusage einiger Einzelhandelsketten, in Zukunft auf 5D zu setzen. Diese Zauberformel steht dafür, dass alle fünf Produktionsschritte (Erzeugung, Aufzucht, Mästen, Schlachten und Verarbeiten) in Deutschland zu geschehen haben. Dieser Schritt soll der heimischen Nutztier-Industrie Rückendeckung geben. Tierwohl nach deutschen Maßstäben soll sich lohnen! Doch der radikale Umbau, welcher der deutschen Nutztierhaltung dennoch bevorsteht, wird sich auch mit 5D nicht dauerhaft abwenden lassen. Dieses Instrument kann höchstens ein Dämpfer sein, der den Aufprall etwas verlangsamt und sanfter ausgestaltet.

Ausblick 2022: Landwirtschaft und Tierwohl

Hier kann man sich den Kommentar von Niklas Kleinwächter anhören.

Was die Landwirtschaft in Deutschland nun aber braucht, sind mutige Entscheidungen der Politik. Es geht um nicht weniger als die Fragen, ob und wie in Deutschland Lebensmittel und vor allem tierische Produkte wie Fleisch, Eier und Milch erzeugt werden sollen – und wie das zu bezahlen ist. An dieser Entscheidung wird die Union nun dank der Verzögerung Klöckners nicht mehr allzu viel mitentscheiden können – allenfalls über den Bundesrat. Die Marschrichtung wird nun jedoch von der Ampel-Regierung und einem Agrarminister der Grünen vorgegeben.

Für den bevorstehenden Transformationsprozess macht mir die Personalie im Agrarressort derweil Mut. Es ist ein Glück für die Landwirte und die Nutztiere im Land, dass nun Cem Özdemir diesen Prozess fortsetzen wird. Warum das? Zunächst hätte es schlimmer kommen können.  Bevor sich Özdemir dank öffentlichen und parteiinternen Drucks durchsetzen konnte, stand Anton Hofreiter auf der Kabinettsliste. Der „linke Öko“ mit den langen Haaren wäre für viele Landwirte ein passendes Feindbild gewesen, er hätte die aufgeheizte Stimmung in der Agrarbranche sicher nicht abkühlen können.

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Übrigens: Es hätte ja auch anders kommen können, wenn die FDP ernst gemacht hätte mit ihrem Anspruch, die einzig wahre Bauern-Partei zu sein. Dann wäre womöglich Gero Hocker jetzt Agrarminister, der wohl das exakte Gegenbild zu Hofreiter abgegeben hätte: ein Freund der Protestbauern, ein Feindbild der Umweltbewegten.

Der Realo und Sozialpädagoge Özdemir ist zwar nicht „vom Fach“, aber was die Landwirtschaft gut gebrauchen kann, ist jemand, der vermittelt und in der Lage ist, mit den vielen Grautönen des Sektors klug umzugehen. Das Borchert-Papier, hört man nun aus Grünen-Kreisen, wird nun als Grundlage angesehen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass man an den Zielen noch etwas schrauben wird: mehr Tierwohl in kürzerer Zeit. Wichtig ist, dass der Umbau nun endlich losgeht. Eine weitere Verzögerung werden sich zahlreiche Betriebe nicht leisten können.