Mehr Kriminalität, mehr Aufgaben, weniger Personal – es sind schwierige Zeiten für die niedersächsische Polizei. Wie wirkt sich das auf den Alltag in den Behörden aus? Das Politikjournal Rundblick beschäftigt sich in einer neuen Serie mit dem Innenleben der Polizei. Heute Teil eins: Die Kriminalpolizei auf Nachwuchssuche.

Von Isabel Christian

Wenn Ulf Küch die Daten zur Personalentwicklung der vergangenen Jahrzehnte vor sich liegen hat, bilden sich auf seiner Stirn Sorgenfalten. Je näher auf dem Papier die Gegenwart rückt, umso kleiner wird die Zahl der neu eingestellten Polizeibeamten. Küch ist Leiter des Zentralen Kriminaldienstes in Braunschweig. 164 Kriminalbeamte in Vollzeit unterstehen ihm, der Altersdurchschnitt liegt bei Mitte 50. Nur 16 von ihnen sind jünger als 38 Jahre. „Wir sind eine ,alte‘ Direktion, uns fehlt der Unterbau“, sagt Küch. Er beschreibt ein Problem, das die meisten Inspektionen im Land haben. Und das möglichst bald gelöst werden muss.

Ulf Küch (Mitte) mit Klaus Wallbaum und Isabel Christian vom Rundblick – Foto: MB.

„In den kommenden drei, vier Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter und dann geht knapp ein Drittel der niedersächsischen Polizei in Pension.“ Doch wer ihnen folgen soll, ist ungewiss. Vor allem bei der Kriminalpolizei (Kripo) gibt es kaum erfahrene Ermittler zwischen 30 und 50 Jahren, es sind die „weißen Jahrgänge“, wie Küch sie nennt. Sie sind eine Folge der Reformen in den Neunzigern, als der politische Kurs für die Polizei noch in Richtung Abrüstung zeigte. Doch das sich deshalb abzeichnende Personalproblem wird nicht mithilfe von massenhaften Neueinstellungen zu lösen sein – auch wenn Regierung und Opposition verhement darüber streiten, wie viele neue Polizisten das Land braucht. Denn nun gibt es zwar wieder Stellen, aber zu wenige Menschen, die sie besetzen können. Die Zahl der Bewerber für die Polizeiausbildung geht seit Jahren zurück. Die Anforderungen sinken, um noch genug Bewerbungen für eine Auswahl zu bekommen. Einerseits ist das positiv, denn dadurch haben auch Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft und Realschüler die Chance auf eine Laufbahn bei der Polizei. Doch insgesamt ist der Beruf für junge Absolventen unattraktiv geworden. Schuld daran ist nach Küchs Meinung auch hier die Landespolitik. Eine starre Ausbildung, eine kaum planbare Zukunft und die Zusammenstreichung des Gehalts bei steigenden Anforderungen haben den Nachwuchs nachhaltig vergrault: „Niedersachsens Polizei hat jungen Schulabgängern zu wenig anzubieten, sodass sich die guten Leute woanders umschauen.“ Das bringe vor allem die Kripo in arge Bedrängnis.

Die Polizeireform hat die zweigliedrige Ausbildung abgeschafft

Als Küch 1974 die Ausbildung an der Polizeischule in Hann. Münden begann, hatte er klare Vorstellungen, was er einmal sein wollte: Ermittler bei der Kripo. „Das war der Grund, weshalb ich überhaupt zur Polizei gegangen bin.“ Damals konnte und musste er diese Wahl sogar treffen, denn es gab zwei Ausbildungswege: für den Dienst bei der Kripo und für die Schutzpolizei. Zweimal im Jahr konnten sich Interessenten bei der Kripo direkt bewerben, genommen wurden jeweils etwa 50 Anwärter. Ein paar Seminare hatten die Auszubildenden beider Linien zusammen, doch während sich die späteren Streifenpolizisten ins Verkehrsrecht vertieften, lernten Küch und seine Kommilitonen die Finessen der Spurensicherung. Heute ist das anders. Mit der Polizeireform von 1994 (unter der ersten rot-grünen Regierung angeschoben) wurde die zweigliedrige Ausbildung abgeschafft, es sollte nur noch Generalisten geben. Küch vermutet, dass eine Gleichstellung zwischen Kripo und Schutzpolizei die Idee war. „Es gab schon eine Selektion. Wer zu den Besseren gehörte, konnte zur Kripo, die anderen mussten in den Streifendienst“, sagt Küch. Auch in der Öffentlichkeit hat die Kripo das bessere Ansehen. „Sowas brennt sich bei der Schutzpolizei ein.“ Dennoch hält Küch Einheitsausbildung für eine „große Eselei“. Denn der Preis für die Gleichstellung der Anwärter ist der Verlust an Spezialisierung. „Für die Fachabteilungen wie Cybercrime oder Wirtschaftskriminalität brauchen wir Experten.“ Das Innenministerium ist dagegen der Auffassung, Tagungen und Seminare neben dem Arbeitsalltag reichten aus, um das nötige Spezialwissen zu erlernen. Wenn für die jungen Beamten feststeht, wo sie eingesetzt werden.

Denn mit der Einführung der Ausbildung für alle ist auch die Wahlmöglichkeit weggefallen. Wer nach dem Studienabschluss an der Polizeiakademie in welcher Abteilung anfängt, bestimmt die Personalabteilung im Ministerium. Lediglich die Direktion können sich die Absolventen durch ihre Bewerbung aussuchen. Dieser Unsicherheitsfaktor schreckt viele Interessierte ab. Das weiß Kriminalhauptkommissarin Gabriele Ruppelt aus eigener Erfahrung. Sie arbeitet bei der Kripo Braunschweig als Sachbearbeiterin für Kriminalitätsbekämpfung und koordiniert unter anderem die Zusammenarbeit mit den Kommissariaten. Schon ihr Vater war bei der Kripo. Ihre drei Töchter jedoch werden wohl nicht in die Polizeiuniform schlüpfen. „Eine war interessiert. Doch die Tatsache, nicht über die eigene Zukunft bestimmen zu können, war einer der Gründe, warum ich ihr schließlich davon abgeraten habe“, sagt Ruppelt.

„Sie fangen mit der Ausbildung wieder ganz neu an“

Nicht nur die Absolventen müssen auf die Auswahl des Ministeriums vertrauen, auch die Polizeiinspektionen. Sie melden jährlich ihren Personalbedarf an das Ministerium, das dann das zur Verfügung stehende Personal zuteilt. „Die Jungen kommen natürlich entweder zur Bereitschaftspolizei oder in die Kommissariate zum Streifendienst“, sagt Küch. Für die Kripo bedeutet das, dass sie hauptsächlich Personal bekommt, das aus anderen Dienststellen wechseln will. „Das sind oft Beamte, die den Schichtdienst gesundheitlich nicht mehr schaffen“, sagt Küch. Jung sind die in den meisten Fällen nicht mehr. Und sie sind an die Arbeit auf der Straße gewöhnt, nicht jedoch an die Arbeit an Tatorten. „Sie fangen hier mit der Ausbildung wieder ganz neu an“, sagt Ruppelt. Doch der Polizeiberuf sei „Learning by doing“ und viel Wissen gehe verloren, weil die Nachfolger erst kommen, wenn die erfahrenen Beamten kurz vor oder schon in der Pension sind. Zudem sei die Arbeit an Tatorten nicht für jeden das Richtige.

Küch plädiert dafür, dass ein bestimmter Prozentsatz der jungen Polizisten entweder nach dem Studienabschluss oder nach einem Jahr im Streifendienst direkt zur Kripo kommt. „Wir wollen nicht den Sonderstatus zurück und uns auch nicht abspalten“, sagt Küch. Aber es müsse bald etwas geschehen. „In Sachen Personal muss viel aufgeholt werden, vor allem bei der Kripo. Sonst zahlt die Bevölkerung die Zeche.“