Christoph Rabbow, der Vorsitzende des Philologenverbandes, hat nicht vergessen, dass Kultusministerin Julia Willie Hamburg im vorigen Jahr einer Institution der Bildungsszene in Niedersachsen ferngeblieben ist. Diesmal schaute sie immerhin für ein Grußwort vorbei bei der Eröffnungsveranstaltung des Philologentages in Goslar – und um sich die Kritik der Gymnasiallehrkräfte abzuholen. „Gesundheit“ und „Wertschätzung in der Schule“ stehen im Mittelpunkt des zweitätigen Delegiertentreffens.

Christoph Rabbow und Julia Hamburg eröffnen den Philologentag in Goslar in vorweihnachtlichem Ambiente. | Foto: Beelte-Altwig

„Lehrergesundheit ist Bildungsgerechtigkeit“, ist Rabbow überzeugt – denn nur gelassene Lehrkräfte seien gute Lehrkräfte. Die Wirklichkeit sehe allerdings anders aus: Psychisch angeschlagene Schüler träfen auf immer weniger Lehrer und auf Nachwuchskräfte, die bereits beim Berufseinstieg ausgebrannt sind. „Wir befinden uns in einem Wettbewerb um die klugen Köpfe“, mahnte Rabbow: „Die jungen Leute wollen nicht bis zum Umfallen arbeiten. Niemand, der noch vierzig Arbeitsjahre vor sich hat, wird in ein Arbeitsfeld unter solchem Druck einsteigen.“

„Bald ist erster Advent – die Zeit der kleinen Geschenke und besonderen Momente“, kündigte Rabbow süffisant an. Zunächst allerdings präsentierte er der Kultusministerin allerdings die Forderungen des Verbandes. Dazu gehört, das Referendariat wieder auf 21 Monate zu verlängern, eine reduzierte Stundenzahl in den ersten Berufsjahren, Begleitung durch erfahrene Kollegen – und ein gesunder Ausstieg aus dem Job mit einer stufenweisen Stundenreduzierung ab 55 Jahren. Nachdrücklich fordern die Philologen, von unterrichtsfernen Aufgaben wie zum Beispiel dem Organisieren von Schulfahrten entlastet zu werden. Zudem erinnerte Rabbow die Ministerin daran, dass seine Kollegen noch immer auf die von Amtsvorgänger Tonne versprochenen zwei Entlastungsstunden warteten.

Eine der angekündigten Überraschungen war Alexander Zimbehl, Landesvorsitzender des Beamtenbundes. Er stimmte die Lehrkräfte auf die am zweiten Adventswochenende anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ein. Plakate mit dem Slogan „10 Prozent plus X“ gingen in die Höhe. Während Rabbow mit dem rhetorischen Florett gegen die Politik focht, wählte Zimbehl die Streitaxt. Unter dem Jubel der Delegierten wetterte er gegen die „abstrusen Ideen“ der „Grünen Jugend“ und forderte die Ministerin auf, sich „von Ideologien zu trennen“ und „die Finger“ vom bewährten gegliederten Schulsystem zu lassen.

Für diese Diskussion sei jetzt nicht die Zeit, pflichtete ihm Julia Willie Hamburg immerhin bei diesem Thema bei. Ihr Grußwort pendelte zwischen Verteidigung und vorsichtiger Attacke. Sie verwies auf Detailfragen, in denen sie den Forderungen der Lehrkräfte entgegengekommen ist: So wurden 36 zusätzliche Stellen für Schulpsychologen verstetigt, auch für arbeitspsychologische Fachkompetenz in der Schulverwaltung habe sie in den Haushaltsverhandlungen gekämpft. Gegen den Lehrermangel setzt sie auf ihre Strategie der „1000 Schritte“. Dazu gehört das Onboarding von Quereinsteigern und 1-Fach-Lehrkräften ebenso wie die Anerkennung ausländischer Abschlüsse.

Mit hochgezogenen Augenbrauen reagierten so manche Delegierte auf ihre Ankündigung, eine „Ermöglichungs-, nicht Verordnungsdebatte“ zu führen. Darunter fasst Hamburg diverse Innovationen, die der Philologenverband kritisch sehen dürfte: etwa interdisziplinäres Arbeiten, wie es an den Gesamtschulen bereits praktiziert wird, oder alternative Prüfungsformen. Ihr Haupt-Fokus liege nicht darauf, die Bedeutung von Noten abzuschwächen, versicherte die Ministerin. Jedoch: „Wo das Korsett zu eng ist, möchte ich es gerne lockern.“

Julia Hamburg hält ein Grußwort beim Philologentag in Goslar. | Foto: Beelte-Altwig

Weit auseinander lagen Hamburg und der Verband auch beim Thema Digitalisierung. In seinem Festvortrag hob der Arzt und Trauma-Experte Alexander Jatzko die Gefahren der digitalen Welt für das analoge Gehirn hervor. So verwies er darauf, dass die Zahl der Selbstmorde in Deutschland kontinuierlich gefallen sei – bis zur Einführung des IPhone 2007. „Digitale Medien sind das Problem, nicht die Lösung“, mahnte Christoph Rabbow. Hamburg kam ihm so weit entgegen: „Digitalisierung ist ein Werkzeug und kein Selbstzweck.“

Allerdings führe an IT in der Schule kein Weg vorbei – und sei es, weil traditionelle Prüfungsformate überholt sind, wenn sie problemlos von ChatGPT erledigt werden können. Nicht nur Rabbow bedauerte, dass die Ministerin gleich nach ihrem Grußwort wieder gehen musste. Auch Urte Schwerdtner, Oberbürgermeisterin von Goslar, hätte sie gerne gefragt, wie die Kommune die zusätzlichen Ausgaben von 12 bis 15 Millionen Euro für Schulmensen stemmen soll. Die werden nötig, wenn im Schuljahr 2026/27 ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung besteht – eine von zahllosen Baustellen auf dem Weg zu einer gesunden Schule.