Darum geht es: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat eine Landarztquote für Medizinstudenten in Aussicht gestellt. Wenn die Anreizprogramme der Kassenärztlichen Vereinigung nicht in überschaubarer Zeit zum Erfolg führten, sollten zehn Prozent der Studienplätze an Bewerber vergeben werden, die sich für zehn Jahren verpflichten, als Allgemeinmediziner auf dem Land zu arbeiten. Ein Kommentar von Martin Brüning.

https://soundcloud.com/user-385595761/cornelia-rundt-darum-brauchen-wir-eine-landarztquote

Der Ausgleich zwischen Jung und Alt und zwischen Stadt und Land – das werden großen Konfliktlinien der kommenden Jahrzehnte. Der ländliche Raum droht an vielen Stellen abgehängt zu werden. „Stirbt die Schule, stirbt das Dorf“, heißt es immer wieder. Das Dorf stirbt langfristig aber auch, wenn das letzte Geschäft geschlossen hat, das Breitbandkabel woanders und der nächste Arzt immer weiter entfernt liegt. Ministerpräsident Stephan Weil hat recht, wenn er in dieser Frage mehr Tempo machen will. In den kommenden zehn Jahren geht mehr als ein Drittel der Vertragsätze in Niedersachsen in den Ruhestand. Wer jetzt Weichen für eine Landarztquote stellt, wird aber frühestens in einem Jahrzehnt erste Ergebnisse sehen. Die Politik zaudert schon recht lange, in dieser Form in die Lebensplanung junger Menschen einzugreifen. Das ist verständlich. Dennoch ist die Landarztquote einen Versuch wert, man muss ihn allerdings auch einmal angehen.

Zwar hat es im vergangenen Jahr eine leichte Entspannung gegeben. Etwas mehr als zehn Prozent der hausärztlichen Existenzgründer entschieden sich für eine Praxis auf dem Land. Das war eine leichte Steigerung. Dennoch ist klar, dass es langfristig schwierig bleibt, genügend Hausärzte in Regionen zu locken, die inzwischen auch für viele Lehrer und andere Angestellte nicht mehr attraktiv sind. Das Niedersächsische Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) warnte bereits vor längerer Zeit, dass es auf dem Land im Jahr 2030 ein Fünftel weniger Hausärzte geben könnte als benötigt. Zudem gilt sowohl in der Stadt als auch auf dem Land: Selbst wenn die Zahl der Ärzte steigt, so steigt die Zahl der Behandlungen angesichts des demographischen Wandels schneller. Auch in den Städten stößt bereits mancher Arzt an seine Kapazitätsgrenzen.

Lesen Sie auch:

 

Die Politik muss also handeln. Dabei wird die Landarztquote nur ein Stein im Mosaik sein. Zugleich braucht es weiter die Initiativen von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung und das Werben sowie die Unterstützung in den betroffenen Kommunen. Auch die Digitalisierung wird eine große Rolle spielen. In ersten Projekten auf dem Land kommt die „TeleVERAH“ zum Patienten. Das sind Praxismitarbeiterinnen, die mit technischen Geräten ausgestattet den Hausbesuch übernehmen. Der Arzt kann dann zum Beispiel ein EKG in der Praxis sehen, obwohl er gerade nicht direkt beim Patienten zuhause ist. Auch hier ist die Politik gefragt. Denn ohne die nötige Internetverbindung stößt die Digitalisierung in der Medizin schnell an ihre Grenzen.

Natürlich kann man angesichts der Anreizprogramme und digitaler Alternativen die Landarztquote skeptisch beurteilen, zumal sie auch viele Fragen mit sich bringt. Wird ein Studienanfänger, der für den Studienplatz die Landarzt-Verpflichtung unterschrieben hat, zehn Jahre später auch wirklich ein guter Landarzt sein? Kann man in so jungen Jahren schon so weit vorausplanen? Und können sich wenige Studenten aus wohlhabenden Familien am Ende aus der Verpflichtung freikaufen? Diese Fragen und Zweifel sind alle berechtigt. Dennoch gilt: Versuch macht klug. In einer alternden Gesellschaft, die es zugleich in die Städte zieht, wird die medizinische Versorgung automatisch zu einem zentralen Thema der Politik. Sie hat mit der Landarztquote ein mögliches Steuerungsinstrument in der Hand, welches sie angesichts der Entwicklung zumindest einmal ausprobieren sollte.

Mail an den Autor dieses Kommentars