Neue Koalition, neues Schulgesetz. Auch in der 18. Legislaturperiode wird landespolitisch wieder einmal zuerst am Schulsystem gewerkelt. In der ersten Landtagsberatung zum Gesetzentwurf zeigten sich die neuen Koalitionspartner SPD und CDU im Januar schon Seit‘ an Seit‘, die Bildungsexperten Stefan Politze und Mareike Wulf sprachen gleich beide von wichtigen Weichenstellungen. Fährt der schulpolitische Zug jetzt damit in die richtige Richtung oder aufs tote Gleis? Die Meinungen dazu waren gestern unterschiedlich. Im Landtag bezogen Verbände zu den geplanten Änderungen im Schulgesetz Stellung, heute soll die Anhörung fortgesetzt werden. Im Kern geht es um drei wichtige Veränderungen.

Die flexiblere Einschulung

„Für Kinder, die das sechste Lebensjahr zwischen dem 1. Juli und dem 30. September vollenden, können die Erziehungsberechtigten den Schulbesuch durch schriftliche Erklärung gegenüber der Schule um ein Jahr hinausschieben“, heißt es im Gesetzentwurf. Ein Vorschlag, der von vielen Verbänden gelobt wurde. Die Kommunen tun sich damit allerdings schwer. Zwar könne eine spätere Einschulung für einzelne Kinder sinnvoll sein, es habe aber Folgen für das vorgelagerte System, sagte Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages (NLT). Konkret bedeutet das: Die von der Landesregierung – möglicherweise konservativ – geschätzten 2800 Kinder, die dann später eingeschult werden könnten, hätten ein weiteres Jahr Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Meyer hat Sorge, dass unter diesen Umständen der Rechtsanspruch in einigen Regionen, in denen die Zahl der Kita-Plätze jetzt schon knapp ist, nicht mehr erfüllbar sein könnte. Zudem habe die Entscheidung auch finanzielle Auswirkungen auf die geplante beitragsfreie Kita. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Laura Pooth, mahnte für die flexiblere Einschulung genügend Kapazitäten in den Kindergärten an. Sowohl NLT als auch der Verband Bildung und Erziehung forderten den 1. Februar als jährlichen Stichtag für Eltern, um Schulen und Kindergärten genügend Zeit bei der Planung einzuräumen.

Vorschulische Sprachförderung nicht mehr in Grundschulen

Sie soll in den Kindergärten stattfinden – ein Tribut an die Unterrichtsversorgung. Denn dadurch werden rechnerisch insgesamt 500 sogenannte „Vollzeitlehrerstellen“ frei. „Die Kommunen können allerdings nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass wir in den Kitas diese 500 Stellen schon zum 1. 8. komplett auffangen können. Das wäre eine kleine Sensation“, warnte NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer. Er hadert ein wenig mit dem eng gestrickten Zeitplan, sowohl bei der Sprachförderung als auch der Einschulung. „Es wird am 1. August möglicherweise einen etwas rumpeligen Start geben. Das ist der Preis, den man angesichts des Zeitplans in Kauf nehmen muss“, so Meyer. Mike Finke, Vorsitzender des Landeselternrats, bemängelte zudem, es bleibe völlig offen, wie zum Beispiel die Qualität der Sprachförderung gesichert und überprüft werden solle.

Gnadenfrist für die Förderschule Lernen

Die Förderschulen können nun auf Antrag des Schulträgers bis 2028 weiter bestehen bleiben. Alternativ kann es Lerngruppen für Schüler mit entsprechendem Förderbedarf an allgemeinbildenden Schulen geben. Bei den Verbänden sorgte das für massiven Protest. Die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Petra Wontorra, warft der Landesregierung „Exklusion“ vor. Frank Stöber vom Schulleitungsverband sprach von einer „Rolle rückwärts“ und Franz-Josef Meyer vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) monierte, Inklusion werde damit auf die lange Bank geschoben. Es sei zudem unverantwortlich, dass durch die Doppelstrukturen Ressourcen in den allgemeinbildenden Schulen fehlten.

Für Holger Westphal von der GEW führt das neue Schulgesetz zu einer deutlichen Verzögerung bei der Inklusion. Die aktuelle Gesetzgebung werde ohne erkennbaren Grund revidiert. Mit den neuen Lerngruppen gebe es sogar eine „neue Form der Segregation“. Westphal forderte stattdessen eine andere Verteilung der Schüler. Betroffene Eltern würden geradezu dahingehend beraten, ihr Kind auf eine Förderschule zu schicken. Denn schwierige Schüler kämen auf Schulen, auf denen es ohnehin schon schwierig sei. Deshalb sollten mehr Inklusionskinder auch auf Gymnasien geschickt werden. „Es kommt uns schließlich auf Teilhabe an“, sagte Westphal.

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Auf scharfe Kritik stieß auch die geplante Abschaffung des Paragraphen 178 des Schulgesetzes. Er sieht eine Evaluation der Inklusionsmaßnahmen der vergangenen Jahre vor. Dem Verband Sonderpädagogik fehlt es seit Jahren an einer „planvollen, systematischen Umsetzung der Inklusion“. Auch der Vorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz, hält die ersatzlose Abschaffung für einen Fehler. Eine Überprüfung sei zwingend erforderlich. Audritz sprach sich darüber hinaus dafür aus, die Förderschule Lernen auch über das Jahr 2028 hinaus zu erhalten.

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Dass das Thema Inklusion spätestens zum nächsten Wahltermin wieder auf die Tagesordnung kommt, damit rechneten gleich mehrere Verbandsvertreter. Er sei in den vergangenen Jahren schon mehrmals zu dem Thema im Landtag gewesen, seine Meinung habe sich immer noch nicht geändert, sagte gestern Franz-Josef Meyer vom VBE. Möglicherweise erhält er im Jahr 2022 die nächste Einladung. Vielleicht gilt ja dann immer noch: neue Koalition, neues Schulgesetz. (MB. )