Lehrer müssen länger arbeiten als vergleichbare Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, haben aber dennoch immer weniger Zeit für den Unterricht. Das geht aus eine Studie der Georg-August-Universität in Göttingen im Auftrag der gewerkschaftseigenen Max-Träger-Stiftung hervor. Demnach arbeiten Lehrer in Niedersachsen pro Woche 1 Stunde und 40 Minuten länger als vergleichbare Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Das ist die errechnete Zahl, wenn man das gesamte Jahr inklusive Ferienzeiten einbezieht. Bis zu ein Fünftel der Lehrer arbeitet in den Schulwochen mehr als 48 Stunden. „Hier muss für Entlastung gesorgt werden. Das sind enorme Belastungen, die auch große Gesundheitsrisiken mit sich bringen“, sagte Frank Mußmann, einer der Autoren der Studie. Es sei ein großes Problem, dass es keine Erholungszeiten in den Schulpausen gebe und Lehrer sehr entgrenzt arbeiteten, die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben also stark verwischen. Mußmann sprach von „langen Phasen der Spitzenbelastung“.

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Für die Erhebung hatten die Forscher insgesamt 20 Studien zur Arbeitszeit von Lehrern aus den vergangenen sechs Jahrzehnten verglichen. Das Modell der Pflichtstunden gebe es sogar schon seit der Kaiserzeit und sei mehr oder weniger konstant geblieben, erklärte Mußmann. Im Jahr 1873 habe die Zahl der Pflichtstunden bei Volks- und Grundschulen bei 30 gelegen, heute seien es 28. „In diesen über 120 Jahren ist die Industriearbeitszeit um die Hälfte und die Arbeitszeit von Beamten von 48 auf 40 Stunden reduziert worden. Trotz tiefgreifender Veränderungen in der Gesellschaft und neuer Anforderungen an das Schulsystem ist die Regelstundenbemessung bei Lehrern aber gleichgeblieben“, so Mußmann.

Alle Daten und Fakten liegen jetzt auf dem Tisch. Der Ball liegt im Spielfeld der Arbeitgeber. – Laura Pooth

Trotz der Belastung durch die Arbeitszeit geht den Lehrern Zeit für Unterricht verloren. Der Studie zufolge machte im Jahr 1960 der Unterricht bei einer Grundschullehrerin noch 50 Prozent der Arbeitszeit aus. Jetzt sind es nur noch 40 Prozent. Auch die „unterrichtsnahe Lehrarbeit“ wie zum Beispiel Vorbereitung oder Korrekturen sank von 33 auf 25 Prozent. Enorm gestiegen ist dagegen der Anteil der sonstigen Arbeit. Er lag 1960 noch bei 17 Prozent und macht jetzt mehr als ein Drittel der Arbeit aus. Gemeint sind damit zum Beispiel Arbeitsgruppen, Organisation oder Weiterbildungen. Dieselbe Entwicklung ist auch bei Gymnasiallehrern zu beobachten.

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„Wir finden jetzt durch die Forschung bestätigt, dass uns die Zeit fehlt. Kollegen hatten uns das auch immer wieder berichtet“, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, bei der Vorstellung der Studie in Hannover. Bei den Lehrern würden seit Jahrzehnten immer neue Aufgaben draufgesattelt, ohne die Pflichtstundenzahl zu reduzieren. Die neue Studie mache nun deutlich, dass die Arbeitszeit von Lehrern sehr wohl bestimmbar ist. Der Arbeitgeber kann sich nicht mehr herausreden“, sagte Laura Pooth, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Niedersachsen. „Alle Daten und Fakten liegen jetzt auf dem Tisch. Der Ball liegt im Spielfeld der Arbeitgeber.“ Sie forderte, die Unterrichtsverpflichtung zu senken, damit es mehr Zeit für die Schüler gebe. Angesichts des massiven Lehrermangels müsse es zumindest ein Signal der Entlastung seitens der Politik geben. Diese Entlastung müsse kommen, sobald sich die Lage entspannt habe.

Laut Kultusminister Grant Hendrik Tonne wird das Expertengremium zur Lehrer-Arbeitszeit die von der GEW beauftragten Studien auch künftig als wissenschaftliches Material einbeziehen. Die Landesregierung räume dem Themenspektrum Lehrerarbeitszeit und Entlastung der Lehrer eine hohe Priorität ein. „Überlastungen bei der Arbeitszeit müssen behoben und Entlastungen im Schulalltag umgesetzt werden“, sagte Tonne. Man wolle zusammen mit Lehrerverbänden und Lehrergewerkschaften eine konsensfähige Lösung finden. Die Grünen im Landtag forderten angesichts der Studie zügige Antworten von Tonne. „Wir sehen es mit großer Sorge, dass sich seit Jahren die Alarmmeldungen häufen“, sagte die Bildungspolitikerin der Grünen, Julia Willie Hamburg. Es sei ganz klar, dass Lehrer weitere Entlastung benötigten. Der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling appellierte an den Kultusminister, der FDP-Forderung nach einer neuen Arbeitszeitverordnung ebenso nachzukommen wie der nach einer Erhöhung der Gehälter aller Lehrer auf mindestens A13. „Das ist eine Frage der Wertschätzung des Lehrerberufes und der Qualität der Bildung unserer Kinder“, so Försterling.