Von Niklas Kleinwächter

„Landwirte werden zu Buhmännern gemacht, unsere Kinder werden gemobbt, wir sind den ganzen Tag auf dem Feld und abends sagt man uns im Fernsehen, dass man unsere Lebensmittel nicht essen kann.“ Mit diesen deutlichen Worten fasste ein Junglandwirt zusammen, was einen ganzen Berufsstand zurzeit umtreibt. Es ist diese Mischung aus Angst und Wut, Enttäuschung und auch Politikverdrossenheit, die am Dienstag tausende Bauern dazu gebracht hat, mit ihren Traktoren den Verkehr rund um die Landeshauptstadt zeitweise zum Erliegen zu bringen. Etwa 2000 Schlepper kamen in die Innenstadt gefahren, rund um den Maschsee reihten sie sich auf. Entstanden ist das neue Protestbündnis erst vor ein paar Wochen über eine Facebook-Gruppe. „Land schafft Verbindung: Wir rufen zu Tisch“ heißt ihr Slogan.

Die Demonstration wurde also nicht von einem Verband organisiert, die politischen Forderungen sind deshalb auch nicht bis ins Detail ausbuchstabiert. Was sie eint, ist die Sorge um die Zukunft ihres Berufs. Über die Entscheidungen aus Berlin, zuletzt zum Agrarpaket der Bundesregierung, ärgern sie sich. Sie fühlen sich nicht mehr gehört, ihnen fehle die Stimme, sagen sie. „Agrarpaket? Wir wollen mitreden“, schreiben sie auf ihren Transparenten, oder auch: „Lieber Verbraucher, wir lieben Lebensmittel. Du auch?“ Die Gesellschaft gebe ihnen die Schuld an allem, klagen sie. Deshalb wollen sie mit den Verbrauchern ins Gespräch kommen.

Ich verstehe nicht, wie politische Entscheidungen ohne wissenschaftliche Betrachtung getroffen werden können.

Doch hinter diesen Gemeinsamkeiten lassen sich bei genauerer Betrachtung zwei unterschiedliche Lager erkennen. Zunächst gibt es die einen, oft jüngere Landwirte, die sich zwar sehr deutlich um die Zukunft ihrer Betriebe sorgen. Sie zeigen sich allerdings auch offen für Veränderungen – solange diese wissenschaftlich begründet sind. Doch diese Sachlichkeit fehlt vielen von ihnen bei den politischen Entscheidungen der letzten Zeit zu häufig. Die Idee eines Agrarpakets sei ja durchaus sinnvoll, sagte etwa einer dieser jungen Landwirte auf der Bühne. „Ich verstehe aber nicht, wie politische Entscheidungen ohne wissenschaftliche Betrachtung getroffen werden können. Willkürliche Verbote und massive Einschränkungen können nicht die Lösung sein für eine nachhaltige Landwirtschaft.“ Diese Gruppe der Demonstranten hat die Hoffnung nicht aufgegeben und zeigt sich ernsthaft gesprächsbereit der Politik gegenüber.


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Doch es gibt auch eine andere Gruppe, nämlich die Gruppe der frustrierten und eher älteren Bauern, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, und die auch nicht mehr daran glauben, dass sich Politiker wirklich für sie einsetzen würde. „Die politische Klasse kämpft um ihr Überleben. Und wenn da angesagt ist, auf die Bauern einzuhauen, dann machen die das auch“, sagte einer der Demonstranten zu seinen Begleitern.

Der Schmerz in dieser Gruppe scheint besonders tief zu sitzen, das Gefühl des Abgehängtseins drückt sich auch in Aussagen wie dieser aus: „VW hat jahrelang betrogen, wir nicht. Die können von dem Geld, das sie damit verdient haben, noch jahrelang leben. Wir nicht.“ Auf der Bühne attestierte ein Redner sogar den Bundesministerinnen Julia Klöckner (CDU, Landwirtschaft) und Svenja Schulze (SPD, Umwelt) Führungsversagen: „Merkel muss die Agrarpolitik zur Chefsache machen, die beiden Frauen müssen wir kaltstellen.“

Die beiden Ministerinnen kriegen das nicht hin. Ich wünsche mir, dass die Kanzlerin das zur Chefsache macht.

Diesen Groll auf die Politiker bekam am Dienstag ganz besonders Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) zu spüren. Neben Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hatte auch er sich der Kritik der Bauern in Hannover gestellt. Doch Verständnis brachten diese dem Umweltminister nicht entgegen. Als Lies etwa über die Biotopvernetzung und Blühstreifen sprach, riefen mehrere Demonstranten „Zwangsenteignung“ oder „Flächenstilllegung“ dazwischen, auch Buh-Rufe waren zu hören.

Als der Umweltminister dann einen typischen Politiker-Satz sagte („Auch das gehört zur Wahrheit aber dazu“), offenbarte sich eines der Grundprobleme in der Auseinandersetzung zwischen Landwirten und Politik. Ein Demonstrant rief aus den hinteren Reihen gut vernehmbar: „Dann soll er auch die Wahrheit sagen!“ Lies erwiderte darauf, das sei ja nicht nur seine Wahrheit, sondern auch fachliche Meinung. Doch darüber, was fachlich richtig ist, gehen die Meinungen nun auseinander.

Streit um die Nitrat-Messungen

Agrarministerin Otte-Kinast hingegen gelang es deutlich besser, die Demonstranten auf ihre Seite zu ziehen – oder vielmehr: sich auf Seite der Demonstranten zu stellen. So sagte sie etwa, dass die Messstellen an den Grundwasserkörpern, auf deren Grundlage die Karte der besonders nitratsensiblen Gebiete erstellt wurde, alle zu hinterfragen seien. Glaubt die Ministerin nun also selbst nicht mehr an die wissenschaftliche Fundiertheit der eigenen Behörden? Immerhin hatte Otte-Kinast diese Karte erst vor wenigen Wochen gemeinsam mit Lies der Öffentlichkeit vorgestellt.

Aus der Landwirtschaft wird seitdem infrage gestellt, dass die Messungen korrekt vonstattengegangen sind. „Machen, machen, nicht nur labern“, rief ihr deshalb einer der Demonstranten entgegen. „Ich laber‘ nicht nur, ich kämpfe“, entgegnete die Ministerin. Das tat sie dann auch sehr konkret, zumindest verbal, indem auch sie die Kritik an ihren Ministerkolleginnen auf Bundesebene aufgriff: „Die beiden Ministerinnen kriegen das nicht hin. Ich wünsche mir, dass die Kanzlerin das zur Chefsache macht.“

Auch Lies hatte es mit versöhnlichen Tönen versucht. So sagt er etwa: „Dann setzen wir uns an einen Tisch, wie wir das früher auch getan haben.“ Doch sofort hagelte es Widerspruch: „Nein, habt ihr eben nicht“, hallte es da aber aus den Reihen der Demonstranten zurück. „Nicht mit allen, das ist auch schwierig. Aber mit den Verbänden“, versuchte Lies sich zu retten. Doch das verfing bei seinen Zuhörern nicht. So fragt sich der Betrachter: Wo bleibt da etwa das Landvolk, das sich doch als Bindeglied zwischen Politik und Bauern verstehen muss? Wo ist der Gesprächsfaden gerissen?