Im Oktober vergangenen Jahres trat der Erlass zur beruflichen Orientierung in Niedersachsen in Kraft. Damit wollte Kultusminister Grant Hendrik Tonne auch die Berufsorientierung an den Gymnasien stärken. Fast ein Jahr später macht sich beim Handwerk leichte Enttäuschung breit. „Der Erlass muss mit Leben gefüllt werden, das ist häufig noch nicht der Fall“, sagte Karl-Wilhelm Steinmann, Vorsitzender der Landesvertretung der Handwerkskammer in Niedersachsen (LHN), auf einer Pressekonferenz am Montag in Hannover.

Steinmann forderte, die Berufsorientierung in den Gymnasien zur Leitungsaufgabe zu machen. „Es muss an die Schulleitung angedockt werden. Das passiert bisher oft nicht.“ Auch LHN-Hauptgeschäftsführerin Hildegard Sander sieht gerade bei Gymnasien bisher Zurückhaltung. „Sie machen eine gute Studienberatung, aber es muss eben auch eine gute Berufsberatung geben.“ Dem Handwerk gehe es nicht um eine andere Einseitigkeit, sondern darum, den Schülern die Auswahl der Möglichkeiten in der ganzen Breite darzustellen. Wichtig sei in allen Schulformen auch eine zeitgemäße Berufsorientierung. „Handwerk hat sich technisch weiterentwickelt, da ist Schule oftmals noch hinterher“, stellte Steinmann fest.

Handwerkskammer kritisiert Trend zur Akademisierung

Angesichts deutlich zurückgehender Bewerberzahlen, was voraussichtlich zu einer steigenden Zahl unbesetzter Lehrstellen führen wird, sucht das Handwerk auch immer stärker unter Abiturienten nach Nachwuchs. Schon seit Jahren steige der Anteil der Abiturienten unter den Auszubildenden. Im Jahr 2010 lag er noch bei knapp fünf Prozent, inzwischen haben mehr als 12 Prozent der neuen Azubis Abitur. „Wir müssen mehr tun, um Abiturienten für uns zu gewinnen“, sagte Steinmann, übte aber zugleich Kritik an der steigenden Zahl junger Menschen an Gymnasien und Hochschulen.

Zugleich liege die Quote der Studienabbrecher immer noch bei 30 Prozent. „Offensichtlich läuft da etwas verkehrt, aber das ist immer noch Stand der Dinge“, konstatierte der LHN-Vorsitzende. Es gebe einen anhaltenden Trend zur Akademisierung, obgleich die Wirtschaft immer offensiver warne und der Wunsch nach einer Stärkung der dualen Ausbildung immer lauter formuliert werde. Die Betriebe benötigten händeringend qualifizierte Mitarbeiter. „Im Moment gehen Handwerksmeister auf dem Zahnfleisch, um das zu bewerkstelligen, was da alles auf dem Tisch steht“, erklärte Steinmann. Pläne der Politik, Ölheizungen abzuschaffen, würden für noch mehr Arbeit sorgen.


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Mit ihren Auszubildenden sind die Handwerksbetriebe in Niedersachsen derweil sehr zufrieden. Das geht aus einer Umfrage der Kammer hervor, an der sich mehr als 2100 Betriebe beteiligten. Fast 90 Prozent der Betriebe gaben an, zufrieden mit ihren Auszubildenden zu sein, mehr als ein Fünftel sind sogar sehr zufrieden. Gelobt wurden vor allem Zuverlässigkeit, Interesse und Aufgeschlossenheit sowie Motivation und Teamfähigkeit. Gerade soziale Kompetenzen spielen Steinmann zufolge eine große Rolle. Weniger zufrieden sind viele Betriebe dagegen mit dem mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögen ihrer Auszubildenden, sowie deren elementaren Rechenfertigkeiten. Die Unternehmen versuchten, Schwächen abzufangen und investierten immer mehr in die Begleitung der jungen Menschen. Es seien aber auch Schulen und Elternhäuser gefordert, Wert auf eine gute Grundbildung zu legen.