Das Haus in Delmenhorst stammt aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Früher haben hier Familien gewohnt, seit 26 Jahren aber bieten die Mauern Frauen und ihren Kindern Schutz, die zu Hause keinen mehr finden. Doch was die früheren Bewohner wenig störte, bereitet den Betreibern des Frauenhauses nun Kopfzerbrechen. Denn das Haus ist nicht barrierefrei. Schon um die Haustür zu erreichen, muss man mehrere Stufen erklimmen. Ein Rollstuhl passt durch die nur 85 Zentimeter breite Eingangstür gar nicht erst durch. „Wenn wir gehbehinderte Frauen zur Beratung da hatten, musste der Rollstuhl immer draußen bleiben“, sagt Frauenhaus-Leiterin Birgit Sikken. Und aufnehmen konnte man diese Frauen schon gar nicht, denn alle Zimmer liegen mindestens im ersten Stock und sind nur über teils steile Treppen zu erreichen. Zumindest bis jetzt.

Denn das Frauenhaus Delmenhorst soll umgebaut werden, mit Geld vom Land. Eine Million Euro hat Sozialministerin Carola Reimann zusätzlich zur normalen Förderung von 4,4 Millionen Euro für die 41 Frauenhäuser im Land im Haushalt einstellen lassen können, das Geld soll in den barrierefreien Aus- und Umbau der Häuser fließen. Sechs Frauenhäuser konnten von der Förderung profitieren, die Sozialministerin überreichte gestern in Hannover den Vertretern der Frauenhäuser in Delmenhorst, Meppen, Helmstedt, Hildesheim, Lingen und Nordhorn die Förderbescheide.

216.000 Euro bekommt das Frauenhaus in Delmenhorst für den Umbau. „Damit wollen wir eine Rampe bauen, die über den hinteren Eingang ins Haus führt“, sagt Doris Fuhrmann, Geschäftsführerin des Awo-Kreisverbands, der Träger des Frauenhauses ist. Auch im Erdgeschoss, wo zurzeit der Gemeinschaftsraum, die Küche und Büroräume sind, soll sich einiges verändern. Hier soll ein Zimmer mit barrierefreiem Bad entstehen, damit endlich auch gehbehinderte Frauen im Frauenhaus Zuflucht finden können. „Das ist wichtig, denn wir bekommen immer wieder Anfragen“, sagt Sikken. Bisher mussten diese Frauen an andere Häuser vermittelt werden, wenn es nicht gelang, mittels des Gewaltschutzgesetzes den gewalttätigen Partner aus der gemeinsamen Wohnung verweisen zu lassen.


Lesen Sie auch:

Das Land muss mehr tun für die Frauenhäuser

Was bringt der Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus?

Kein Zimmer frei im Frauenhaus


Unter den Anfragenden sind sowohl Rollstuhlfahrerinnen wie auch Frauen mit Rollator. „Nicht alle von ihnen sind im Seniorenalter, aber auch ältere Frauen suchen bei uns Zuflucht“, sagt Sikken. Die älteste Bewohnerin derzeit etwa sei 68 Jahre alt und vor kurzem war eine 80-Jährige in einer der Beratungsstellen. Dass es nicht mehr nur junge Frauen sind, die im Frauenhaus Hilfe suchen, hat nach Ansicht von Sikken mit einem Wandel in der Gesellschaft zu tun. „Früher galt bei vielen die Devise: ,Was hinter verschlossenen Türen stattfindet, geht mich nichts an‘. Heute schauen Nachbarn und Familie dagegen eher hin und sind bereit zu helfen.“ Und auch die Frauen selbst sind nicht mehr so häufig bereit, einen gewalttätigen Mann ihr Leben mitbestimmen zu lassen. Schon öfter habe sie von Frauen, die ins Haus gekommen sind, den Satz gehört: „Jetzt sind die Kinder groß, jetzt verlasse ich ihn.“

Obwohl sich Gewalt in der Familie durch alle ethnischen und sozialen Schichten zieht, sind mit rund 80 Prozent die meisten Frauen, die im Delmenhorster Frauenhaus Zuflucht suchen, Migrantinnen oder haben einen Migrationshintergrund. „Das liegt daran, dass diese Frauen in der Regel niemanden haben, zu dem sie sich flüchten können“, sagt Fuhrmann. Die Familie lebt in einem anderen Land, Freundschaften sind brüchig und einen richtigen Zufluchtsort bieten sie nicht. Die Kosten für die Unterbringung rechnet die Awo über Tagespauschalen mit den Kommunen ab, aus denen die Frauen stammen. „Da hat sich zum Glück einiges getan“, sagt Sikken, die das Delmenhorster Frauenhaus seit 25 Jahren leitet. Denn früher musste das Frauenhaus die Kostenübernahme noch innerhalb von drei Werktagen bei der Kommune beantragen. Klappte das nicht, blieb das Frauenhaus auf den Kosten sitzen. „Durch die rechtliche Verpflichtung der Kommunen zur Mitfinanzierung ist das besser geworden“, sagt Sikken. Doch beim Geld gibt es immer noch Fallstricke.

Bekommen Frauen staatliche Unterstützung wie etwa Arbeitslosengeld, oder liegen unter einer bestimmten Einkommensgrenze, springt der Staat in Gestalt der Kommunen für die Kosten des Aufenthalts im Frauenhaus ein. „Wir haben auch ganz wenige Frauen, die über der Einkommensgrenze liegen und die Tagespauschalen selbst zahlen müssen“, sagt Fuhrmann. Häufiger kommen jedoch Frauen, die nicht arbeiten, aber auch nicht im Sozialsystem sind. „Das sind zum Beispiel Osteuropäerinnen, die mit ihren Männern hergekommen sind.“ Während der Mann arbeiten geht, kümmert sich die Frau um Haushalt und Kinder. Verlässt sie ihn, bekommt sie jedoch keine staatliche Unterstützung. „Es gibt keinen Kostenträger, der für diese Frauen den Aufenthalt im Frauenhaus bezahlt“, sagt Fuhrmann. Gleiches gelte für Studentinnen, die Bafög bekämen. „Die stehen dem Arbeitsmarkt nicht zu Verfügung und haben deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, aber wegen des Bafög dürfen sie auch keine anderen staatlichen Leistungen bekommen.“

Fuhrmann und Sikken setzen ihre Hoffnung deshalb auf den Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus. Denn würde ein solcher Anspruch im Gesetz verankert, würden die Lücken in der Finanzierung geschlossen werden müssen. Ministerin Carola Reimann ist sich sicher, dass man diesem Ziel schon einen Schritt näher gekommen ist. Denn im August hat zum ersten Mal der Runde Tisch zum Schutz von Frauen vor Gewalt von Bund und Ländern getagt. „Für einen solchen  Runden Tisch habe ich mich schon eingesetzt als ich noch Bundestagsabgeordnete war. Jetzt hat Bundessozialministerin Franziska Giffey ihn endlich gegründet“, sagt Reimann. In diesem Gremium soll es um die Themen gehen, die den Schutz von Frauen vor Gewalt bedingen. Etwa die Barrierefreiheit und Sicherheit von Frauenhäusern, die Prävention und die Schulung von Mitarbeitern. Auch Geld wird verteilt werden, 30 Millionen Euro will der Bund ab 2020 jährlich zur Verfügung stellen. Wie diese Gelder aber verteilt werden und welchen Anteil die Länder leisten müssen, sei noch offen. „Mir ist es wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang auch über den Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus sprechen“, sagt Reimann. Denn dann bekäme das ganze Thema viel mehr Durchschlagskraft. „Auch im Hinblick auf die finanzielle Beteiligung der Kommunen.“

Von Isabel Christian