Von Isabel Christian

Das Gesicht von Anne Kura sollte man sich merken. Denn die Frau mit dem Grübchenlächeln gehört zu den Mitgliedern, in die die niedersächsischen Grünen derzeit ihre größten Hoffnungen setzen. Am Wochenende will sich Kura, die für die Grünen im Stadtrat Osnabrück sitzt, zur Co-Parteivorsitzenden neben Stefan Körner wählen lassen. Ihre Chancen, auf Meta Janssen-Kucz zu folgen, stehen gut, bisher gibt es keine Gegenkandidatin. „Aber zu sicher darf man sich nicht sein, mehrere Kandidaten für ein Amt sind ja auch ganz normal“, sagt Kura im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Die Wahl der 33-Jährigen hätte auch Symbolcharakter. Denn Kuras Schwerpunkte liegen weniger im Umweltbereich, sondern vor allem in der Sozial- und Gesundheitspolitik. Hier wollen sich die Grünen stärker profilieren. Denn die Digitalisierung der Arbeitswelt und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft gelten schon jetzt als zukünftiges Dauerbrenner-Thema. Gelingt es Kura, im kommenden halben Jahr in diesem Bereich auch auf Landesebene Akzente zu setzen, dürften ihre Aussichten auch bei der regulären Parteivorstandswahl im Herbst gut sein. Denn die jetzige Wahl soll zunächst nur übergangsweise die Lücke füllen, die Janssen-Kucz mit der Aufgabe des Postens hinterlassen hat, als sie zur stellvertretenden Landtagspräsidentin gekürt wurde.

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Zu den Grünen und ihren Themen fühlte sich Kura schon immer hingezogen. Allerdings kam es für sie in ihrer Jugend nicht infrage, sich parteipolitisch zu engagieren. „Seit ich geboren wurde, hat mein Vater Kommunalpolitik für die Grünen gemacht“, erzählt Kura, die aus dem westfälischen Bünde stammt. „Für mich war es deshalb zwar eine ganz normale Sache, dass man sich in der Gemeinde einbringt. Aber ich wollte nicht als Anhängsel meines Vaters gelten, sondern lieber später mein eigenes Ding machen.“ Diese Chance kam, als sie 2004 zum Studium nach Osnabrück zog – und das Gerangel um die Studiengebühren begann. Mit einigen Gleichgesinnten gründete sie die Grünen-Hochschulgruppe, lernte die örtlichen Grünen-Politiker kennen und trat 2007 schließlich selbst den Grünen bei. „Das war der richtige Zeitpunkt, in meiner neuen Stadt selbst politisch aktiv zu werden.“ Schon zwei Jahre später wurde sie in den Landesparteirat gewählt, 2016 kandidierte sie schließlich erfolgreich für einen Sitz im Osnabrücker Stadtrat und vertritt die Grünen seitdem dort im Sozialausschuss.

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Damit ist Kura bestens geeignet für ein Thema, bei dem die Grünen präsenter werden wollen: der Digitalisierung der Gesellschaft. Die Debatte soll ihnen nutzen, sich als soziale Partei abseits des Ökolabels zu profilieren und damit auch eine Alternative zur SPD zu bieten. „Die Digitalisierung wird unser ganzes Leben und Arbeiten umkrempeln“, sagt Kura. Sie geht etwa davon aus, dass das bestehende Sozialsystem darauf nicht vorbereitet ist. „Maschinen nehmen immer mehr Menschen ihre Arbeit ab, nicht nur körperliche auch geistige. Unsere Gesellschaft und unsere sozialen Sicherungssysteme sind aber auf Arbeit ausgerichtet. Wir müssen damit rechnen, dass sich das in den kommenden Jahrzehnten verändert.“ Daher müsse man zum einen eine Lösung dafür finden, wie das Sozialsystem auf die Veränderung reagieren kann. „Dazu müssen wir verstärkt auch mit Gruppen reden, die uns traditionell nicht so nahestehen. Zum Beispiel den Industrie- und Handelskammern.“ Zum anderen wollen die Grünen aber auch einen Bewusstseinswandel anstoßen. „Wenn es weniger Arbeit gibt, kann das Ideal nicht mehr ein Leben sein, das sich an der Arbeit orientiert“, sagt Kura. Stattdessen sollte sich die Politik überlegen, wie sich das Potenzial der zusätzlichen Freizeit für die Gesellschaft nutzen lasse.

Anne Kura bei ihrer Bewerbungsrede in Oldenburg – Foto : kw

Spricht man Kura auf die Krise der Partei nach der Landtagswahl an, zeigt sie sich selbstkritisch. „Es war gut, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder an der Regierung beteiligt waren. Das hat aber auch dazu geführt, dass die Partei sich sehr auf die Begleitung des Regierungshandelns konzentriert und zu wenige Themen und Visionen über den Alltag hinaus entwickelt hat.“ Das sei bis zu einem gewissen Grad verständlich, immerhin habe es eine handfeste Gelegenheit zum Mitgestalten gegeben. „Aber wir haben es damit vielleicht ein bisschen übertrieben“ Sie hat vor allem Überlegungen vermisst, mit denen man aneckt. Eine von den Grünen proklamierte Kernkompetenz. „Wenn man was ändern will, dann stößt man auf Widerstand. Und das können wir doch eigentlich gut, wir müssen uns nur darauf wieder stärker besinnen“, sagt Kura nun. Auch die Debattenkultur innerhalb der Partei und nach außen will sie ändern. Denn die sei ihrer Meinung nach zuletzt viel zu weich geworden. „Wir haben strittige Fragen zwar angesprochen, aber uns trotzdem häufiger mit dem Minimalkonsens zufriedengegeben.“ Das gelte auch für die rot-grüne Regierungszeit. „In rot-grünen Beschlüssen wurde zu selten klar, was die Forderungen der Grünen eigentlich gewesen sind. Hier hätten wir deutlicher machen müssen, mit welcher Haltung wir Grünen in die Debatte hineingegangen sind, und warum wir an welchen Stellen Kompromisse gemacht haben – zum Beispiel in der Bildungspolitik.“

Kura glaubt, dass sich durch eine offenere Debatte auch das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen lässt. „Die Bürger sind nicht dumm, sie wollen klare Ansagen und keine weichgespülten Floskeln hören.“ Um das zu erreichen, will sie die „Town Hall Meetings“ aus der Wahlkampfzeit zur festen Institution machen. Dabei hält ein grünes, idealerweise prominentes Parteimitglied einen kurzen Impulsvortrag, anschließend sind die Besucher zur Diskussion aufgefordert. „Wir haben dabei im vergangenen Jahr die Erfahrung gemacht, dass das nicht nur Grünen-Mitglieder anzieht, sondern auch von vielen Bürgern als niedrigschwelliges Angebot wahrgenommen wird, um mit uns Politikern ins Gespräch zu kommen.“