Der Landtag hat am Donnerstag in einer würdevollen Gedenkveranstaltung an die deutschen November-Pogrome gegen Juden vor 85 Jahren gedacht. Landtagspräsidentin Hanna Naber sagte, dass dieser Jahrestag ganz besonders bedrückend sei – denn gerade mal vor einem Monat hätten viele Menschen in Israel den brutalen Terrorangriff der Hamas mit mindestens 1500 Toten erleben müssen. Seither lebten viele Juden auch in Deutschland in Furcht.

Die Hauptrede hielt in diesem Jahr der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden, Michael Fürst. In einer sehr persönlichen, sehr deutlichen und eindringlichen Ansprache beschrieb er seine aktuelle Situation und schilderte, wie sich seine Einschätzung verändert habe.

Michael Fürst im Landtag. | Foto: Screenshot/PlenarTV

Fürst betonte, er habe jahrelang die Position derer nicht ernst genommen, die meinten, in Deutschland in Angst leben zu müssen. Heute jedoch sei die Lage anders, den Einbau von Sicherheitsglas in jüdischen Einrichtungen finde er heute beruhigend. Früher habe er so etwas nicht für notwendig erachtet. Der Hamas-Angriff auf Israel habe hierzulande viele jahrelang verdrängte Probleme aufgedeckt. Dazu gehöre zum einen die wachsende Distanz zwischen vielen Bürgern und den politischen Entscheidungsträgern. „Sie müssen wieder mehr mit den Leuten reden“, sagte Fürst.

„Es wäre gut, wenn man etwas tun muss, um Deutscher werden zu können. Es darf nicht so bleiben, einfach herzukommen und so weiterzumachen wie bisher. Das reicht nicht.“

Michael Fürst

Das nächste Problem sei die Tatsache, dass in Deutschland Gruppen durch die Straßen ziehen, einen islamischen Kalifat fordern und antisemitische Parolen verbreiten. „Das dürfen Sie so nicht hinnehmen, dagegen müssen Sie etwas tun.“ Fürst erwähnte einen in der Schweiz lebenden Verwandten, der die dortige Staatsbürgerschaft erwerben wolle. „Der muss dafür arbeiten und büffelt am Wochenende, um die Prüfung zu bestehen“, erklärte der Landesverbandsvorsitzende und meinte: „Es wäre gut, wenn man etwas tun muss, um Deutscher werden zu können. Es darf nicht so bleiben, einfach herzukommen und so weiterzumachen wie bisher. Das reicht nicht.“

Daraufhin ertönte Applaus von CDU, AfD und der überwiegenden Mehrheit der SPD-Fraktion, während die Grünen still blieben. Fürst sagte, die Aufgabe der Politiker müsse es auch sein, vor einem Generalverdacht gegen einzelne Gruppen zu warnen: Nicht jeder Palästinenser sei ein „Terrorist“, wie oft behauptet werde, nicht jeder Muslim ein „schlechter Mensch“.

Eindringlich appellierte Fürst an die Verantwortlichen in Niedersachsen und Deutschland, mit der Unterstützung für Israel nicht nachzulassen. Er höre oft „es reicht ja jetzt“, verbunden mit dem Hinweis auf tote Kinder im Gaza-Streifen. „Es reicht leider nicht“, sagte Fürst – denn die Hamas habe jüngst noch einmal ihr Ziel der Vernichtung von Israel unterstrichen. Israel müsse nun die Palästinenser von der Hamas befreien. „Das geht leider nur mit dem Tod vieler Menschen, auch von Israelis. Aber Israel hat Bescheid gesagt und gewarnt: Geht vom Norden in den Süden des Gaza-Streifens.“

Meinungsverschiedenheiten im Landtag

Die CDU-Fraktion hatte für die Beratungen nach der Gedenkstunde einen Antrag eingereicht, der eine deutliche Distanz vom Antisemitismus vorsieht. In einem Ergänzungsantrag verständigten sich daraufhin SPD, CDU und Grüne auf eine gemeinsame Fassung. Christian Calderone (CDU) kritisierte, dass die deutsche Öffentlichkeit angesichts des Hamas-Terrors „zaghaft am Straßenrand steht“. Es fehlten symbolische Solidaritätsakte – ein Kniefall des Bundespräsidenten vor einer Synagoge, eine Streikaktion der Gewerkschaften, das Läuten von Kirchenglocken, Sitzblockaden oder Mahnwachen vor jüdischen Einrichtungen.

Wenn jüdische Veranstaltungen wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden, bleibe die Öffentlichkeit sprachlos – und das liege an einer prägenden linken Haltung in Kirchen, Kultur, Medien, Gewerkschaften, Bildung und NGOs. Nur schwache Reaktionen höre man, wenn Organisationen wie Ditib den radikalen Islamismus unterstützten. Die Öffentlichkeit müsse aufwachen und beispielsweise das Staatsbürgerschaftsrecht verschärfen anstatt es zu lockern. Sonst könne im November 2023 gelingen, was die Nazis im November 1938 begonnen hatten – „das jüdische Leben aus Deutschland zu vertreiben“.



Christoph Bratmann (SPD) lehnte Calderones historischen Vergleich ab, meinte aber: „Kann man gefahrlos jüdische Einrichtungen besuchen? Das kann man nicht mehr klar mit ,ja‘ beantworten.“ Es gebe auch „falsch verstandenes Multi-Kulti“ und unangebrachte Toleranz auf der linken Seite des Antisemitismus. Aber ebenso sei eine Ursache für die Verhärtung, dass im konservativen politischen Spektrum lange die Tatsache geleugnet worden sei, dass der Islam zu Deutschland gehört.

Detlev Schulz-Hendel (Grüne) betonte, man müsse entschieden „gegen jede Form des Antisemitismus vorgehen“ und jede israelfeindliche Demonstration müsse unterbunden werden. Die Verschärfung des Aufenthaltsrechts indes sei keine Lösung. Thorsten Moriße (AfD) meinte, der Antisemitismus sei nur die Folge der falschen Einwanderungspolitik der anderen Parteien. Zum Abschluss der Debatte erklärte Innenministerin Daniela Behrens (SPD): „Wir werden ausschließen, dass Vereine oder Verbände, die antisemitische Ansichten vertreten, derzeit oder künftig Landesmittel erhalten.“