Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wird am Wochenende auch formell zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 9. Oktober gewählt. Im Interview mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick spricht er über Koalitionsperspektiven, das Problem der Inflation, die Energiewende und die staatlichen Investitionen. 

Die Rundblick-Redaktion trifft Ministerpräsident Stephan Weil (Mitte) zum Interview im Landtag. | Fotos: Lada

Rundblick: Herr Ministerpräsident, Sie haben Rot-Grün als Ihr bevorzugtes Bündnis für die Zeit nach der nächsten Landtagswahl bezeichnet. Sehen Sie sich nach den jüngsten Wahlen und den programmatischen Positionen der Parteien in diesem Kurs bestätigt?

Weil: Zunächst mal habe ich keinen Grund, mich über die Kooperation mit der CDU zu beklagen. In den vergangenen viereinhalb Jahren haben wir gut zusammengearbeitet, vor allem in der schwierigen Zeit der Pandemie. Doch je länger die Legislaturperiode dauert, desto deutlicher werden auch die grundlegenden Unterschiede – insbesondere im Hinblick auf das Investitionsverhalten des Staates. Deshalb ist es für mich folgerichtig, dass wir Rot-Grün ansteuern. In der vorigen Legislaturperiode hatten wir schon gemeinsame Erfahrungen gesammelt, und das war auch nicht immer nur ein Honigschlecken. SPD und Grüne sind zwei selbstbewusste Partner, aber sie verfolgen eine stärker nach vorn gerichtete Politik. Wir wollen das Tempo der Transformation erhöhen in der Energiepolitik, der Industrie und in der Landwirtschaft.

Rundblick: In der Debatte um das LNG-Terminal lautet gerade der Vorwurf von SPD und CDU an die niedersächsischen Grünen, dass sie die notwendige Investition bremsen wollen…

Weil: Wenn Politiker in Ämter gelangen, stellen sie sich meistens sehr schnell den Zwängen, die dann bestehen. Robert Habeck ist derzeit dafür das beste Beispiel. Wer die Klimawende ernsthaft will, wird auch Kompromisse eingehen müssen. 

Rundblick: Würden Sie auch ein rot-grünes Bündnis ansteuern, sofern dies eine Mehrheit im Landtag hätte, wenn die SPD am Wahlabend hinter der CDU liegen sollte?

Weil: Auch da kann ich auf Erfahrungen verweisen, 2013 war es ja so. Aber wir arbeiten sehr hart daran, dass die SPD stärkste Partei bleiben wird.

Rundblick: Welche Rolle wird der Ukraine-Krieg im Wahlkampf spielen?

Weil: Das dürfte eher mittelbar der Fall sein. Die Teuerungswelle ist für viele Menschen ein sehr großes Problem. Wenn das Ölembargo kommt, dürfte es noch einen weiteren Schub bei den Energiepreisen geben. Die Landesregierung hat keinen direkten Einfluss auf die Preisgestaltung. Aber Bund und Länder müssen gemeinsam nachdenken, wie die soziale Schieflage vermieden werden kann. Auch Rentnerinnen und Rentner mit kleinen Einkommen sind von der Kostensteigerung im Energiebereich stark betroffen, hier gibt es bisher nicht die nötige Entlastung. Direkte Zuschüsse erscheinen mir gerade für diese Gruppe sinnvoll und nötig. 

Rundblick: Bernd Althusmann von der CDU hat angeregt, über die Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel nachzudenken…

Weil: Würde die Mehrwertsteuer in großen Bereichen massiv abgesenkt, wären riesige Löcher in den Haushalten die Folge, das ist nicht vertretbar. Eher könnte man die Stromsteuer in den Blick nehmen, der Staat darf an der Erhöhung der Energiepreise nicht mitverdienen.

Rundblick: Wie sieht es mit dem Industrie-Strompreis aus? Viele Firmen klagen, sie könnten sich die Umstellung auf Erneuerbare Energien nicht leisten…

Weil: Der Staat kann den Strompreis nicht bestimmen, aber dafür sorgen, dass er im Rahmen bliebt. Viele Betriebe sind bereit, auf kohlendioxidfreie Energieformen umzusteigen. Aber weil die Verteilnetze oft nicht in der Nähe verlaufen und die Firmen den Abzweig aus eigener Tasche zahlen müssen, wird das Vorhaben für sie oft unerschwinglich. Ein anderes Problem ist, dass der Strompreis in Flächenländern mit dünner Besiedelung und langen Strecken besonders hoch liegt. An der Beseitigung dieser Probleme muss der Bund arbeiten, darauf werden wir dringen. 

Rundblick: Zu einer wirtschaftspolitischen Ankündigung von Ihnen zählt auch die Investitionsoffensive. Ist es sinnvoll, dass der Staat in Zeiten hoher Inflation noch mit weiterer Nachfragetätigkeit auftritt und damit die Lage noch verschärfen könnte?

Weil: Ich erwarte zunächst nicht, dass die Inflation in der aktuellen Dynamik auf Dauer weiter geht. Im Übrigen kann die Lösung nicht darin bestehen, den Investitionsbedarf unerledigt zu lassen. Als Oberbürgermeister habe ich die Erfahrung gemacht, dass Aufwand wesentlich ansteigt, wenn man beispielsweise bei einer Schule Sanierungsmaßnahmen um Jahre hinauszögert. Das ist es, was wir jetzt schon erleben und stoppen müssen. 

Rundblick: Sie bereiten jetzt Ihre Wahlkampfstrategie vor. Was sind die wesentlichen Elemente?

Weil: Unser Slogan lautet: „Das Land in guten Händen.“ Nach meiner Einschätzung ist es wahlentscheidend, ob die Menschen den handelnden Akteuren vertrauen. Aktuell ballen sich die Herausforderungen: Die Pandemie ist noch nicht vorüber, der Ukraine-Krieg bedrückt uns, steigende Energiepreise, Lieferengpässe und Inflation belasten die Bürger, der Klimaschutz erfordert alle Anstrengungen und die Digitalisierung sorgt für grundlegende Veränderungen. Die Menschen sind verunsichert, und bei den Wahlen im Oktober geht es darum, wem sie am meisten vertrauen.

Rundblick: Wer steht bei der SPD für die Digitalisierung?

Weil: Das wird jemand aus der jüngeren Generation sein, lassen Sie sich überraschen. 

Rundblick: Wer sind denn die wichtigsten Personen in Ihrem Team und wofür stehen sie?

Weil: Olaf Lies kann ich nennen, er ist einer der führenden deutschen Energiepolitiker. Boris Pistorius ist ein exzellenter, bundesweit geachteter Innenminister. Daniela Behrens hat sich in kürzester Zeit mit der Pandemiebekämpfung sehr viel Ansehen erworben. Grant Hendrik Tonne hat seine Aufgabe sehr gut gelöst, jedes Kind kennt ihn. Und Birgit Honé, die nicht immer Schlagzeilen macht, hat sich verdientermaßen eine beachtliche Fankurve erarbeitet, vor allem im ländlichen Raum.

Rundblick: Herr Tonne ist auch mit einer dramatisch schlechten Unterrichtsversorgung konfrontiert…

Weil: Tatsache ist auch: Wir haben netto über 4000 zusätzliche Lehrkräfte eingestellt – und die Lehrer-Schüler-Relation ist im Bundesvergleich eine der besten in Deutschland. Gleichzeitig sind Probleme vor allem bei den Haupt- und Realschulen unübersehbar, und das liegt auch daran, dass viele Lehrkräfte jetzt Familienzeit in Anspruch genommen haben. Das ist als Reflex auf die Pandemie nur zu verständlich. Probleme haben wir vor allem in Grenzregionen zu Nachbarländern, die schon A13 bezahlen. In Niedersachsen ist das noch anders und das müssen wir ändern. Grant Hendrik Tonne hätte es gern schon früher getan, aber aus Sicht des Finanzministeriums hat die Landeskasse das bislang nicht hergegeben.

Rundblick: A13 nur für Berufseinsteiger oder für alle? In Stufen oder in einem Schritt – und ab wann?

Weil: A13 nur für Berufsanfänger vorzusehen, wäre aus meiner Sicht nicht vorstellbar, wir wollen kein Zweiklassensystem. Alles andere wird Koalitionsverhandlungen vorbehalten sein, im Lichte der dann aktuellen Finanzlage. Möglich wäre das in einem Nachtragsetat für 2023 oder im Etat 2024.

Rundblick: Was passiert mit den Landesbeteiligungen, VW und Salzgitter AG?

Weil: Bei Volkswagen gehe ich von steigenden Gewinnen aus – und wenn die HannBG bald dazu wieder in der Lage sein wird, könnte sie den Anteil für die VW-Stiftung direkt auszahlen und er müsste nicht mehr notwendigerweise aus dem Landeshaushalt zu tragen sein. Das wäre eine Entlastung in Höhe von etwa 150 Millionen Euro. Was Salzgitter-Stahl angeht, gehe ich auch von einer positiven Entwicklung aus. Andererseits bestehen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz gewaltige Herausforderungen. EU und Bund müssen ihre finanzielle Verantwortung für klimafreundliche Stahlproduktion erkennen. Die Landesbeteiligung ist hier ein stabiler Anker, aber bei der Förderung kommt es auf die EU und den Bund an.

Rundblick: Wenn Sie im Oktober einen Wahlsieg erringen sollten und Ministerpräsident bleiben, sind Sie kommendes Frühjahr zehn Jahre im Amt. Werden Sie dann als Regierungschef die ganze Wahlperiode über im Amt bleiben – und auch SPD-Landesvorsitzender bleiben?

Weil: Ich stünde dann sehr gerne für die gesamte Wahlperiode zur Verfügung unter dem Vorbehalt, dass der liebe Gott mich machen lässt. Danach ist dann aber Feierabend. Was den SPD-Landesvorsitz angeht: So weit habe ich noch gar nicht gedacht. Lassen Sie uns doch erst einmal die Wahl gewinnen.