Am 24. Februar griff Russlands Herrscher Wladimir Putin gegen jede Vernunft und gegen jedes rationale Kalkül die Ukraine an. All die diplomatischen Bemühungen, die in den Tagen zuvor besonders intensiv und rege gewesen sein mussten, stellten sich als erfolglos heraus. Wie stark hat dieses Ereignis die deutsche Gesellschaft erschüttert? Haben wir Lehren daraus gezogen – und, wenn ja, waren es die richtigen Lehren? Wie gut finden wir uns damit ab, dass der Traum von der friedfertigen, nach Vernunft und Toleranz geordneten Welt nun endgültig ausgeträumt ist? Die Rundblick-Redaktion beleuchtet in persönlichen, einordnenden Beiträgen einige Teilprobleme, die sich aus Putins mörderischem Völkerrechtsbruch ergeben. Hier geht’s zum Dossier.

Ein Jahr tobt der Krieg in der Ukraine: Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter schreibt über die Auswirkungen auf die Landwirtschaft. I Foto: Scheffen, Canva

Es war nicht die erste Sache, an die man dachte, als am Morgen des 24. Februar 2022 die Nachrichten vom Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine verbreitet wurden. Aber rasch wurde das Ausmaß der negativen Auswirkungen des Krieges auf die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit deutlich. Die Kenner der globalen Zusammenhänge erläuterten in den Tagen nach Kriegsbeginn, warum die Ukraine, aber auch Russland als „Kornkammern der Welt“ bezeichnet werden. In den Monaten danach konnte die Welt erleben, wie der Krieg und die daraus folgenden Sanktionen die agrarökonomischen Ströme global durcheinanderwirbelten. Erst kürzlich haben die Unternehmensberater von „Ernst and Young“ (EY) gemeinsam mit den Agrarwissenschaftlern der Georg-August-Universität Göttingen die Auswirkungen der russischen Invasion noch einmal detailliert aufgearbeitet. Stephan von Cramon-Taubadel und Silke Hütte vom „Department für Agrarökonomie und rurale Entwicklung“ an der Universität Göttingen haben in ihrem Gastbeitrag für den Agribusiness-Bericht von EY dargestellt, dass das vergangene Jahr sowohl für Russland als auch für die Ukraine Rekordernten hätte bringen können. Doch nur Russland profitiert, die Ukraine musste mit Einbußen leben, weil Felder abgebrannt oder vermint und Lieferketten gestört wurden oder Saatgut nicht geliefert werden konnte. Und auch der Export wurde durch die Blockade der Seehäfen eingeschränkt. Die Leidtragenden des „Getreidestaus“, der die Ausfuhren um mindestens 35 Millionen Tonnen gemindert haben soll, waren dann vor allem Staaten des globalen Südens.

Krieg in der Ukraine verändert die Diskursmacht

Gestörte Lieferketten, Düngemittelknappheit, steigende Energiekosten – Hungersnöte? Dominierte in den vergangenen Jahren noch der Klimawandel mit seinen Ursachen und Folgen die Landwirtschaftspolitik, war es in Folge des russischen Krieges nun die Diskussion über die Sicherheit der Welternährung. Mit etwas Abstand wird nun deutlich, wie sich durch den Krieg die Diskursmacht in den Umwelt- und Agrardebatten zumindest zeitweise verschoben hatte. Die Ernährungssicherheit wurde gegen den Umweltschutz in Stellung gebracht. Am anschaulichsten zeigte sich dies im vergangenen Jahr bei der Diskussion über die von der EU-Kommission vorgegebenen Flächenstilllegungen in der Landwirtschaft. Ab 2023 sollten die Landwirte vier Prozent ihrer Böden nicht bewirtschaften. Im März 2022 kam es deshalb zu Protesten. Die Bauern rechneten vor, dass perspektivisch „4,22 Millionen Hektar oder 6 Millionen Fußballfelder“ fruchtbare Böden innerhalb der EU wegfielen. Angesichts der angespannten Versorgungslage in Folge des Krieges sollte die EU diese Regelungen überdenken – was sie dann auch tat.



Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung während der „Internationalen Grünen Woche“ sagte Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) kürzlich mit Blick auf diese Debatte, der „anderen Seite“ sei es hier gelungen, die Gunst der Stunde zu nutzen, um mit Verweis auf die Kriegsfolgen eine ohnehin nicht gewollte Umweltschutzauflage auszusetzen. Auf derselben Veranstaltung wiederholten Grünen-Politiker und Umweltschützer mehrfach sinngemäß den Vorwurf, die EU ernähre überhaupt nicht die Welt, und dies zu behaupten, sei nur ein Vorwand, um den „Green Deal“ abzuwenden. Martin Häusling aus der Grünen-Fraktion im EU-Parlament sprach vom „Kampf um die Umweltauflagen“ und Lena Bassermann, Programmleiterin Landwirtschaft beim Think Tank for Sustainability TMG, erklärte, dass ein Großteil der Agrar-Exporte von EU-Ländern ohnehin innerhalb der EU verblieben und die übrigen Exporte eher nicht in jene Länder gingen, wo besonders großer Hunger herrscht.

„Wir müssen Wege finden, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, die gleichzeitig auch klima- und umweltfreundlich sind.“

Wurde der Krieg also von der Agrarlobby instrumentalisiert? Cramon-Taubadel und Hütte wollen in ihrem Bericht diesen Gegensatz von Ernährungssicherheit und Umweltschutz allerdings nicht gelten lassen. Die beiden Forscher kommen zunächst zu dem Ergebnis, dass die Ernährungssicherheit in einkommensstarken Ländern wie Deutschland nicht bedroht werde. Anders sehe das aber in den ärmeren Ländern aus. Sie schlussfolgern: „Vor dem Hintergrund der Klimakrise sind daher Bemühungen, gemeinsam landwirtschaftliche Produktivität und deren Nachhaltigkeit zu steigern, von entscheidender Bedeutung. Wir müssen Wege finden, mehr Nahrungsmittel zu produzieren, die gleichzeitig auch klima- und umweltfreundlich sind.“ Selbst wenn die Staaten der EU nicht die Welt ernähren, können sie doch eine Menge zur Welternährung beitragen. Kurzfristig auf Umweltauflage zugunsten der Nahrungsmittelproduktion verzichtet zu haben, mag in einer brenzlichen Lage für Entspannung gesorgt haben. Mittelfristig dürften die EU-Staaten der Welternährung aber mehr dienen, indem sie den Klimawandel weiter aktiv bekämpfen und auch den Staaten des globalen Südens dabei helfen, klimaangepasst vor Ort Landwirtschaft zu betreiben.