Die großen Schauplätze der Reformation waren außerhalb Niedersachsens, auch wenn heute die Evangelische Kirche in Deutschland in Hannover ihren Sitz hat. Luther kam im anhaltinischen Eisleben zur Welt. Die meisten großen Komponisten und Denker sind nicht in Niedersachsen geboren oder haben nicht hier gewirkt (mit Ausnahme von Georg Friedrich Händel). Könige gab es zwar, die aus Hannover kamen, aber einen Glanz wie Ludwig II. in Bayern oder August der Starke in Sachsen strahlten sie nicht aus – obwohl sie doch sogar in England gefragt waren. Adenauer, der erste Kanzler, war Rheinländer, Heuss, der erste Bundespräsident, ein Baden-Württemberger. Und Bismarck kam im heutigen Sachsen-Anhalt zur Welt. Was also liegt näher, als einen der wenigen ganz Großen von hier, der einen runden Jahrestag hat, gebührend zu feiern?

Gottfried Wilhelm Leibniz lebte schon im 17. Jahrhundert in der "besten aller möglichen Welten"

Gottfried Wilhelm Leibniz lebte schon im 17. Jahrhundert in der „besten aller möglichen Welten“

Der Todestag von Gottfried Wilhelm Leibniz, dem Universalgelehrten, jährt sich am kommenden Montag zum 300. Mal. Er starb mit 70 Jahren in Hannover, wo er zuvor 40 Jahre lang gewirkt hatte, und wurde in der Neustädter Hofkirche beerdigt. Geboren wurde Leibniz in Leipzig (der heutigen Partnerstadt von Hannover), aber seit 1676 wirkte er in der heutigen niedersächsischen Landeshauptstadt – die längste Zeit seines Lebens. Es ist deshalb nur gerecht, wenn dieser große Denker heute wie „einer von uns“ verehrt wird. So viele große Niedersachsen, die sogar international bekannt sind, gibt es ja nicht. Die Einsicht, dass man sich mit ihm schmücken kann, ist inzwischen auch unumstritten, auch wenn das lange gedauert hat. Erst seit zehn Jahren heißt die Universität Hannover Leibniz-Universität, erst vor elf Jahren ist die Landesbibliothek, in deren Vorläufer einst Leibniz selbst arbeitete, in „Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek“ umbenannt worden. Mit der Pflege dieser Titel wächst die Erwartung, dass sich mehr Leute auch für das interessieren, was der Gelehrte einst erarbeitet und bewegt hat. Das gilt umso mehr, als im öffentlichen Bewusstsein lange Zeit der Bahlsen-Keks Marke Leibniz die gängigste Assoziation mit seinem Namen war – und zwar schon seit 1891. Man sagt, Leibniz sei auf der Suche nach einer haltbaren Verpflegung für Soldaten auf den Zwieback gestoßen, auch eine Form von Keks.

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Leibniz steht abseits davon für viele Grundprinzipien, die heute wieder gefragt sind. Zum Beispiel für die Vielfalt der Wissenschaften. Er war Mathematiker, schuf Rechenmaschinen und ebnete damit den Weg zur heutigen Digitalisierung. Als Naturwissenschaftler tüftelte er an Systemen, wie das Wasser aus den Bergwerken im Harz abgeleitet werden kann. Er bemühte sich um die Überwindung der Kirchenspaltung, arbeitete an einer Universalsprache und war vor allem auch ein Philosoph. Die Welt sei „die beste aller möglichen“, sagte er – und damit ausgedrückt war der dauerhafte Wunsch, die Welt besser machen zu wollen. Im Gedankenaustausch mit Isaac Newton ging es um die Frage, wie Raum und Zeit beschaffen sind. Newton ging von einem statischen, dreidimensionalen Raum aus, Leibniz hingegen meinte, der Raum sei immer abhängig vom Betrachter, also relativ. Raum und Materie stünden in Beziehung zueinander. Damit beschritt Leibniz früh einen Weg, der zwei Jahrhunderte später von Albert Einstein fortgesetzt wurde. Auch als ein früher Vertreter der Aufklärung wird der Gelehrte beschrieben: Leibniz lebte vor, wie man sich der allumfassenden Wissenschaft und Forschung verschreiben konnte – und wie wichtig das für den Fortschritt der Gesellschaft sein konnte, sowie auch für die geistige Reife und Unabhängigkeit des Menschen. Ein Zitat von ihm lautet: „Unser letzter Zweck ist die Glückseligkeit, aber das einzige geeignete Mittel für diesen Zweck ist die Tugend und Geistesbildung.“

Einer wie Leibniz kann Vorbild sein: Man kann sich der Kraft seines Geistes bedienen, um großes zu erreichen, die Wissenschaft kann inspirieren und zu immer neuen Gedanken ermuntern. Leibniz sagte einmal: „Wenn ich morgens aufwache, habe ich so viele Ideen im Kopf, das der Tag nicht ausreicht, um sie niederzuschreiben.“ Er war ungeheuer produktiv, und er war nie beschränkt auf nur ein Fachgebiet. Sich in einer wissenschaftlichen Disziplin zu verschanzen und zum Fachidioten zu werden, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er war immer so neugierig auf die Welt, dass er seine Gedanken schweifen ließ. Vielleicht war das auch der Grund, warum er stets als tolerant und weltoffen galt.

Es gibt natürlich in Niedersachsen auch noch mehr Namen, die einer eingehenden Würdigung bedürfen – Denker, Philosophen und Wissenschaftler mit Weltruf, auch wenn nicht mit der ganz großen Bedeutung von Leibniz. Viele von ihnen sind in Niedersachsen geboren. Die Philosophen Hannah Arendt, Karl Jaspers und Niklas Luhmann sind zu nennen, der Mediziner Robert Koch, der Dichter Wilhelm Busch und noch ein anderer Mathematiker, Carl-Friedrich Gauß.  (kw)