Vor drei Wochen war Niedersachsens Europaministerin Birgit Honé (SPD) mit einer kleinen Delegation in London. Sie fuhr erwartungsvoll dort hin und kehrte ernüchtert zurück. Gestern nun, 20 Tage später, haben enge Mitarbeiter von Honé im Landtagsausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten über den anstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU berichtet – und auch über die Erfahrungen der Reise der Ministerin.

Der Ausblick schien nun noch etwas düsterer als vor drei Wochen. Olaf Reichert, Sprecher von Honé, zitierte einen Gesprächspartner während der Reise, den Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in London. Er habe von Befürchtungen gesprochen, dass sich Nordirland von Großbritannien lossagen und der Republik Irland anschließen könne – da das womöglich am Ende der einzige Weg sein könne, den Wiederaufbau einer Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden. Die Sorge ist groß, dass mit einer solchen Grenze, die eine logische Konsequenz zwischen einem EU-Mitglied Irland und einem Nicht-EU-Mitglied Nordirland wäre, der alte irische Bürgerkrieg wieder aufflammen könnte. Andere Befürchtungen richten sich auf ein neues Aufkeimen der schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen.


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Im Europaausschuss wird die Sorge geteilt. Der SPD-Abgeordnete Christos Pantazis sagte: „Die EU überlebt den Brexit, da bin ich mir sicher. Aber ob auch Großbritannien ihn überstehen wird, da habe ich schon meine Zweifel.“ Sein Bruder, sagt der SPD-Politiker, arbeite als Wissenschaftler in London. An vielen Instituten sei schon jetzt feststellbar, dass ausländische Einrichtungen versuchten, die Professoren und Dozenten aus Großbritannien wegzulocken mit guten Angeboten. Es drohe damit bei den Briten nicht nur ein Fachkräftemangel, den es sowieso schon gebe, sondern noch ein Wegzug der wissenschaftlichen Intelligenz. Gepaart werde dieser Trend mit einer Fremdenfeindlichkeit, die immer stärker spürbar sei und sich jetzt beispielsweise gegen polnische Gastarbeiter im Pflegebereich richte.

Der CDU-Abgeordnete Stephan Siemer meinte, er sei öfter in Großbritannien und erlebe dort „einen Stimmungswandel“ – sehr zum Nachteil der Völkerverständigung. Dragos Pancescu (Grüne) hofft angesichts der Anspannungen auf einen Hilfsfonds in Deutschland, mit dem notleidenden Branchen geholfen werden kann. Der Sprecher Honés, der bei der Reise dabei war, schildert seine Eindrücke so: „Viele in Großbritannien sind gar nicht beunruhigt, wenn sie sehenden Auges in wirtschaftliche Schwierigkeiten gleiten. Sie meinen, das sei eben der Preis für eine Entscheidung, den man akzeptieren müsse.“ Manche würde gar von einer „britischen Spielermentalität“ reden, sagt Reichert. Einige Gesprächspartner hätten die Gefahr einer Aufspaltung des Zweiparteiensystems im Vereinigten Königreich gesehen: Die gemäßigten, pro-europäischen Kräfte von Labour und Torys könnten sich abspalten und zusammenschließen, übrig blieben dann harte Nationalisten rechts außen und harte Marxisten links außen.

Sollte es zum harten Brexit kommen, dann wird es auf absehbare Zeit zu erheblichen Problemen für unsere Fischer kommen. Wir müssen uns dann warm anziehen.

Ein besonderes Problem dürfte die deutsche Fischwirtschaft bekommen. Bisher können deutsche Fischer auch in britischen Gewässern unterwegs sein, das regeln die EU-Verträge. Sollte es Ende dieses Monats zu einem „harten“ Brexit kommen (also einem Austritt ohne zweijährige Übergangsphase, wie ausgehandelt wurde), dann könnten die Briten erklären, dass in dem Gebiet 200 Meilen vor ihrer Küste nur noch britische Fischer aktiv werden dürfen. Folglich würden sich die deutschen, holländischen, französischen und anderen europäischen Fischer auf den Gebieten außerhalb der britischen Zone tummeln. Dort droht dann eine Überfischung.

Bisher regelt ein Abkommen mit Norwegen, dass EU-Fischer Seelachs und Hering auch in den dortigen Gewässern fangen dürfen – zum Ausgleich dürfen die Norweger in den EU-Zonen aktiv sein, vornehmlich in den britischen. Sollten die Briten das verweigern, würden die EU-Rechte in Norwegen verloren gehen. Der CDU-Politiker Siemer sagte im Ausschuss: „Sollte es zum harten Brexit kommen, dann wird es auf absehbare Zeit zu erheblichen Problemen für unsere Fischer kommen. Wir müssen uns dann warm anziehen.“