„Ich warne davor, mit dem Industriestandort Roulette zu spielen“, sagt Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall. In der Industrie greift seinen Worten zufolge immer mehr das Gefühl einer Ohnmacht gegenüber der Politik um sich. Das führt in der Verbandsumfrage unter 900 Mitgliedsunternehmen zu katastrophalen Werten für die politischen Spitzenkräfte in Deutschland. 92 Prozent der befragten Unternehmen beklagen das Risiko einer „politischen Führungsschwäche“. Damit liegt der Unmut über die Politik noch vor dem Risiko weiterer Handelskonflikte (75 Prozent) oder dem Brexit (71 Prozent).

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„Das Land fällt von einem Erregungszustand in den anderen, ohne das die politische Führung sich dazu erkennbar äußert und Position bezieht“, kritisierte Schmidt am Freitag in Hannover. Als Beispiele nannte er den politischen Umgang mit der Autoindustrie sowie die Sicherheit der Energieversorgung. „Es gibt ein erschreckendes Maß an politischer Führungslosigkeit. Wir verfügen nicht über eine kraftvolle Bundesregierung. Das Ergebnis ist eine um sich greifende Verunsicherung in Wirtschaft und Gesellschaft.“

„Image des Standorts Deutschlands hat gelitten“

Die „Diesel-Hysterie“ ist Schmidt zufolge inzwischen in der Realwirtschaft angekommen. „Wir registrieren 40 Prozent Absatzeinbrüche in den betroffenen Zulieferer-Betrieben, Kurzarbeit und Stellenabbau.“ Es gebe eine extreme Verunsicherung der stark mittelständisch geprägten Zuliefererindustrie im Hinblick auf die  Fortexistenz bisheriger Geschäftsmodelle. Der Verbands-Hauptgeschäftsführer warnte davor, E-Autos politisch ohne die Akzeptanz der Verbraucher in den Markt zu drücken. „Wenn die produzierten E-Fahrzeuge vom Markt nicht angenommen werden, wird auf Halde produziert, und die Autos können dann nur noch mit enormen Preisnachlässen in den Markt gepumpt werden.“ Das sei auch eine große Gefahr für die niedersächsische Autoindustrie. Schmidt sprach von einem „Ritt auf der Rasierklinge“.

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Frust gibt es bei den Unternehmern auch über die Energiepolitik. Der Ausstiegsbeschluss bei der Kohle werde von vielen hinsichtlich der Ernsthaftigkeit sowie Realisierbarkeit hinterfragt. Dabei gehe es um nicht weniger als die Sicherheit der Energieversorgung der größten Volkswirtschaft Europas. Die Entwicklung habe auch dazu geführt, dass es in großen internationalen Unternehmen eine zunehmende Skepsis gegenüber dem Standort Deutschland gebe. „Das Image des Standorts hat arg gelitten.“

Weniger Neu-Einstellungen, weniger Investitionen

Gleichzeitig gerät der Industriemotor in Niedersachsen ins Stottern. „Wir erwarten 2019 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stagnation. Weiteres Wachstum erscheint uns ausgeschlossen“, prognostiziert Schmidt. Bedeutende Teile der Industrie seien von der Überhol- auf die Kriechspur gewechselt. Aus der Umfrage gehe hervor, dass sich die konjunkturellen Perspektiven in den vergangenen drei Monaten markant verschlechtert hätten. Inzwischen erwarten 43 Prozent der befragten Unternehmen, dass die Zahl der Auftragseingänge zurückgeht. Vor wenigen Monaten waren es noch 30 Prozent.

„Wir verfügen nicht über eine kraftvolle Bundesregierung. Das Ergebnis ist eine um sich greifende Verunsicherung in Wirtschaft und Gesellschaft“, sagte Volker Schmidt (rechts) – Foto: MB.

Das wirkt sich auch die Job-Entwicklung aus. Im November gingen noch 20 Prozent davon aus, dass Stellen abgebaut werden müssen, jetzt sind es 26 Prozent. Die Stimmung wirkt sich auch negativ auf Investitionen aus. Schmidt erklärte, dass immer seltener neue Anlagen und Maschinen angeschafft würden. Das Geld fließe stattdessen in Ersatz oder Erweiterung bestehender Anlagen, im schlechtesten Fall wird überhaupt nicht mehr investiert. „Die Bereitschaft, eigene Produktionskapazitäten zu erweitern, ist regelrecht eingebrochen. So etwas haben wir in den vergangenen zehn Jahren nicht gemessen“, so Schmidt. Er wertete das als besonders schlechtes Zeichen, weil Erweiterungen ein „Wechsel auf die Zukunft“ seien. „Wer nicht erweitert, der hat kein Vertrauen mehr in wachsende Märkte.“

Es fehlt am digitalen Know-How

Trotz des leichten Pessimismus bei der Entwicklung der Mitarbeiterzahlen wird die Industrie gleichzeitig immer noch durch den grassierenden Fachkräftemangel ausgebremst. Ein Viertel der kleineren und mittleren Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie beklagt Produktionsengpässe aufgrund fehlender Fachkräfte. Es bleibe ein bedeutendes und zentrales Problem, heißt es bei Niedersachsenmetall. Der Mangel an Fachkräften wirkt sich vor allem auf die künftige Entwicklung von Unternehmen negativ aus. Für digitale Geschäftsmodelle fehlt es auf dem Arbeitsmarkt an Informatikern, Wirtschaftsingenieuren und Softwareentwicklern.

Es gibt ein erschreckendes Maß an politischer Führungslosigkeit. Wir verfügen nicht über eine kraftvolle Bundesregierung.

Das ist laut Schmidt das Wachstumshindernis Nummer eins und führt auch zu einem nur durchschnittlichen digitalen Know-How in der Unternehmen. Der Verband rief die befragten Firmen dazu auf, ihren digitalen Reifegrad auf einer Skala von 1 bis 10 selbst einzuschätzen. Rund vier Fünftel der Unternehmen sehen sich zwischen 1 und 5, also unter dem Durchschnitt. „Dadurch können wir auch keinen Investitionsschub starten. Es fehlen uns die einfach die Fachleute“, so Schmidt.