Lange nicht mehr gehört. „Wer nur den lieben langen Tag ohne Plag, ohne Arbeit vertändelt, wer das mag, der gehört nicht zu uns“, singt die vierte Klasse der Freien Rudolf-Steiner-Schule in Ottersberg (Kreis Verden). Die Füße der Zuschauer wippen mit. Das Lied aus dem Jahr 1914 gehörte in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg zu den viel gesungenen Liedern in der Schule, nach 1968 kam es etwas aus der Mode.  Dass es im Jahr 2017 vor einer Diskussion über das freie Schulwesen in Niedersachsen in einer Schule in Ottersberg wieder auftaucht, ist eine Überraschung.

Teilnehmer der Diskussion: Heike Thies, Björn Försterling, Anja Piel, Ralf Borngräber, Kai Seefried und Moderator Martin Brüning (v.l.n.r.) – Foto: AGFS

Weniger überraschend ist dagegen, dass sich Politiker aller im Landtag vertretenden Parteien genau einen Monat vor der Landtagswahl bemühen, die Bedeutung der freien Schulen hervorzuheben und auch den Griff ins Portemonnaie des Landes versprechen. Zuvor hatte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Freie Schulen (AGFS), Heike Thies, von einer bitteren Realität gesprochen. „Inzwischen können wir gar nicht mehr genau errechnen, wie eigentlich die Stundensätze in der Finanzhilfe zustande kommen. Wir sehen nur, dass das Geld bei weitem nicht mehr kostendeckend ist und wir bei den Personalkosten mittlerweile unter 80 Prozent liegen.“

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Der SPD-Landtagsabgeordnete Ralf Borngräber sieht Niedersachsen bei den freien Schulen bereits auf einem Weg zu einer offeneren, besseren und transparenteren Finanzierung. Man müsse aber eine Menge Geduld haben. „Wir konnten in den viereinhalb Jahren nicht alles lösen, was bereits zuvor nicht gut gelaufen ist“, sagt Borngräber. Der SPD-Politiker hat an diesem Tag auf der Bühne den schwersten Stand. Als er von „Separationspädagogik an den noch verbliebenen Förderschulen“ spricht, regt sich lauter Unmut im Publikum. Warum denn die freien Schule nur bei der SPD nicht einmal im Wahlprogramm auftauchten, fragt ihn Thies. „Wenn wir jedes Detail, das schulpolitisch eine Rolle spielt, hineinschrieben, wäre das Programm deutlich dicker“, verteidigt sich Borngräber. „In unserem Programm ist es nicht nur ein Detail, sondern ein Schwerpunkt“, mischt sich der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling ein. Der Applaus des Publikums ist ihm sicher.

„Ist das eigentlich nur Lyrik?“, fragt ein Zuschauer

Die Opposition der vergangenen viereinhalb Jahre tut sich in der Diskussion leichter, kann fordernder auftreten. „Die Finanzhilfe muss massiv aufgestockt werden und die Abstände zwischen staatlichen und freien Schulen müssen in einem fairen Miteinander wieder angeglichen werden“, sagt CDU-Bildungspolitiker Kai Seefried. Selbst große Träger könnten neue Schulen kaum noch finanzieren. So wie es derzeit läuft, ist das faktisch ein Neugründungsverbot.“ Das meint auch Björn Försterling. Durch die Unterschiede bei der Finanzhilfe könne es keinen fairen Wettbewerb geben. „Die Angleichung ist ein Ziel, auf das wir hinarbeiten müssen. Die Lücke ist allerdings sehr groß, deshalb wird es dauern“, so Försterling. So ganz glauben will mancher Zuschauer die Aussicht auf mehr Geld noch nicht. „Ist das eigentlich nur Lyrik?“, fragt ein Zuschauer die Abgeordneten. Er könne sich nicht vorstellen, dass die in der Diskussion vorgetragenen Versprechen in den Fraktionen auch durchsetzbar seien. Man könne über Höhe und Umfang noch nichts sagen, antwortet Anja Piel, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Es gebe aber bereits eine Arbeitsgruppe, die weiterarbeiten müsse.

Es geht in Ottersberg nicht nur ums Geld, es geht auch den Umgang mit den freien Schulen, zum Beispiel bei den Genehmigungsverfahren. „Wir wollen, dass uns nicht mehr so viele Steine in den Weg gelegt werden“, sagt Thies und berichtet von skurrilen Situationen bei Genehmigungen. „Da sollen Lehrer Arbeitsverträge vorlegen, obwohl es für die Schule noch gar keine Genehmigung gibt. Also gibt es natürlich auch noch keinen Arbeitsvertrag, das ginge ja überhaupt nicht“, macht sie deutlich. Als Anja Piel gefragt wird, ob Rot-Grün die freien Schulen gleichwertig behandelt habe, lacht das Publikum laut, bevor Piel überhaupt zur Antwort ansetzen kann. Sie habe sich im Wahlkreis für zwei freie Schulen eingesetzt und gemerkt, dass das kein leichtes Brot sei, sagt Piel selbstkritisch. „Ich wünsche mir tatsächlich, dass auch bei den Genehmigungen weniger bürokratisch und schneller gearbeitet wird.“

Nach wie vor gelten freie Schulen als Elite. Das sind sie eben gerade nicht.

Thema an diesem Tag ist natürlich auch die Debatte um Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die ihr Kind auf eine private Schule schickt. Kritik an der Debatte  kommt sowohl von SPD als auch von CDU. „Ich habe selbst einmal eine Privatschule besucht und bin auch ganz glücklich drüber. Wer so diskutiert, der lässt Pluralität nicht mehr zu“, meint Borngräber. Auch Seefried hält eine solche Debatte für nicht förderlich für ein pluralistisches Schulwesens. „Nach wie vor gelten freie Schulen als Elite. Das sind sie eben gerade nicht.“

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Nach den Viertklässlern hatten zu Beginn Schüler der Oberstufe aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht gesungen. Für eine bessere Finanzierung der freien Schulen in Niedersachsen werden drei Groschen wohl nicht reichen, stellten alle Politiker auf dem Podium fest, ohne konkrete Zahlen nennen zu wollen. Ralf Borngräber hielt aber fest: „Eines lässt sich schon sagen: Es wird mindestens ein siebenstelliger Betrag sein.“ (MB.)