Jan Vermöhlen und Peter Zentgraf stellen das Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler 2021 vor. | Foto: Link

Vom überteuerten Toilettenhäuschen bis zur Bank-Insolvenz mit Verlusten in zweistelliger Millionenhöhe: Neun Fälle von Geldverschwendung durch öffentliche Haushalte in Niedersachsen haben es ins aktuelle Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler (BdSt) geschafft. „Gerade in Zeiten, in denen die Pandemie-Schulden die öffentlichen Haushalte und damit auch die Steuerbürger an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit bringen, ist jeder vergeudete Euro ein Euro zu viel“, kritisierte gestern der niedersächsische BdSt-Vorsitzende Bernhard Zentgraf und sagte: „Wer knappe Haushaltsmittel verschwendet, hat wenig Spielraum, die Corona-Schulden zu tilgen und zukunftsträchtige Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung zu tätigen.“ Gleichzeitig wies Zentgraf jeden Zweifel an der Schuldenbremse zurück, die sich auch in der Covid-19-Pandemie bewährt habe. Laut dem Diplom-Ökonom hat Deutschland kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem: „Wir haben die sozialen Ausgaben nicht im Griff. Da haben wir ungebremstes Wachstum und deswegen fehlt das Geld für Investitionen.“

Folgende Fälle aus Niedersachsen finden sich im Schwarzbuch 2021:


Pleite der Greensill-Bank

Mit auffällig hohen Renditeversprechen brachte die Bremer Privatbank Greensill bundesweit rund 40 Städte und Gemeinde dazu, ihr Einlagen in Höhe von insgesamt 350 Millionen Euro anzuvertrauen. Doch das Geldinstitut geriet in Schieflage und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) machte den Laden im März 2021 dicht. Aus Niedersachsen sind von der Pleite die Städte Osnabrück und Nordenham (Landkreis Wesermarsch), sowie der Stadtentwässerungsbetrieb von Garbsen (Region Hannover) betroffen. Osnabrück hatte 14,5 Millionen Euro als langfristige Rückstellung für künftige Pensionsverpflichtungen oder für die Nachsorge städtischer Deponien angelegt. Nordenham hatte 13,5 Millionen Euro (rund ein Viertel der jährlichen Haushaltsmittel) bei der Bank zwischengeparkt, die ins städtische Kanalnetz investiert werden sollte. Und die Stadtentwässerung Garbsen wollte ihre Rücklagen über 8,5 Millionen Euro ebenfalls ins Kanalnetz stecken.

„Die 36 Millionen Euro stehen im Feuer und ich gehe davon aus, dass nicht mehr viel nach Niedersachsen zurückkommt“, sagte Zentgraf. Denn für Kommunen gibt es schon seit Oktober 2017 keine Einlagensicherung mehr bei Privatbanken, was hinlänglich bekannt ist. Die Kommunen können nur darauf hoffen, dass sie aus der Insolvenzmasse bedacht werden, wo jedoch andere Gläubiger vorne stehen. Warum haben die Städte trotz des Risikos überhaupt Geld bei Greensill angelegt? „Die Bank hatte noch positive Zinsen geboten, während die örtlichen Sparkassen schon Verwahrentgelte gefordert haben“, erklärt Zentgraf und bewertet die Bankenpleite als eine „Vernichtung von Steuergeld sondergleichen“. Besonders ärgert ihn dabei, dass das „Debakel“ keine rechtlichen Folgen hatte. Zentgraf: „Es sind keine Rechtsverstöße oder Fahrlässigkeit festgestellt worden. Es herrscht die Ansicht vor: Wir wurden betrogen und die BaFin hat uns zu spät informiert.“ Nordenhams Bürgermeister Carsten Seyfahrt (SPD) zog immerhin politische Konsequenzen und verzichtete auf eine erneute Kandidatur 2021.


Das Restaurant im 4G-Park in Wathlingen. | Foto: Bernhard Zentgraf

Dauerbrenner 4-G-Park

Als einen „besonders hartnäckigen Fall der Steuergeldverschwendung“ bezeichnete Zentgraf den gemeindeeigene Restaurant- und Mensabetrieb der Gemeinde Wathlingen (Landkreis Celle), den der Bund der Steuerzahler schon 2017 rügte. Laut BdSt-Finanzrefernet Jan Vermöhlen hat der Vier-Generationen-Park, der bis Ende 2021 fast 2,9 Millionen Euro Verlust erwirtschaftete. „Der Stellenplan der Gemeinde wies 78 Stellen aus. Davon gingen 29 auf das Konto des Restaurants“, bemerkte Vermöhlen und nannte das Projekt „irrsinnig“. Auch für Zentgraf steht fest: „Es ist nicht die Aufgabe einer Kommune, ein Restaurant zu betreiben.“ Er empfiehlt der Gemeinde, sich so schnell wie möglich von dem Betrieb zu trennen. „Da ist ein Bürgermeister auf Abwegen“, kritisierte Zentgraf den Wathlinger Hauptverwaltungsbeamten Torsten Harms (CDU).


Die Mooswand am Braunschweiger Rudolfplatz. | Foto: Jan Vermöhlen

Etikettenschwindel mit Mooswand

Im April 2019 ließ die Stadt Braunschweig zwei sogenannte City-Trees in der Stadt errichten. Die Mooswände kosteten 112.500 Euro und wurden als klimatische Wundermittel vermarktet, doch die TU Braunschweig konnte das immense Feinstaub-Senkungspotenzial nicht nachweisen. „Da hat man sich auf Angaben des Herstellers verlassen, die völlig überhöht und falsch waren. Das Ganze war getürkt“, sagte Zentgraf und bezeichnete den Fall als Beispiel dafür, „wie man mit einem schöngerechneten Antrag viele Fördermitteln erschleichen kann“. Ohne die angeblich innovativen Mooswänden, da ist sich der BdSt-Chef sicher, hätte Braunschweig nämlich keine Finanzspritze des Bundesumweltministeriums zum Braunschweiger Stadtbegrünungs- und Klimaschutzprogramm in Höhe von fast 1,9 Millionen Euro erhalten.


Der Schutzstreifen vorm Abfräsen. | Foto: Grafschaft Bentheim

Bürokratie verschlingt Radwege

Unter dem Motto „Schutzstreifen außerorts“ förderte das Bundesverkehrsministerium eine alternative Radverkehrsführung in den Landkreisen Northeim und Grafschaft Bentheim. Doch obwohl die Teststrecken gut ankamen, mussten sie für 763.000 Euro wieder zurückgebaut werden. Dann das Bundesverkehrsministerium hatte das Projekt für beendet erklärt und das Land Niedersachsen wollte es nicht fortsetzen, so Zentgraf. Dabei wäre es auch anders gegangen: „Baden-Württemberg führt ein ähnliches Projekt unter der Hoheit des Landes weiter. Die haben die Radwege nicht abgefräst.“


Das Toilettenhäuschen am Bullensee. | Foto: Karin Zentgraf

Dachdämmung ist Griff ins Klo

Für ein neues Toilettenhaus am Großen Bullensee bei Kirchwalsede habe der Landkreis Rotenburg (Wümme) rund 335.000 Euro und damit fast 130.000 Euro mehr ausgegeben als ursprünglich veranschlagt. „Ein Teil der Mehrkosten entfällt dabei kurioserweise auf die energetische Dämmung des Flachdachs und der Außenwände, obwohl die Toilettenanlage von November bis März geschlossen bleibt und lediglich gegen Frost gesichert werden muss“, berichtete Zentgraf und kritisierte die hohen Kosten: „Von dem Geld baut eine Familie auf einem ererbten Grundstück ein Einfamilienhaus.“


Der „Schwarzbau“ bei Esens. | Foto: Bund der Steuerzahler

Schwarzbau nimmt teures Ende

Als „längsten Schwarzbau Deutschlands“ bezeichnet der Bund der Steuerzahler die 8,4 Millionen Euro teure Umgehungsstraße im Landkreis Wittmund. Nachdem zahlreiche Versuche der Stadt Esens, die Straße durch nachträgliche Bauleitplanungen zu legalisieren, gescheitert waren, habe man sich im November 2020 mit dem enteigneten Eigentümer auf einen Kaufvertrag geeignet. Dass die Straße im März 2021 für den Verkehr freigegeben wurde, habe den Steuerzahler nach BdSt-Recherchen so noch zusätzliche 4,4 Millionen Euro gekostet. Zentgraf: „Diese Zahl steht nirgends geschrieben. Wir haben sie ermittelt, weil ein Nachtragshaushalt dafür fällig war.“


Der Besucherturm Amazonien im Panorama am Zoo Hannover. | Foto: Zoo Hannover (Archiv)

Amazonien wird zum Flop

„Das ist ambitioniert gestartet und dann ganz böse gefloppt“ – so bewertete Zentgraf das 5 Millionen Euro teure Regenwaldpanorama der Zoo Hannover GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Region Hannover ist. Statt der zunächst erwarteten 280.000 Besucher habe „Amazonien“ selbst im Eröffnungsjahr schätzungsweise gerade mal 60.000 zahlungswillige Gäste verzeichnet. Der Bund der Steuerzahler geht davon aus, dass das sich das Defizit bis zur Schließung des Panoramas Ende 2020 sogar auf etwa 10 Millionen Euro verdoppelt hat.


Unnötige Kosten durch Corona

Der Bund der Steuerzahler kritisiert die Anschaffung der Luca-App. | Foto: Hersteller

Zum Auftakt der Impfkampagne beauftragte das niedersächsische Sozialministerium im Januar 2021 einen Dienstleister mit dem Versand von Informationsschreiben an alle Bürger über 80 Jahre. Die Adressdaten waren allerdings so lückenhaft, dass ein zweites Schreiben nötig wurde. „Ich habe mich damals schon gefragt: Warum zieht man nicht die Kommunen mit ihren Einwohnerverzeichnissen heran und erstattet ihnen die Kosten? – und das hat man nachher auch gemacht“, sagte Zentgraf und bezifferte die unnötigen Ausgaben für den ersten Durchlauf auf 138.000 Euro. Kritisch sieht sein Verband auch die Luca-App. „Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Beschaffung der Luca-App überwiegen gegenüber dem Nutzen“, wird der BdSt Sachsen-Anhalt im Schwarzbuch zitiert. Auch Vermöhlen kritisierte den Nutzen der Luca-App als „sehr, sehr begrenzt“. Zentgraf sagte dazu: „Die Kritik daran, dass man neben der Corona-Warn-App eine zweite App eingeführt hat, ist berechtigt.“


Mehr Geschäftsführer als Attraktionen

Der neue Kletterturm am Tankumsee. | Foto: Jan Vermöhlen

Einen Erfolg beansprucht der Bund der Steuerzahler in Isenbüttel (Landkreis Gifhorn) für sich. Im Februar 2021 hatte der Aufsichtsrat der Tankumsee-Betriebsgesellschaft eine weitere Geschäftsführerin bestellt. Die GmbH war zu diesem Zeitpunkt jedoch schon hochdefizitär und machte laut Vermöhlen im Jahr 2019 ein Minus von 192.000 Euro bei einem Gesamtumsatz von 539.000 Euro. Der Aufsichtsrat habe den dritten Chefposten mit der Anschaffung eines neuen Kletterturms direkt am Badesee gerechtfertigt. Vermöhlen: „Nach öffentlicher Kritik auch des Bundes der Steuerzahler gibt es mittlerweile wieder eine zweiköpfige GmbH-Führungsspitze.“