Auf der einen Seite steht der Klimaschutz, auf der anderen die Wohnungsnot. Die Städteplaner zerbrechen sich die Köpfe über das Zusammenleben in der Zukunft. Hat das Ideal der Vergangenheit, ein Neubau eines Einfamilienhauses auf der grünen Wiese abseits der hektischen Städte, endgültig ausgedient? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Sollte jeder seinen Traum vom Haus im Grünen verwirklichen dürfen oder ist das aus ökologischer Sicht absoluter Irrsinn? – Foto: Stockwerk-Fotodesign

PRO: Warum sollte man sich an den Idealen der letzten oder vorletzten Generation orientieren? Das Häuschen im Grünen bringt auf längere Sicht viele Nachteile mit sich. Es wird Zeit für eine neue Realität, meint Martin Brüning.

Die Motor- und Immobilienbeilagen der Wochenendzeitungen haben seit einiger Zeit zwei Dinge gemeinsam. Zum einen den dramatischen Rückgang der Anzeigen, aber das ist eine andere Geschichte, zum anderen aber eine Verschiebung der Berichterstattung weg von der breiten Mitte der Gesellschaft. Während in den Beilagen am laufenden Band die schöne Welt der E-Autos und Tiny Houses beschrieben wird, wohnen die Menschen in der Regel immer noch im Reihen- oder Einfamilienhaus. Vor der Garage parkt der Golf mit dem Schummel-Diesel. Man kann eine andere Welt eben nicht herbeiberichten, was nicht bedeutet, dass der Status quo nicht in Frage zu stellen wäre.

Denn die Liebe der Deutschen zu ihrem Einfamilienhaus im Grünen bricht sich an der demographischen Entwicklung des Landes, die dazu führt, dass viele ältere Ehepaare in ziemlich großen Häusern wohnen und Zimmer beheizen, die nur selten genutzt werden. Die Entscheidung, das Haus zu verkaufen, ist oft noch schwieriger, als die Entscheidung in jungen Jahren, ein Haus zu bauen und zu finanzieren. Das ist allzu menschlich, aber künftige Generationen sollten vielleicht einen anderen, flexibleren Weg wählen. Und vielleicht sollten sie schon in jungen Jahren überlegen, ob man sich wirklich an den Idealen der letzten oder vorletzten Generation orientieren sollte.

Wie viel Platz braucht ein Mensch – sowohl auf der Straße als auch beim Wohnen?

Der Trend zu mehr Größe in allen Bereichen in den vergangenen Jahren ist eine zweifelhafte Entwicklung. Wie viel Platz braucht ein Mensch – sowohl auf der Straße als auch beim Wohnen? „150 ist das neue 120“ – müsste man bei der Quadratmeterzahl von Einfamilienhäusern vermutlich konstatieren, und „1,80 m das neue 1,68 m“, wenn es um die Breite von Autos geht. Während sich Gespräche und TV-Dokus gerne um Minimalismus und die Maxime „Weniger ist mehr“ drehen, ist davon im Alltag so gut wie nichts zu spüren.

Tatsächlich stiegt die Wohnfläche in Einfamilienhäusern in den vergangenen Jahren um rund 15 Prozent. Das alles bedeutet bei Neubauten mehr Flächenversiegelung, mehr Baustoffe,  und auch wenn die neuen Häuser viel umweltfreundlicher und energiesparender sind, so teile sich doch meist nach dem Auszug der Kinder zwei Menschen  eine noch größere Fläche als vor zwanzig Jahren.

Nicht von ungefähr zog es in den vergangenen Jahren mehr Menschen zurück in die Städte, wo das Leben nicht ruhiger, aber häufig doch einfacher ist.

Hinzu kommt aber noch die dafür nötige Infrastruktur. Wer in neu erschlossene Baugebiete zieht, ist zumeist auf Gedeih und Verderb auf das Auto angewiesen. Der Bus kommt selten, und selbst wenn heute eine neue Straßenbahnlinie zum Neubaugebiet angedacht wäre, würde der erste Zug wohl nicht vor dem Jahr 2040 dort halten. Für die Fahrten zur Arbeit, zum Supermarkt oder zur Apotheke wird das Auto benötigt. Die Wege sind weiter, Lastenfahrräder, wie sie heute in den Städten immer häufiger zu sehen sind, sieht man in Vororten und ländlicheren Regionen äußerst selten.

Für das Wohnen im neuen Haus im Grünen zahlen viele Familien einen Preis, der heute teilweise als nicht mehr zeitgemäß gilt und es vielleicht auch nicht mehr ist. Nicht von ungefähr zog es in den vergangenen Jahren mehr Menschen zurück in die Städte, wo das Leben nicht ruhiger, aber häufig doch einfacher ist. Schnelles Internet, Kindergarten, Supermarkt und Fitnessstudio um die Ecke – das sind Vorteile, die häufig schon der Vorort nicht mehr bieten kann. Je weiter entfernt das Neubaugebiet vom Stadtkern liegt, desto beschwerlicher werden die Wege. Angesichts der zahlreichen Autofahrten kommt einem die grüne Wiese dann gar nicht mehr so grün vor.

Helfen würde nicht nur eine noch intensivere Nachverdichtung in den Städten, sondern auch der Bau von mehr Mehrfamilienhäusern in Stadtnähe, um den Wohnungsmarkt zu entzerren.

Nun führt eine Debatte darüber, wo es Menschen denn hinziehen sollte, vollkommen an der Realität vorbei. Menschen ziehen dorthin, wo sie hinziehen wollen und es sich leisten können. Aber man sollte zumindest eine ehrliche Diskussion ohne Schaum vor dem Mund führen, welchen Preis Umwelt und Gesellschaft für Neubaugebiete zahlen, die immer noch fern der Städte aus dem Boden schießen. Diese Fehlentwicklung führt heute bereits an zahlreichen Orten zu heftigen Debatten, wenn es um neue Siedlungsflächen geht.

Helfen würde nicht nur eine noch intensivere Nachverdichtung in den Städten, sondern auch der Bau von mehr Mehrfamilienhäusern in Stadtnähe, um den Wohnungsmarkt zu entzerren. Nicht jeder wird sich davon abhalten lassen, ein weiteres Haus in immer weiter entfernten Neubaugebieten zu errichten, aber viele vielleicht schon. Es ist wie immer eine Frage des Angebots.

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CONTRA: So dringend wir alle einsehen müssen, dass der Klimaschutz einen schonenderen Umgang mit der Natur und den freien Flächen erfordert, so klar sollte auch sein: Die Zukunft kann nicht nur in Mietskasernen und verdichteter Bebauung liegen. Kluge Konzepte müssen drei Herausforderungen der Zeit miteinander verbinden, meint Klaus Wallbaum.

Die heftige Empörung, die sich in den vergangenen Monaten über den Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, entladen hat, war so unnötig wie töricht. Der Politiker stellte den Sinn des Baus neuer Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese in Frage. Kaum hatte er das geäußert, kam der Aufschrei von rechts – Hofreiter wolle die Menschen gängeln und ihnen Hausneubauten verbieten. Freilich hatte Hofreiter das gar nicht gesagt, und trotzdem wurde ihm das Ticket „Vertreter einer Verbotspartei“ angeheftet. Das zeigt sehr schön, wie oberflächlich und verfälschend die Debatte über ernste Themen inzwischen geworden sind: Zur Differenzierung sind die wenigsten noch in der Lage.

Das gilt übrigens in beide Richtungen: Tatsächlich vertreten einige radikale Ideologen die Haltung, man solle Neubaugebiete strikt verbieten – und am besten auch das Ideal der Mietwohnung auf engem Raum in der Innenstadt in den Mittelpunkt rücken. Die Vorzüge gibt es in der Tat: kurze Wege zum Einkaufen und Arbeiten, weniger Autoverkehr für das Pendeln vom Wohn- zum Arbeitsort und weniger CO2 durch geringeren Flächenverbrauch. Stimmt alles, und doch muss gewarnt werden vor einer Wohnungspolitik, die sich nur auf dieses Ideal fokussiert – womöglich noch gestützt vom Ruf nach kreditfinanzierten staatlichen Investitionen über eine „Landeswohnungsbaugesellschaft“, die derzeit vom DGB so angepriesen wird. Ein kluges Konzept kann sich darin nicht erschöpfen, es muss vielschichtiger ansetzen.

Kandidaten, die vor der Kommunalwahl als ihre Leistungsbilanz einen erfolgreichen Bebauungsplan verkünden, sind nicht mehr zeitgemäß, sondern im alten Denken verhaftet.

Wer von etwas größerer Entfernung auf das Problem blickt, sollte erkennen, dass drei parallele Probleme in relativ kurzer Zeit gelöst werden müssen. Erstens, wie beschrieben, der Klimaschutz, der eine Beschränkung des Flächenverbrauchs notwendig macht. In diesem Sinn ist der Verzicht auf Neubaugebiete, wie in Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen schon diskutiert wird, verständlich und erwägenswert. Zweitens kommt aber der Strukturwandel hinzu: Klein- und Mittelstädte dünnen sich aus, die Menschen ziehen weg in die Ballungsräume oder in die Randlage der Metropolen. Deshalb wäre es dringend nötig, einen Plan zu entwickeln für jene Regionen, die irgendwann „verlassen“ sein dürften, die überaltern und wo die vielen alten Häuser nach und nach verfallen. Drittens bieten der Breitbandausbau und die Digitalisierung die Chance, die typischen menschlichen Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu verändern – und zwar auch so, dass diese zu den anderen beiden Zielen passen.

Konkret kann daher die Lösung so aussehen: Tatsächlich wird von Neubaugebieten weitgehend Abstand genommen. Kandidaten, die vor der Kommunalwahl als ihre Leistungsbilanz einen erfolgreichen Bebauungsplan verkünden, sind nicht mehr zeitgemäß, sondern im alten Denken verhaftet. Stattdessen sollte es aber ein Förderprogramm geben, das den Menschen den Erwerb von alten, leerstehenden und vom Verfall bedrohten Häusern auf dem flachen Land schmackhaft macht. Zuzugswillige würden so nicht mehr mit freien Bauplätzen angelockt, sondern mit Prämien für den Umbau und die Sanierung alter Gebäude, durchaus auch von alten Gewerbeimmobilien.

Das alles verlangt nach einer vorausschauenden, abwägenden, auf Dialog und pfiffige Ideen basierenden Regional- und Stadtplanung.

Verknüpft werden sollte das dann mit einem Umbau der Arbeitswelt, wie er nach der Corona-Krise erheblich beschleunigt wird und kaum mehr aufzuhalten ist: Immer mehr Menschen verrichten ihre Tätigkeit von zuhause aus, auch das Lernen über die Ferne wird professionalisiert. Die Leute kommen nicht täglich, sondern nur noch einmal die Woche ins Büro – und auch die tägliche Präsenzpflicht der Schüler in den Schulen wird irgendwann nicht mehr nötig sein.

Ein solcher Prozess kann natürlich nur gelingen, wenn die Digitalisierung problemlos klappt. Überlegt werden sollte, ob man in dünnbesiedelten Gebieten dann nicht doch einige Mini-Dörfer aufgeben muss – dann aber gezielt zugunsten der nahegelegenen mittelgroßen Stadt, in der sich das Wohnen konzentrieren könnte. Das alles verlangt nach einer vorausschauenden, abwägenden, auf Dialog und pfiffige Ideen basierenden Regional- und Stadtplanung. Diese muss gleichzeitig mutig sein und endlich aufhören mit überlieferten Vorstellungen – etwa der, dass Wachstum um jeden Preis richtig sei, oder auch mit der, dass an den Strukturen möglichst nichts geändert werden dürfe.

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