In der Politik wird diskutiert, ob es für die Kinder in den ersten vier Klassen schärfere Umgangsregeln geben sollte. Ist es ratsam, ihnen das Handy zu verbieten – damit sie nicht abgelenkt werden und nicht zu früh an Reizüberflutung leiden? Oder gehört das Handy schon so sehr zu jeder Persönlichkeit, dass ein solcher Schritt anachronistisch wäre? Die Rundblick-Redaktion diskutiert darüber in einem Pro und Contra.

Sollen Handys tabu sein in der Grundschule? Fachleute meinen, eine zu frühe Gewöhnung an die moderne Technik störe die Entwicklung der Kinder. | Foto: GettyImages/Dobrila Vignjevic

PRO: In der Bildungspolitik geht es auch darum, Grenzen zu setzen. Es muss gar nicht erwiesen sein, dass übermäßiger Computer- und Handy-Konsum die Entwicklung der Kinder beeinträchtigt. Ein begründeter Verdacht reicht schon. Die Schule sollte wenigstens in den ersten Jahren einen Raum bieten, der befreit ist von einigen störenden Elementen, meint Klaus Wallbaum.

Es wäre sicher eine Illusion zu glauben, man könne die Kinder in der Gesellschaft von den Auswüchsen der modernen Technik fern halten. Immerhin ist doch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass kleine Kinder mit der Funktionsweise und den Reizen der Handys schon vertraut sind, bevor sie in die Grundschule kommen. Dennoch muss die Forderung, man solle in den ersten vier Schulklassen die Handy-Nutzung untersagen, deshalb nicht falsch oder antiquiert sein. Sie kann trotzdem einen gewissen Sinn entfalten – und sei es nur, dass damit ein Signal an die Kinder verbunden ist: Hier ist die Schule, hier beginnt eine Lebenswelt mit eigenen Regeln, die ich beachten und respektieren muss. Wenn ich die Regeln breche, kann ich mich an diesem Ort nicht mehr bewegen. In dieser Betrachtung wäre die Schule eine Art „Schutzraum“ – und das sollte man nicht unterschätzen.

Klaus Wallbaum, Chefredakteur Rundblick Niedersachsen | Foto: Henning Scheffen

Daher ist der schleswig-holsteinischen Kultusministerin Karin Prien zuzustimmen, die im August ein solches Verbot für Handys gefordert hatte. Das geschah lange, bevor die CDU-Parteiführung unterstützend an ihre Seite trat. In Bayern hatte es ein solches Verbot bis 2022 gegeben, dann wurde es gelockert. Wie aber kann das funktionieren? Für Kinder, die mit Handys unterwegs sind, könnte es beim Betreten der Schule eine Abgabe-Pflicht geben – sie müssten das Gerät in einem für sie reservierten Platz verschließen können. Nach Ende des Unterrichts hätten sie dann wieder Zugang dazu.

Die Befürworter der Beschränkung verweisen darauf, dass Handys auf den Schulhöfen und in den Pausen ein „Einfallstor“ für Sex- und Gewaltvideos seien. Das stimmt vermutlich – aber die Hoffnung, ein Handy-Verbot könne solche Verbreitungen verhindern, wäre sicher illusorisch. Niemand kann Grundschülern für 24 Stunden die Nutzung der Smartphones verbieten. Das geht allenfalls für die Zeit in der Schule, im Unterricht und auf dem Schulgelände. Dies vor Augen, nennen manche das Handy-Verbot in Grundschulen eine reine Symbolpolitik.

Ein Modell, das bereits in einigen Schulen praktiziert wird: Vor dem Unterricht legen die Kinder das Handy weg und bekommen es erst danach wieder ausgehändigt. | Foto: GettyImages/Dobrila Vignjevic

Bevor man die Idee abtut, sollte man folgenden Gedanken vertiefen: Ist es nicht ein Wert an sich, wenn die Schulen als ein Ort mit besonderen Kommunikationsformen etabliert werden? Das Handy-Verbot mag zunächst als Beschränkung wirken, es kann aber auch eine Bereicherung sein – dann nämlich, wenn es mit guter Pädagogik ergänzt wird und in der Schule über den Sinn, die Vorzüge und auch die Gefahren moderner Kommunikationsmittel gesprochen wird. Wie soll ein junger Mensch den Unterschied zwischen einer Kommunikation mit Smartphone und einer Kommunikation ohne Smartphone kennen lernen, eventuell auch schätzen lernen, wenn es den Smartphone-freien Raum für ihn überhaupt gar nicht gibt? Das kann ja nur funktionieren, indem an bestimmten Orten für bestimmte Zeiten bestimmte elektronische Geräte unterbunden werden.

Zwei Lernzwecke könnte man mit diesem Weg erreichen. Der erste wäre, die angebliche „Unentbehrlichkeit“ des Handys in Frage zu stellen. Junge Menschen können erstens lernen, dass man sich sehr wohl und auch sehr gut verständigen kann, ohne dass man diese Hilfsmittel anwendet. Wie sonst sollen sie das schaffen, als über den Weg, dass man ihnen die Nutzung einfach untersagt? Zweitens kann die Schule sich als außergewöhnlicher, von der Umwelt abgegrenzter Ort herausstellen. Man kann dagegen sein und betonen, die Schule müsse möglichst all das abbilden, was in der Gesellschaft auch üblich ist. Man kann aber auf besondere Abläufe, Bedingungen und Rituale pochen, die in der Schule und nur hier anzuwenden sind. Es muss dann der pädagogischen Kunst der Lehrer obliegen, ob sie aus einer Sonderstellung etwas Interessantes und Erstrebenswertes formen. Denn eines ist auch klar: Nichts wäre abträglicher für einen wünschenswerten Lerneffekt als die Erfahrung, dass ohne Handy in der Schule etwas wichtiges fehle und man daher den Schulschluss herbeisehne.


Contra: Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wer meint, Kinder abschirmen zu können und ihnen an bestimmten Orten Freiheiten einzuschränken, geht in die falsche Richtung. Das kann sogar gefährlich sein, weil zur Bildung auch Erfahrung im Umgang mit den aktuellen medialen Möglichkeiten gehört, meint Anne Beelte-Altwig.

Anne Beelte-Altwig, Redakteurin beim Rundblick Niedersachsen | Foto: Henning Scheffen

Kinder, die aufs Smartphone starren, statt sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Die jedes Mal zu Hause anrufen, wenn etwas Unerwartetes passiert, statt selbständig handeln zu üben. Die ungefragt Aufnahmen von anderen machen und ins Internet stellen. Die schlimmstenfalls online zu Tätern werden oder den Tätern auf den Leim gehen, die im Netz lauern. Gruselige Vorstellungen. Brauchen wir deshalb ein Handy-Verbot an Grundschulen, wie es die CDU im Bund fordert?  

„Grundschüler in einem analogen Bullerbü abzuschirmen ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich.“

Nein, denn die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Mobilgeräte gehören 2023 zum Alltag und Kinder können nicht übersehen, wie absorbiert wir Erwachsenen von ihnen sind. Grundschüler in einem analogen Bullerbü abzuschirmen ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Denn wenn Medienpädagogik erst an der weiterführenden Schule einsetzt, wird es für viele zu spät sein. Sie werden längst ihre Erfahrungen in Sozialen Medien gemacht haben – und nicht nur gute.  

Klar, die meisten Eltern begleiten den Medienkonsum ihrer Kinder engagiert und kritisch. Doch klar ist auch, dass das nicht in jeder Familie und zu jeder Zeit möglich ist. Nur in der Schule ist sichergestellt, dass Wissen über die Möglichkeiten, aber auch über die gesetzlichen Regeln und die Gefahren im Internet wirklich alle erreicht. Die meisten Schüler bringen eine große Neugier auf neue Medien mit. Diese Motivation können die Lehrkräfte für die unterschiedlichsten Inhalte nutzen. In allen Fächern funktionieren die Curricula so, dass Lerninhalte frühzeitig eingeführt und später altersgemäß wieder aufgegriffen und vertieft werden. Warum soll in der Mediendidaktik falsch sein, was sich in den traditionellen Fächern bewährt hat? 

Das alles spricht dafür, schon in der Grundschule didaktisch mit den Smartphones zu arbeiten, die viele Kinder bereits im Schulranzen tragen. Falls die Klasse zu den Glücklichen gehört, denen ein Klassensatz Tablets zur Verfügung steht – umso besser! Die anderen sollten aber nicht medienpädagogisch ins Hintertreffen geraten.  

Übrigens dreht sich die Diskussion an vielen Schulen aktuell gar nicht so sehr um Handys, sondern um Smartwatches. Auch sie ermöglichen es den Eltern, die Kinder per GPS zu orten und aus der Distanz zu überwachen. Für die Grundschüler ist es unter den Augen von Big Mother oder Big Father nicht einfacher geworden, Selbständigkeit zu lernen. Doch ein Verbot von Endgeräten wird Eltern ihre Ängste nicht nehmen. Und keinem Gesetz wird es gelingen, mit der Entwicklung immer neuer und passgenauer auf die Zielgruppen zugeschnittenen Geräte Schritt zu halten. Entscheidender als Gesetze ist, die Kinder mit Wissen und Selbstbewusstsein gegen mögliche Gefahren zu stärken. 

 In Niedersachsen gilt, dass jede Schule selbst über die Nutzung privater Geräte entscheiden kann. Das ist richtig so, denn jede Schule ist anders. Die Beschlüsse werden in der Regel in den Gesamtkonferenzen gefasst. Das ist ein transparenter Prozess, in den die Eltern einbezogen sind. Ein bundesweites Handy-Verbot würde diesen demokratischen Prozess verhindern. Vor Ort kennen die Lehrkräfte – hoffentlich! – die persönliche Situation jedes einzelnen Kindes. Sie können im Einzelfall entscheiden, ob hier eine Ausnahme von der Schul-Regel möglich und nötig ist. Wer ein pauschales Verbot fordert, misstraut dem pädagogischen Können der Lehrkräfte.