Bei einem „Innenstadt-Gipfel“ in Berlin soll heute auch über die Zukunft des Einzelhandels gesprochen werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht die Geschäfte in der Innenstadt als Teil „unserer gewachsenen Kultur“. Aber muss der Einzelhandel nicht selbst aktiv werden und sich gegen die Krise stemmen? Lesen Sie dazu ein Pro & Contra.

Foto: DQM; MMPhotography

PRO: Die Politik kann nicht unter dem Corona-Deckmantel mit Fördertöpfen lösen, was der Handel in den vergangenen Jahren selbst versäumt hat. Zunächst einmal ist die Branche selbst gefragt, die besten Ideen für die eigene Zukunft zu sammeln und umzusetzen. Das ist nicht die Aufgabe der Steuerzahler, meint Martin Brüning.

Die Kette, in der ich gerne meine Kleidung kaufe, gab es schon in meiner Kindheit. Schon meine Eltern gingen dort sonnabends mit mir einkaufen. Und verändert hat sich außer der moderneren Anmutung außen und innen sowie der unvermeidlichen Kundenkarte in den vergangenen 40 Jahren eigentlich nicht besonders viel. Das Angebot ist groß, die Verkäufer sind vor allem im Erdgeschoss zumeist damit beschäftigt, Hemden, T-Shirts und Pullover wieder irgendwo einzusortieren. Die Beratung fällt dadurch häufig eher bescheiden aus, allerdings reißen alle Verkaufskräfte gerne das Zettelchen an den von mir selbst ausgewählten Sachen ab und schicken diese dann an die Kassen, wo immer noch wie einst kassiert und dann von einer weiteren Angestellten die gekaufte Kleidung in eine Tüte gepackt wird.

In der von mir seit 20 Jahren präferierten Buchhandelskette wiederum stehen inzwischen Zeitarbeitskräfte an den Kassen. Dadurch wird man in meiner Filiale an den Kassen jetzt freundlicher bedient, aber die Beratung ist durch den Schritt natürlich nicht gestärkt worden. Und die letzte neue Idee, die es gab, stammt aus den 90ern: das Café mit einer Buchhandlung zu verbinden. Immer noch eine gute Idee, aber halt 25 Jahre alt.

Spätestens mit der Schließung von großen Kaufhäusern werden die radikalen Umbrüche im Handel sichtbar, die sich bereits seit Jahren vollziehen.

Und nun möchte der Einzelhandel, dass ihm geholfen wird. Das ist zunächst einmal nicht überraschend, denn sowohl die Lage also auch die Zukunftsaussichten sind nicht besonders vielversprechend. War bisher vor allem in kleineren Städten die Leerstandsproblematik sichtbar, so hat diese nun auch die großen Zentren erreicht. Selbst das einkaufsstarke Hannover bildet keine Ausnahme mehr. Seit Montag bleiben die Türen des Karstadt-Hochhauses in der Georgstraße geschlossen. Das wird das Stadtbild im negativen Sinne verändern, leerstehende Gebäude in dieser Größenordnung sind immer wieder ein Ausgangspunkt der „Broken-Windows-Theorie“, wonach der bauliche Verfall den Verfall von Ordnung und Sicherheit im Umfeld nach sich zieht. Spätestens mit der Schließung von großen Kaufhäusern werden die radikalen Umbrüche im Handel sichtbar, die sich bereits seit Jahren vollziehen.

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Natürlich ist an dieser Stelle auch die Politik gefragt, dazu später in diesem Text mehr, aber für die Zukunft einer Branche ist zunächst einmal die Branche selbst verantwortlich. Wer sich vom Bundeswirtschaftsminister erklären lassen muss, wie er sein Geschäft in Zukunft führen sollte, hat nicht erst in der Zukunft, sondern schon jetzt ein ernsthaftes Problem. Und mit den ständigen Forderungen nach staatlichen Förderungen reihen sich die Händler in die vielen Unternehmer zweiter Klasse ein, die die Maxime der Eigenverantwortung, die einst jeden richtigen Unternehmer mit Herzblut auszeichnete, offensichtlich vergessen haben und sich lieber an den Tropf der staatlichen Alimentierung hängen. Statt Ideen für die eigene Zukunft zu entwickeln, hält man lieber Ausschau nach jedem staatlichen Fördertopf, sei er auch noch so klein.

Verkäufer, die nur Klamotten einsortieren, die man dann ohnehin nicht in der passenden Größe im Geschäft findet, werden jedenfalls nicht das richtige Mittel gegen die Online-Konkurrenz sein.

Wo liegt die Zukunft des Handels in den Innenstädten? Braucht wirklich jeder Händler einen Onlineshop, um zu bestehen, wie Experten und der Bundeswirtschaftsminister sagen? Die Händler in Städten wie Hannover, Osnabrück, Oldenburg und Braunschweig sollten selbst in der Lage sein, sich zusammenzusetzen, um über eine regionale Online-Plattform zu sprechen. Bevor sie aber den Termin dafür anberaumen, sollten sie ihr eigenes Geschäftsmodell noch einmal genau prüfen. Die Frage ist nämlich, ob sie es jemals schaffen werden, erfolgreich mit dem 24-Stunden-Prime-Lieferservice von Amazon zu konkurrieren.

Wichtiger könnte im ersten Schritt das vielbeschworene Einkaufserlebnis sein, das Kunden in die Innenstädte lockt. Verkäufer, die nur Klamotten einsortieren, die man dann ohnehin nicht in der passenden Größe im Geschäft findet, werden jedenfalls nicht das richtige Mittel gegen die Online-Konkurrenz sein. Der Handel braucht einen Wettbewerb um die besten Ideen für die eigene Zukunft.

Und die Politik? Sie sollte, statt unter dem Corona-Deckmantel Förderprogramme für seit Jahren überfällige Digitalisierungsschritte im Handel auf den Weg zu bringen, schnell Pläne erarbeiten, wie sich die Innenstädte baulich weiterentwickeln können. Das Problem ist dabei der Faktor Zeit. Je länger große Geschäfte und Kaufhäuser leer stehen, desto schwieriger wird es. Hier könnte dem Land die Dauer solcher Prozesse auf die Füße fallen.

Das Einkaufsverhalten wandelt sich in einer enormen Geschwindigkeit. Sind wir noch in der Lage, angesichts unserer Prozesse hinterherzukommen oder fördern wir nur noch die Vergangenheit? Für die Verbraucher ergibt es allerdings keinen Sinn, bei Amazon einzukaufen und parallel dazu mit den eigenen Steuergeldern den Erhalt von leeren Geschäften in der Innenstadt gefördert zu bekommen.

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CONTRA: Es ist ein Irrglaube zu meinen, der Markt allein werde es schon wieder richten. Womöglich stehen wir am Beginn eines Prozesses, der die Innenstädte als pulsierende Kaufmetropolen insgesamt in Frage stellt. Das muss die Stunde einer klugen und ordnenden Stadtplanung sein – aber bitte nicht bürokratisch und ideologisch, wie es in der Vergangenheit geschehen ist, meint Klaus Wallbaum.

Stadtplaner haben immer schon die besten Absichten gehabt – und oft die schlimmsten Ergebnisse damit angerichtet. Man denke nur daran, wie in der Nachkriegszeit in einigen Städten, Beispiel Hannover, schützenswerte Gebäude für das Interesse einer „autogerechten Stadt“ abgerissen wurden. Die damaligen Planer ließen sich dafür sogar verehren. Später wurde mit Recht geurteilt, die Zerstörung in der Nachkriegszeit sei fast so schlimm gewesen wie die Vernichtung von wertvollen Gebäuden durch die Bombardements im Zweiten Weltkrieg. Eine gesunde Skepsis gegenüber staatlicher Planung, gerade mit Blick auf die Entwicklung der Innenstädte und urbanen Räume, ist daher mehr als angebracht.

Das freie Spiel der Kräfte fördert nicht unbedingt die Resultate zutage, die in dieser Zeit gebraucht werden.

Aber was wäre die Alternative? Die Liberalen sprechen gern vom „freien Spiel der Kräfte“, sie setzen auf den Markt, der es regeln muss. Anders ausgedrückt: Wo altes stirbt, entsteht im Wettbewerb etwas Neues. Es liegt an der Pfiffigkeit, an der Kreativität und am Durchhaltewillen der freien Unternehmer, ob sie in der Lage sind, die in der Krise entstandenen Lücken wieder zu füllen. Zunächst ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Nur sei der Einwand gestattet, dass das freie Spiel der Kräfte nicht unbedingt die Resultate zutage fördert, die in dieser Zeit gebraucht werden.

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Ein Beispiel: Wenn in einer mittelgroßen Stadt mehrere Geschäfte in der Fußgängerzone aufgeben müssen, weil sie einfach nicht mehr genügend Käufer finden, dann stehen diese Geschäfte leer. Nach dem Prinzip der Marktwirtschaft müsste irgendwann, wenn der Preis der Immobilie für einen Neuerwerber oder Neumieter erschwinglich ist, ein neues Geschäft einziehen – mit einem Waren- oder Dienstleistungsangebot, das genügend Nachfrage bindet und damit das wirtschaftliche Überleben des neuen Geschäftes sichert. Im Idealfall klappt das. Im umgekehrten Fall bleibt das Geschäft leer, womöglich beginnt irgendwann der Putz von der Fassade zu bröckeln, die Immobilie droht zum Schandfleck zu werden und das Image der ganzen Straße herunterzuziehen. Oder es ziehen Spielhallen dort ein und prägen das Image des Viertels.

Es geht um eine entschlossene Steuerung im Detail mit Blick auf das Wohl des gesamten Areals.

In solchen Situationen kann eine Stadtplanung, die beherzt eingreifen kann, Vorgaben macht und längere Leerstände unterbindet, Gold wert sein. Es geht nicht um eine Neuplanung vom Reißbrett und nach womöglich ideologisch verengten Vorstellungen – wie es in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik oft genug der Fall war. Sondern es geht um eine entschlossene Steuerung im Detail mit Blick auf das Wohl des gesamten Areals. Das erfordert eine umsichtige, behutsame, im ständigen engen Kontakt mit den Grundeigentümern stehende Kommunalpolitik. Sicher wäre es falsch, vom Rathaus das Heil der Stadtentwicklung zu erwarten.

So stark sich der Staat in der Corona-Zeit finanziell engagiert, Zuschüsse gewährt, Kurzarbeitergeld bezahlt und Insolvenzen hinauszögert, so verkehrt wäre doch die Erwartung, die Initiative für Innovation, Erneuerung und Gründergeist könne von der Politik oder der Verwaltung vorgegeben oder gar verordnet werden. Das muss schon von den Unternehmern selbst geschehen, entweder von bisherigen oder von neuen, die in der Nach-Corona-Zeit Mut und Phantasie für neue Projekte entwickeln. Die Stadtplanung muss ihnen aber vermutlich stärker als bisher helfend und beratend zur Seite stehen. Die alte liberale Vorstellung, der beste Staat wäre an dieser Stelle jener, der sich selbst zurücknimmt und nur Freiräume lässt, dürfte nicht zum Ziel führen.

Das gilt umso mehr, als dass die Corona-Krise auch einen grundsätzlichen Wandel in der Erwartung an die Innenstädte bewirken oder verstärken kann. Innenstädte, die von Großstädten umso stärker, sind heute im Vergleich zu ländlichen und dörflichen Gegenden besonders laut, oft auch hektisch, häufig sehr voll, nicht selten auch schmutzig und anstrengend. Es sind keine Ruheoasen. Bisher hat man diese dort auch nicht gesucht. Mag sein, dass das mit der Corona-Krise eingeübte Abstandsgebot ein ganz starkes Bedürfnis nach mehr Ruhe, mehr Beschaulichkeit, weniger Hektik, Lärm und Schmutz befördert. Sollte das so sein, sollte also nach dem Ende der Corona-Krise das Anforderungsprofil an die Innenstädte ein anderes sein als bisher, dann wird allemal die Stadtplanung mit ihrer ordnenden Hand gefragt sein. Denn für Parks, Ruhezonen, Verweilflächen und Entspannungsbereiche dürfte es – zumindest zu Beginn – wenig Geschäftskonzepte mit Aussicht auf eine hohe Rendite geben. Also wird die Erwartung, dass die Wirtschaft das von sich aus schaffen und gestalten wird, vermutlich nicht in Erfüllung gehen.

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