Nach langem Drängen vor allem der norddeutschen Bundesländer ist vor wenigen Wochen beim Klimagipfel der „Deckel“ für den Ausbau der Windenergie auf hoher See gestrichen worden. Die Landesregierungen der Küstenländer, auch Niedersachsen, begrüßten diese Entscheidung. Damit verbinden sich nun Hoffnungen in dreifacher Hinsicht: Erstens können die Firmen neue Windparks, die bereits geprüft waren und deren Konzepte womöglich schon fertig in den Schubladen liegen, nun wieder konkret planen. Zweitens hofft man in der Politik auf kreative Formen der Stromanbindung – wenn nicht alles ins deutsche Binnenland abgeleitet werden kann, wie sich wegen des Planungs-Staus der Stromtrassen abzeichnet, dann sind vielleicht auch Querverbindungen von den Windparks in andere Länder, etwa auch Richtung Großbritannien, durchaus vorstellbar. Drittens ist das Ende des Deckels auch ein Signal an Stromnetzbetreiber wie etwa Tennet, die Ausbaupläne für die Leitungen (womöglich neben den schon vorhandenen Trassen) voranzutreiben.

Trotz dieser Hoffnungen muss die Windkraftbranche auch negative Botschaften verkraften. Am Wochenende erklärte der Windkraftanlagen-Hersteller Enercon aus Aurich, für die Rotorblatt-Werke in Aurich und Magdeburg gebe es keine Aufträge mehr, 3000 Stellen seien damit in Gefahr, meinte Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig. Schon 2018 hatte Enercon 800 Stellen gestrichen. Die Sprecherin von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann erklärte, solche Probleme kämen „nicht über Nacht“, man tue alles, um den Unternehmen mögliche Hilfestellungen zu geben. Zu Details äußerte sie sich nicht. Bei Enercon indes hatte es in den zurückliegenden Monaten schon öfter Schwierigkeiten gegeben, die Kommunikation zwischen Politik und Firmenleitung hatte sich allerdings oft als nicht einfach herausgestellt. Spannungen soll es auch zwischen der Mutterfirma und vielen ausgegliederten und verselbständigten Unterabteilungen gegeben haben. Vize-Regierungssprecherin Katrin Riggert erklärte: „Ministerpräsident Stephan Weil, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und Umweltminister Olaf Lies haben immer wieder deutlich gemacht, wie wichtig gerade für Niedersachsen ein zielstrebiger Ausbau der Windenergie ist. Wir wollen jetzt Tempo machen – und die Vereinbarungen im Zuge des Klimagipfels, den Deckel für den Windkraft-Ausbau zu beseitigen, setzen ein Zeichen. Politischer Druck fehlt jedenfalls nicht.“

Im Fall von Enercon kann es sein, dass die aktuellen politischen Beschlüsse zu frisch sind, als dass sie jetzt schon zu neuen Aufträgen und Planungen für das Unternehmen in Aurich und seine Zulieferer geführt haben können. Diskutiert wird aber noch über andere Hindernisse, auf die auch Enercon-Chef Kettwig hingewiesen hatte. So wollen einige Bundesländer eine 1000-Meter-Abstandsregel für neue Windräder im Binnenland festschreiben – auch als Entgegenkommen an jene Kräfte in vielen Kommunen, die dort vehement gegen neue Windparks kämpfen. Der Sprecher von Umweltminister Lies hält von der 1000-Meter-Regel indes nichts, denn „zwischen 600 und 800 Meter reichen auch“ – entscheidend sei nämlich, dass die konkreten Lärmbelästigungen oder Schatten-Würfe neuer Windräder in einem Areal möglichst verträglich geplant werden. Die Anwohner sollten sich nicht gestört fühlen. Im konkreten Einzelfall solle ein Dialog möglich sein. Deshalb werde Niedersachsen die 1000-Meter-Regel, sollte sie am Ende Bundesrecht werden, nicht verbindlich umsetzen, sondern von der Möglichkeit einer begründeten Abweichung im Einzelfall Gebrauch machen. Der Lies-Sprecher verwies auf eine aktuelle Forsa-Umfrage, wonach eine breite Mehrheit der Bevölkerung – sogar in der Nachbarschaft von Windparks – den Ausbau dieser Technologie befürworte.

Wie zäh und langwierig die Umsetzung von Windpark-Planungen sein kann, zeigen gegenwärtig die Diskussionen im Regionalverband Braunschweig. Die Behörde muss Vorrangflächen für die Windkraft ausweisen, stößt aber in vielen Gemeinden auf Widerstände, in anderen hingegen auf die Bereitschaft dazu. Im Fall von Braunschweig ist das auch ein Fall für die Juristen des kommunalen Regionalverbandes auf der einen Seite, des Landesbeauftragten für Regionalentwicklung und des Agrarministeriums auf der anderen Seite. Streitpunkt ist auch hier die Abstandsregel, die in dem Fall 1000 Meter zu Siedlungen und 500 Meter zu einzelnen Gebäuden vorgesehen hat. Einige Akteure halten an der Distanz aus Prinzip fest, andere raten zu mehr Flexibilität. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Imke Byl aus Gifhorn forderte die Landesregierung auf, ihren Bekenntnissen zu der Windenergieförderung Taten folgen zu lassen – und auf die zu starre Anwendung von Abstandsregeln bitteschön zu verzichten.