Von Soschia Karimi war an dieser Stelle schon einmal zu lesen. Aber etwas war damals anders: Die jungen Leute, die seit einem Jahr von Hannover aus gegen das theokratische Regime im Iran protestieren, wollten damals nicht mit ihren Nachnamen in den Medien stehen – aus Angst vor Repressalien gegen sie selbst und ihre Familien. Heute sagt die 27-jährige Gesundheitsökonomin aus Hannover: „Es ist mir ganz egal, wo mein Name auftaucht. Je mehr von uns ihre Namen nennen, desto weniger Druck lastet auf den einzelnen, die dazu bereit sind.“ 

Soschia Karimi kämpft in Hannover für die Einhaltung der Menschenrechte im Iran. | Foto: Tobias Bitz

Ein Jahr ist es her, dass die kurdisch-iranische Studentin Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei starb. Ihr Tod löste eine beispiellose Protestwelle aus – im Iran und weltweit. In Hannover protestierten vor wenigen Tagen, am 16. September, rund 350 Menschen für die Achtung der Menschenrechte und gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran. „Niedersachsen hat eine sehr aktive iranische Diaspora-Community, was sie immer wieder mit Kundgebungen unter Beweis stellt und das Thema in der Öffentlichkeit hält“, kommentiert die Menschenrechtsaktivistin und Politikberaterin Düzen Tekkal anerkennend. Soschia Karimi hat die Demonstration mit organisiert und hielt eine emotionale Rede.

Ministerpräsident Stephan Weil war ebenfalls als Redner angekündigt, ließ sich aber von seiner Stellvertreterin Julia Hamburg (Grüne) vertreten. Auch Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) und CDU-Abgeordnete Martina Machulla kritisierten das Regime im Iran. Machulla forderte unter dem Applaus der Demonstranten, einen Platz nach Jina Mahsa Amini zu benennen. Mit dieser Forderung konnten sich Soschia Karimi und die Aktivisten der Bewegung „Frau – Leben – Freiheit“ in Hannover bisher nicht durchsetzen – trotz der umfangreichen Unterstützung, die die Stadt vor einem Jahr angekündigt hat. Ein solches Zeichen würde der Bewegung im Iran Mut und Auftrieb geben, ist sie überzeugt. 

Auf dem Opernplatz in Hannover haben am Sonnabend Hunderte Menschen gegen das iranische Regime protestiert. | Foto: Tobias Bitz

Soschia Karimi ist in Deutschland geboren, hat hier studiert und eine wissenschaftliche Karriere eingeschlagen. Es nervt sie, wenn die Protestierenden in Deutschland als „Exiliraner“ beschrieben werden. Warum sie sich als Deutsche mit persischen Wurzeln für „Frau – Leben – Freiheit“ engagiert, hat ganz andere Gründe als Nostalgie für die Heimat ihrer Eltern: „Es geht um den Kampf für Frauenrechte weltweit. Diese Revolution hat als einzige auf der Welt das Potential für Veränderung. Und es ist die erste feministische Revolution im Nahen Osten.“ Sogar nach Afghanistan, berichtet sie, ist die Protestwelle schon geschwappt. „Heute Iran, morgen Afghanistan“, skandieren die Unzufriedenen dort. 

Das Regime im Iran schlug mit voller Härte zurück: Sicherheitskräfte richteten Massaker unter den Protestierenden an. „Sie haben mit Schrot direkt auf die Augen gezielt“, berichtet Soschia Karimi. „Das ist unfassbar schmerzhaft“. Schließlich schrieben die Augenärzte einen Protestbrief, weil sie nicht mehr hinterherkamen damit, die Verletzten zu behandeln. Die nächste Stufe der Eskalation, berichtet die junge Wissenschaftlerin, waren Giftgas-Anschläge an rund 150 Mädchenschulen. „Das muss das Regime zumindest geduldet haben“, ist sie überzeugt – mutmaßlich, um Angst unter den protestierenden Teenagern und vor allem unter ihren Eltern zu schüren.

Es folgte eine Welle der Hinrichtungen, teilweise in aller Öffentlichkeit. Und schließlich war das Regime technisch so weit aufgerüstet, um seine Bürger digital zu überwachen. „Smart repression“ nennt Soschia Karimi das: Das Internet wird immer weiter eingeschränkt, stattdessen baut der Iran ein eigenes, staatlich kontrolliertes Netz auf. Im öffentlichen Raum werden Kameras installiert, die Verstöße gegen die Kleidervorschriften dokumentieren. Verletzte Demonstranten trauen sich nicht mehr zum Arzt, denn auch dort werden sie digital ausspioniert.



Durch diese Repressalien sind die öffentlichen Demonstrationen fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Aber der Protest hat sich gewandelt: Menschen zeigen ihre Haltung durch zivilen Ungehorsam im Alltag. Während Frauen das verordnete Kopftuch verweigern, tragen Männer Shorts und rasieren sich die Köpfe. Das wird das Regime in naher Zukunft nicht stürzen, räumt Karimi ein. Was sie motiviert: „Eine Aktivistin hat zu mir gesagt: Protestieren ist wie Diät machen. Du siehst nicht morgen schon Ergebnisse.“ Aber es wirkt langfristig. Das Regime ist zwar an der Macht, aber es regiere nicht mehr, hört Karimi von ihren Kontakten. Eine rasante Inflation, Wasser- und Benzinmangel bringen auch diejenigen gegen die Regierung auf, denen Frauenrechte egal sind. Die Milizen müssen ihren Nachwuchs im Ausland anwerben und die Mullahs trauen sich nicht mehr in ihrer religiösen Tracht auf die Straße. Diese Beobachtungen werden von einer Studie bestätigt, nach der 80 Prozent der Iraner das Regime nicht mehr unterstützen. 

Die EU, Deutschland und auch eine Kommune wie Hannover könnten viel mehr tun, um das Regime weiter zu erschüttern, ist Soschia Karimi überzeugt. „Solange jemand den Tätern die Hand reicht, haben wir unser Ziel nicht erreicht“, sagt sie. Die Aktivisten setzen sich dafür ein, dass die EU die Revolutionsgarden auf die Liste der terroristischen Vereinigungen aufnimmt. Jeder, der zur Machtelite gehöre, habe Verbindungen zu den Revolutionsgarden. Dazu zählen auch Unternehmen, die sich auf den Messen in Hannover präsentieren dürfen. Wenn diese Unterstützer und Profiteure des Regimes in der EU nicht mehr agieren könnten, wäre das ein schwerer Schlag. „Wo ist hier unsere feministische Außenministerin?“, fragt Karimi. 

Aktivistin Soschia Karimi unterstützt die Regierungskritiker im Heimatland ihres Vaters, der 1979 nach dem Regimewechsel aus dem Iran geflohen war. | Foto: Nima Moraghebi

Auf taube Ohren ist sie bisher mit der Forderung nach einem „Jina-Mahsa-Amini-Platz“ oder einer „Jina-Mahsa-Amini-Straße“ in Hannover gestoßen. Die Argumente, die sie gehört hat – das Thema habe keinen Hannover-Bezug und Amini sei noch nicht lange genug tot – hält sie für vorgeschoben. Wenn seit einem Jahr Hunderte in Hannover protestieren, sei es schwer, einen Hannover-Bezug abzustreiten. Formal liegt die Zuständigkeit dafür bei den Bezirksräten. Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hat sich allerdings selbst in die Diskussion eingebracht, indem er einen „Platz der Menschenrechte“ für Hannover vorschlug. Derzeit ist in der Diskussion, dem bisherigen „Trammplatz“ direkt vor dem Rathaus diesen Namen zu geben.

Bei der Demo in Hannover wurde auch ein „Jina-Mahsa-Amini-Platz“ in der Landeshauptstadt gefordert. | Foto: Tobias Bitz

Bei dieser Lösung wäre die Solidarität mit der iranischen Opposition mitberücksichtigt, sagt Onay im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick: „Im Iran findet aktuell die Diskussion unserer Zeit zum Thema Menschenrechte statt.“ Onay hat eine Patenschaft für eine inhaftierte Iranerin übernommen und sich in einem Brief an die iranische Botschaft für ihre Freilassung eingesetzt. Zudem fanden mehrfach öffentliche Veranstaltungen und Gespräche mit Aktivisten statt, erklärt die Stadtverwaltung. Auch Düzen Tekkal wurde in ihrer Heimatstadt Hannover ins Rathaus eingeladen, um Anregungen zu geben. „Genau in dieser Linie muss es weiter gehen – auch bundesweit“, fordert sie.

Soschia Karimi ist überzeugt: Das Regime wird sich nicht halten. „Wir werden es schaffen. Die Frage ist nur: Wie viel Blut muss bis dahin fließen?“