28.752 Niedersachsen arbeiteten 2021 in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Nur 0,4 Prozent davon haben bisher den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft. Das berichtete Anja Rinck, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Arbeit, Bildung und Teilhabe, auf einer Fachtagung. „Damit sind wir nur geringfügig über dem Bundesdurchschnitt mit 0,35 Prozent.“ Neun Prozent der Werkstatt-Beschäftigten sind auf so genannten Außenarbeitsplätzen tätig. Das heißt, sie sind formal weiter in der Werkstatt beschäftigt, haben ihren Arbeitsplatz aber in einem Unternehmen oder im öffentlichen Dienst.

Zwei Männer an einer Werkbank
Ministerpräsident Stephan Weil besucht bei der Aktion „Schichtwechsel“ die Pestalozzi-Werkstatt in Altwarmbüchen (Region Hannover). | Foto: Staatskanzlei

Die Werkstatt-Beschäftigten erhalten für ihre Arbeit nicht den Mindestlohn, sondern ein Entgelt, das sich aus verschiedenen, zum Teil leistungsabhängigen Komponenten zusammensetzt. In Niedersachsen waren das 2021 im Schnitt 254 Euro. Niedersachsen liegt damit noch über dem Durchschnitt der westlichen Bundesländer. Das zeigt eine Studie, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlicht hat. Sie hat auch ergeben: 67 Prozent der Befragten finden ihr Entgelt zu niedrig.

„Unser Ziel: Wir wollen uns überflüssig machen.“

Um den Sprung aus der Werkstatt zu schaffen, steht Menschen mit Behinderungen ein „Budget für Arbeit“ zur Verfügung. Bis zur 75 Prozent ihres Gehaltes können damit refinanziert werden. Ein Jobcoach steht ihnen zur Seite und vermittelt bei Schwierigkeiten zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer. Erklärtes Ziel der LAG ist, dass 250 weitere Niedersachsen mit Behinderungen bis 2025 von dem Budgetfür Arbeit profitieren. Dazu hat sie eine Kooperation mit den Unternehmerverbänden angestoßen. „Unser Ziel ist: Wir wollen uns überflüssig machen“, sagt Anja Rinck.

In der Studie des Bundesarbeitsministeriums gibt rund ein Drittel der Befragten an,
dass sie gerne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig wären. Unter den befragten
Männern mit Behinderungen sind es 36,5 Prozent, von den Frauen gut 29 Prozent. In
den ersten ein bis zwei Jahren sind sogar fast 57 Prozent bereit, die Werkstatt wieder
zu verlassen. Je länger Menschen schon in einer Werkstatt tätig sind, desto geringer
wird das Interesse, in einen regulären Job zu wechseln. 70 Prozent der Befragten sind
überzeugt, dass sie beruflich noch viel oder sehr viel dazulernen können.

Permanenter Spagat für die Werkstätten


Für die Werkstätten bedeutet die Aufgabe, ihre Beschäftigten in den allgemeinen
Arbeitsmarkt zu vermitteln, einen permanenten Spagat: Einerseits sind sie verpflich-
tet, wirtschaftlich zu arbeiten. Daher sind sie wie jedes Unternehmen auf leistungs-
starke Mitarbeiter angewiesen. Andererseits wächst die Erwartung an sie, genau die-
sen Beschäftigten den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Auf
der Fachtagung wurde noch ein Problem dabei deutlich: Im ländlichen Niedersachsen
sind mögliche Arbeitsplätze oft mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar.
Kreative Lösungen sind gefragt. Eine Werkstatt hat reagiert, indem sie E-Bikes für die
Budgetnehmer angeschafft hat. (aba)